“Kein Geld, kein Essen” – Streiks bei Uber Eats

Der Streik bei Uber Eats in London vergangene Woche ist nur das aktuellste Beispiel. Immer wieder kommt es in der „neuen Essenszustellung“ zu Protesten der Fahrer_innen. Dahinter steckt eine neue Art, Serviceleistungen zu organisieren.

Die Kreuzung vor dem Londoner Aldgate Tower ist voll von jungen Männern und ihren Motorrollern. Sie hupen unentwegt. Der Reporter, der versucht über das Geschehen im Fernsehen zu berichten, ist kaum zu verstehen. Der Verkehr kommt zum Erliegen, kaum etwas geht mehr entlang der Whitechapel High Street. Im Aldgate Tower sitzt jene Firma, deren Name zum Synonym für unsichere Jobs im digitalen Kapitalismus geworden ist: Uber. Uber Eats ist die Sparte für Essenszustellung des Giganten aus dem Silicon Valley. Die Männer sind Fahrer der Firma, sie sind wütend, und sie streiken an diesem windigen Septembertag.

Warum der Streik bei Uber Eats?

Auslöser des Streiks war die einseitige Änderung der Preispolitik durch Uber. Fahrer_innen werden bei Uber Eats pro zugestellter Lieferung bezahlt. Bisher konnten sie mit mindestens 4,26 Pfund pro Lieferung rechnen, nun möchte das Unternehmen diese Mindestrate auf 3,50 Pfund senken. „Uber steht in London in direkter Konkurrenz mit dem Essenszusteller Deliveroo“, sagt der britische Arbeitssoziologe Jamie Woodcock. „Teil dieses Konkurrenzkampfes ist es, die Löhne möglichst niedrig und flexibel zu halten.“

Flexiblität heißt: Die Fahrer_innen werden zum Beispiel nur pro Lieferung bezahlt. Ist einmal weniger zu tun, verdienen auch die Zusteller_innen nichts. Das Risiko von Flauten liegt also bei ihnen und nicht mehr beim Unternehmen. Darüber hinaus sind sie nicht angestellt, sondern arbeiten als Selbstständige. Zudem stellen sie die Arbeitsmittel, wie Fahrrad, Smartphones oder mobile Daten, gratis zur Verfügung. „Das ist das Geschäftsmodell im Plattformkapitalismus: Du hast einen Essenszusteller wie Uber Eats, Deliveroo oder Foodora, die keine Fahrräder besitzen, keine Motorroller haben und den Großteil ihrer Fahrer_innen nicht anstellen“, sagt Woodcock.

Plattformkapitalismus: Hoffen auf zukünftige Profite

„Plattformkapitalismus“ fasst begrifflich das Zusammenspiel von Risikokapital, unsicheren Arbeitsverhältnissen und den Einsatz von digitalen Technologien. Plattformen sind eine digitale Infrastruktur, die Interaktionen zwischen zwei oder mehreren Teilnehmer_innen ermöglichen. Sie sind Vermittlerinnen, beispielsweise zwischen Restaurants, Kund_innen und der Arbeitskraft. Plattformen vermitteln die jeweiligen Arbeitsaufträge an Menschen, die ohne fixen Lohn, ohne Anstellungsverhältnis und dementsprechend ohne soziale Absicherung bezahlt werden.

Diese Jobs können vorm Computer erledigt werden, wie zum Beispiel das Beschlagworten von Bildern oder das Designen von Logos. Plattformen vermitteln aber auch Jobs, die „greifbar“ sind – wie eben Taxifahrten bei Uber oder die Zustellung von Essen bei Foodora. Hinter den meisten dieser Plattformen stehen Gruppen an Investor_innen. Die Motivation in solche Plattformen zu investieren liegt in den zukünftigen Gewinnen. Damit Rentabilität nicht nur durch das Auslagern von Kosten und Risiken funktioniert, ist es für sie wichtig, eine Monopolstellung zu gewinnen. Im Bereich der Essenszustellung zeichnet sich eine solche ab: Uber ist in Gesprächen, den Essenszusteller Deliveroo – einen Giganten in der Branche – zu kaufen.

Die Macht des Kollektivs: Streikserie in der plattformbasierten Essenszustellung

Es sind vor allem Berichte über niedrige Löhne und schlechte Arbeitsbedingungen, die dem Unternehmen immer wieder zu schaffen machen. Der Streik in London ist nicht der erste. Turin, Valencia, Lyon, Brüssel und Berlin sind nur ein paar der vielen Städte, in denen Fahrer_innen in den letzten Jahren protestierten.

„Die Streiks damals bei Deliveroo in London im August 2016 waren die ersten im Plattformkapitalismus. Fahrer_innen organisieren sich weitgehend über WhatsApp-Gruppen, in denen sie sich austauschen“, sagt Woodock. Oft inspiriert eine Aktion die nächste. So auch bei den aktuellen Streiks in London: Nur ein paar Tage später folgte ein Streik in der westenglischen Stadt Plymouth bei Uber Eats-Fahrer_innen, der zeitweise sogar die App völlig zum Erliegen brachte.

Neue Wege für Gewerkschaften

Das Interesse an der Gestaltung von bezahlter Arbeit im Plattformkapitalismus ist groß. Erst kürzlich gab es im Rahmen der österreichischen EU-Ratspräsidentschaft eine Konferenz zum Thema Digitalisierung und Arbeit. Plattformen spielten dabei die zentrale Rolle. Woodcock weist auf die Notwendigkeit hin, diesen Geschäftsmodellen Einhalt zu gebieten, bevor es zu spät ist: „Wenn diese Firmen gewinnen und ihr Modell erfolgreich ist, dann wird es im öffentlichen Sektor angewendet, es wird im privaten Sektor angewendet. Warum nicht eine Schule als Plattform organisieren? Warum kein Krankenhaus?“

Bisher sind es vor allem kleine basisgewerkschaftliche Initiativen, die in dieser Branche präsent sind, weil es für Selbstorganisierungsprozesse oft nicht viel braucht. „Arbeiter_innen im Kapitalismus sind ein potenziell widerständiges Element. Das ist manchmal unsauber und manchmal chaotisch, aber sie finden immer einen Weg sich zu wehren“, sagt Woodcock. Gerade aber für die „großen“, fest etablierten Gewerkschaftsbünde ergeben sich neue Handlungsfelder und Herausforderungen. Etablierte Gewerkschaften haben die Ressourcen, um diese Unternehmungen zu unterstützen.

Keine Zukunft in der Arbeit?

Detailstudien zu den unterschiedlichen Plattformen in der Essenszustellung befördern den Zweifel, ob es sich hier um ein sozial nachhaltiges Geschäftsmodell handelt. Die Jobs funktionieren auf dem Rücken der Fahrer_innen. Und das im wortwörtlichsten Sinn: Nicht nur schleppen sie die Rucksäcke mit dem Essen, sie stemmen auch die sozialen Kosten durch Scheinselbstständigkeit und Einkommensentfall.

Die Kreuzung vor dem Londoner Aldgate Tower ist noch immer von den Protestierenden blockiert. Dann setzt die Polizei eine Deadline: Bis um 16:00 Uhr muss sie frei sein, sonst wird sie geräumt und die Streikenden inhaftiert. Ein letztes Mal stimmt die Menge an: „No money, no food!“. Danach setzt sich die Demonstration in Bewegung Richtung britisches Parlament und die Restaurantpartner von Uber Eats. Uber hat angesichts der Proteste Verbesserungen und sogar einen Mindestlohn in Aussicht gestellt. Es ist nicht das erste Mal, dass das Unternehmen solche Versprechungen macht. Ob sie diesmal wahr werden, wird die Zukunft zeigen.

Autor

  • Benjamin Herr

    Benjamin Herr forscht zu Arbeit & Digitalisierung aus herrschaftskritischer und gewerkschaftsnaher Perspektive. Er ist Autor von "Ausgeliefert. Apps, Fahrräder und die neue Art der Essenszustellung" (2018, ÖGB Verlag).

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