Darum geht es bei den Streiks in der Sozialwirtschaft

Heute steht die fünfte Verhandlungsrunde zwischen Arbeitgeber*innen und Gewerkschaften in der Sozialwirtschaft an, letzte Woche gab es an drei Tagen Warnstreiks. Die Beschäftigten wollen Druck machen – auch auf die Gewerkschaften. Ein Bericht von Moritz Ablinger.

Der Warnstreik ist nicht zu übersehen. Knapp 1.000 Beschäftigte der Sozialwirtschaft demonstrierten am frühen Nachmittag des vergangenen Donnerstags auf der Wiener Mariahilfer Straße, die meisten von ihnen in gelben oder orangen Warnwesten. Auf ihren Schildern fordern sie die Einführung der 35-Stunden-Woche, ein höheres Gehalt, aber auch ein politisches Umdenken. An insgesamt 250 Standorten wurde vergangene Woche gestreikt, die Gewerkschaft hatte mit 150 gerechnet. Die Verhandlungen um einen neuen Kollektivvertrag waren zuvor in der vierten Runde gescheitert. „Es ist schön, wenn etwas in Bewegung gerät”, sagt die Sozialarbeiterin Lucia Palas von KNAST, einem Zusammenschluss von im Sozialbereich Tätigen und Studierenden. „Wir sind nicht nur lieb und nett. Wir verlangen, was uns zusteht.“

Sozialwirtschaft im Wandel

Die Sozialwirtschaft ist dabei sehr divers. Pflegeberufe, Arbeit mit Wohnungslosen und Geflüchteten sowie Kinder- und Jugendhilfe laufen hier zusammen. Knapp 100.000 Beschäftigte, überwiegend Frauen, arbeiten in der Sozialwirtschaft. Große Betriebe gibt es dabei nur wenige, der Sektor ist sehr kleinteilig organisiert. Über Jahrzehnte hinweg wurden Sozialeinrichtungen fast nie bestreikt. Staatliche Einsparungen haben den Sektor allerdings hart getroffen, die Anforderungen für die Beschäftigten werden immer größer. Schon vor einem Jahr, im Februar 2018, kam es zu Warnstreiks in der Sozialwirtschaft. Auch Proteste in Spitälern, die nicht Teil des Sektors sind, sind keine Seltenheit mehr. „Egal wie der Abschluss in diesem Jahr aussieht, es braucht Förderungen“, sagt Roman Gutsch, der im Verhandlungsteam der Gewerkschaften sitzt und Betriebsratsvorsitzender bei der Caritas Socialis ist. „Im Sozial- und Pflegebereich liegt vieles im Argen.“

Dennoch: Die Gewerkschaften stellen Forderungen nicht nur an die Politik, sondern auch an die Arbeitgeber*innen. Sechs Prozent mehr Lohn sollen es diesmal werden, dazu eine sechste Urlaubswoche und eben die 35-Stunden-Woche, mit vollem Lohn- und Personalausgleich. Auch in der Teilzeit, die fast 85 Prozent der Arbeit in der Sozialwirtschaft ausmacht, soll es Verbesserungen geben. „Die Verhandlungen sind eine große Chance, jahrelang geforderte Verbesserungen durchzusetzen oder zumindest auf den Weg zu bringen.“ Gutsch ist seit 2013 Teil des gewerkschaftlichen Verhandlungsteams, das aus Vertreter*innen der GPA und der vida besteht.

Viele Fronten

Auf der anderen Seite stehen die Arbeitgeber*innen. „Sie sind nicht, wie in anderen Bereichen, große Konzerne“, sagt Palas. Stattdessen sind es in erster Linie Sozialvereine. Die Volkshilfe gehört ebenso dazu wie der Samariterbund, das Wiener Hilfswerk, pro mente oder die Lebenshilfe. Organisiert sind sie in der Sozialwirtschaft Österreich (SWÖ), Vorsitzender ist Erich Fenninger, der auch Bundesgeschäftsführer der Volkshilfe ist. Auch sie kämpfen mit Einsparungen, große Profite gibt es im Sektor kaum. „Die Arbeitgeber*innen sagen oft, dass sie nicht mehr Geld haben“, sagt Lucia Palas von KNAST. „Aber wenn sie es ernst meinen würden, dann müssten sie mit uns auf die Straße gehen.“

Davon kann momentan nicht die Rede sein. Denn schon beim Warnstreik im letzten Jahr waren die Fronten verhärtet. Aber nicht nur zwischen der SWÖ und den Beschäftigten. Auch damals ging es um die 35-Stunden-Woche. Am Ende kam sie nicht. In der sechsten Verhandlungsrunde einigten sich Arbeitgeber*innen und die Gewerkschaften auf 2,5 Prozent Gehaltserhöhung und etwas mehr in den, besonders umstrittenen, Pflegeberufen. „Wir hatten uns damals mehr erwartet“, sagt Palas. „Das war entmutigend, aber wir haben gelernt, dass wir der Gewerkschaft nicht blind vertrauen dürfen, sondern es Druck von der Basis braucht.“

Gutsch sieht die Situation etwas anders. Zwar wäre die Forderung nach dem 35-Stunden-Tag nicht durchgegangen, die Lohnerhöhung bei den Pflegeberufen sei aber sehr wichtig gewesen. Außerdem wäre die Streikbereitschaft nicht überall gleich hoch gewesen. „In manchen Betrieben sei eine Wiederholung des Warnstreiks nicht mehr möglich gewesen“, sagt er.

Probleme abseits des Verhandlungstischs

Ohnehin unterscheidet sich der Zugang der Gewerkschaft und jener der Aktivist*innen an der Basis. „Für uns sind die Forderungen der Gewerkschaft nur das Mindestmaß“, sagt Lucia Palas. „Wenn wir kein gesellschaftliches Umdenken schaffen, werden wir nie das bekommen, was wir wollen.“ Palas erzählt von Einrichtungen im Flüchtlingsbereich die geschlossen wurden oder Pflegebediensteten, die kein Geld für bestimmtes Arbeitsmaterial zur Verfügung gestellt bekommen. Doch auch in Bereichen, in denen die finanzielle Situation nicht derart angespannt ist, wird es schwieriger. Die zuständigen Stellen unterstützen von Armut Betroffene immer weniger, auch der Umgangston sei harscher geworden. „Wir als Sozialarbeiter*innen müssen von Amt zu Amt, Anträge über Anträge stellen, damit unsere Klient*innen, Leistungen die ihnen grundsätzlich zustehen, auch erhalten“, sagt Palas. „Die schönen Aspekte unserer Arbeit treten völlig in den Hintergrund.“

Mit 1. April tritt zudem die Reform der Mindestsicherung in Kraft. Ohne ausreichende Deutschkenntnisse oder einen Pflichtschulabschluss erhalten Bezieher*innen dann 300 Euro monatlich weniger. „Meine Kolleg*innen im Flüchtlingsbereich wissen wirklich nicht, wie es dann weitergehen soll“, sagt Palas.

Abschluss in Sicht?

Noch unmittelbarer steht die fünfte Verhandlungsrunde zwischen der SWÖ und den Gewerkschaften bevor: Sie steigt am Montag. Wenn die Arbeitgeberseite ihr Angebot substanziell verbessert, glaubt Gutsch, dass es zu einem Abschluss kommen wird. Dass das passieren wird, hält er für möglich. „Wir erbringen den Beweis, dass die Streiks im Vorjahr keine Eintagsfliege waren.“, sagt er. „Es ist selten allein die Kraft der Argumente, die Arbeitsbedingungen verbessert, Arbeitszeit reduziert hat.“ Für Lucia Palas und KNAST ist der Erfolg des Arbeitskampfes nicht nur vom Abschluss abhängig. Die Vernetzung mit Kolleg*innen sei durch die Arbeitskämpfe seit letztem Jahr viel besser geworden, die gesamte Branche tauscht sich nun intensiver aus. „Selbst wenn wir die sechs Prozent mehr kriegen, wird das nicht aufhören“, sagt sie. „Wir müssen weiter für eine andere Politik kämpfen. Eine, die nicht Arme bekämpft, sondern Armut.“

Linktipp: Im Kritischen Netzwerk aktivistischer Sozialarbeit (kurz: KNAST) haben sich Sozialarbeiter*innen organisiert. Es ist 2014 aus einem Zusammenschluss an der FH Wien entstanden. Zum World Social Work Day am 19. März plant sie eine Reihe von Veranstaltungen.

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