In Wien entsteht MILA – ein Mitmach-Supermarkt. Viele Menschen sollen MILA zusammen besitzen, zusammen dort arbeiten und zusammen entscheiden. Was das Problem mit gewöhnlichen Supermärkten ist, wie bei MILA tausende Menschen gemeinsam arbeiten sollen und ob es auch Mannerschnitten geben wird, darüber sprechen Mit-Initiator*innen David Jelinek und Julianna Fehlinger im Interview mit Lisa Mittendrein.
Mosaik-Blog: Ihr gründet mit anderen zusammen gerade MILA – Mitmach Supermarkt. Sowas hört man ja nicht alle Tage. Was ist denn das?
David Jelinek: MILA wird ein genossenschaftlich organisierter Supermarkt, der von den Leuten betrieben wird, die auch dort einkaufen. Es wird ein Supermarkt mit Vollsortiment, also mit 5.000 bis 8.000 Artikeln. Wir möchten so bald wie möglich in Wien eröffnen. Um die MILA Genossenschaft gründen zu können, brauchen wir etwa 3.000 Mitgründer*innen.
Julianna Fehlinger: MILA wird kein kommerzieller Supermarkt sein, wie wir sie sonst kennen, sondern ein sozialer Ort. Viele Menschen werden MILA zusammen besitzen, indem sie für einen kleinen Beitrag einen Genossenschaftsanteil erwerben.
Diese Idee ist in Österreich völlig neu, international gibt es aber schon Beispiele für solche Mitmach-Supermärkte. Wie seid ihr auf die Idee gekommen und was sind eure Vorbilder?
Julianna: Während der österreichischen EU-Ratspräsidentschaft vor zwei Jahren gab es im Gesundheitsministerium eine Veranstaltung zum Thema Gesundheit und Ernährung. Ich bin – stark zweifelnd – hingegangen und dann wurde dort als Praxisbeispiel La Louve vorgestellt. Das ist ein Mitmach-Supermarkt in Paris. Und während Tom Boothe, einer der Gründer, davon berichtete, hab mir gedacht: Alter Fuchs, das muss die Bewegung hören! Das verändert unser Denken über Ernährungssysteme der Zukunft.
David: Unsere wichtigsten Vorbilder sind die Projekte Park Slope in New York und La Louve in Paris. Park Slope gibt es seit über 45 Jahren. Alle vier Wochen arbeiten die Mitglieder für drei Stunden mit und bekommen dafür extrem geile Lebensmittel zu günstigen Preisen. Wir erfinden also nichts ganz Neues, sondern passen ein erprobtes Konzept für Wien an. Es soll auch bei uns so sein, dass 60 bis 80 Prozent der Arbeiten von den Mitgliedern erledigt werden. Das sind Supermarkt-Arbeiten wie bestellen, Einschlichten, Kassieren, aber auch die Verwaltung und Dinge wie Kinderbetreuung oder ein Bistro, die wir uns für die Filiale wünschen. Der Supermarkt wird auch normale Angestellte haben, die dann hoffentlich weit über Kollektivvertragslohn verdienen und die attraktivsten und besten Arbeitsplätze im Handel in Österreich haben werden.
Warum braucht es MILA? Was ist denn das Problem mit kommerziellen Supermärkten?
Julianna: In normalen Supermärkten kommen gesellschaftliche Probleme wie die Klimakrise, die Zerstörung ökologischer Vielfalt oder die Ausbeutung von Landarbeiter*innen unter die Räder. Um das zu ändern setzen viele auf Bildung, damit die Menschen anders einkaufen – aber das erreicht nur 10 bis 20 Prozent der Bevölkerung. Wir sagen: Lebensmittel, die unter guten sozialen und ökologischen Bedingungen produziert werden, dürfen nicht nur für die Oberschicht, sondern müssen für alle leistbar sein. Das wollen wir mit MILA möglich machen, und zwar dadurch, dass alle, die einkaufen, auch mitarbeiten.
David: Im normalen Supermarkt gibt es keine Transparenz. Die Supermärkte werben zwar gerne mit kleinen, regionalen Produzent*innen, aber was dahinter steckt, lässt sich kaum herausfinden. Warum kostet ein Kilo Schweinefleisch knapp 3 Euro, aber regionale Bio-Tomaten schnell einmal das Dreifache? Wie die Preise im Supermarkt zustande kommen ist das bestgehütete Geheimnis im Einzelhandel.
Ihr habt schon erwähnt, dass ihr ein Vollsortiment anbieten wollt. Heißt das, es wird nicht nur Bioprodukte oder Regionales geben? Wer entscheidet, was verkauft wird?
David: Von der Zahnpasta über Fahrradschläuche und Mannerschnitten, bis hin zu Schweinsbraten, Räuchertofu und Kaffee soll es alles geben. Denn wenn die Leute aktiv mitarbeiten, dann sollen sie auch ihren Monatseinkauf bei MILA machen können. Und alle Mitglieder können Produkte, die sie gerne kaufen wollen, für das Sortiment vorschlagen.
Julianna: Was mich an dem Konzept des Mitmach-Supermarkts überzeugt, ist wie Demokratie gelebt wird. Neben Abstimmungen in der Genossenschaft wird auch über Alltagshandlungen mitentschieden. Alle können Produkte vorschlagen, und es gibt keine moralische Instanz, die sagt: „Dieses Produkt darfst du nicht kaufen.“ Und damit bearbeitet man auch Ausschlusskriterien, die es in politischen Gruppen oft gibt. La-Louve-Mitgründer Tom Boothe sagt: „Wir sind kein Club der besseren Einkäufer, sondern wir sind eine offene Bibliothek, die jede und jeder nutzen kann.“ Es geht nicht darum, dass eine einzelne Person den perfekten Warenkorb nach Hause trägt. Sondern wir verschieben zusammen den Warenkorb von allen, die bei MILA einkaufen.
Was ist der Unterschied zwischen einem Mitmach-Supermarkt wie MILA und FoodCoops, wie es ja in Wien viele gibt?
Julianna: Wir bekommen in FoodCoops tolle Produkte direkt von den Bäuer*innen, müssen aber dafür viel Arbeit reinstecken – und die Arbeit ist in der Gruppe meist sehr ungleich verteilt. Das Prinzip von MILA ist anders: Es ist ganz klar geregelt, wie viele Stunden jede und jeder mitarbeiten muss. Und es soll sich auszahlen: Was ich an Arbeitszeit reinstecke, bekomme ich über niedrigere Preise wieder zurück. In Paris und New York ist die Mitarbeit auch streng geregelt: Wer zu einer Schicht einfach nicht auftaucht, darf auch nicht einkaufen. Wer absagt, muss Extra-Schichten einlegen. Natürlich gibt es aber auch Freistellungen, wenn jemand aus gesundheitlichen oder psychischen Gründen nicht mitarbeiten kann.
David: Wir werden auf die Einkaufspreise weniger draufzuschlagen als normale Supermärkte. Das geht, weil die Mitglieder ja den Großteil der Arbeit selbst machen. Und damit man sich das vorstellen kann: Park Slope in New York hat etwa 12.000 aktive Mitglieder, die mitarbeiten und einkaufen. In Paris sind es um die 6.000. Sie arbeiten in 120 bis 140 Teams von drei bis 15 Personen, mit jeweils einer verantwortlichen Koordinationsperson.
MILA wird eine Genossenschaft sein. Was bedeutet das konkret?
David: Wir wollen zum Ursprung der Genossenschaftsidee zurückzukehren. Egal, wie viele Anteile man erwirbt, jede und jeder hat nur eine Stimme. Große Entscheidungen werden bei der Generalversammlung getroffen. Aber die alltäglichen Entscheidungen – zu Sortiment, Bestellungen oder neuen Lieferant*innen – treffen die Leute, die vor Ort arbeiten. Also Mitglieder und auch Angestellte.
Julianna: MILA soll aber auch ein sozialer, verbindender Ort sein.
Was bedeutet das?
Julianna: MILA soll ein Ort sein, wo ich mitarbeite, Neues lerne und Leute treffe. Die internationalen Beispiele zeigen, was neben dem Einkaufen dort noch alles passiert: von der Partnervermittlung bis hin zu Arbeitsplätzen, die sich die Leute gegenseitig checken. Und ein Mitmach-Supermarkt ist auch ein Nachbarschaftsprojekt. Unsere Vorbilder sind alle bewusst in migrantische Viertel gegangen. Sie bemühen sich aktiv darum, nicht als Biomarkt wahrgenommen zu werden und für unterschiedliche Lebensweisen offen zu sein. In der öffentlichen Diskussion um Landwirtschaft und Lebensmittel geht es oft um Bio und Regionalität, aber soziale Gerechtigkeit wird aufs Abstellgleis geschoben. Und der Mitmach-Supermarkt ist ein Projekt, das zeigen kann, wie es anders geht.
So ein Projekt kostet wohl auch eine Menge Geld. Woher soll das kommen?
David: Auch da orientieren wir uns wieder an den bestehenden Supermärkten. In Paris war das Budget etwa eineinhalb Millionen Euro. Davon kamen sechs bis sieben Prozent von den Mitgliedern, ein kleiner Teil aus Spenden und der Großteil aus öffentlichen und privaten Krediten. Einer unserer nächsten Schritte wird auch sein, einen genauen Businessplan zu erstellen. Wir wünschen uns auch Unterstützung der öffentlichen Hand und wollen in einem Bezirk eröffnen, wo wir willkommen sind.
In einem Satz: Für wen ist MILA? Wer soll kommen und mitmachen?
Julianna: Alle, die gern essen! Und alle, die Austausch suchen.
David: Alle, die gern gute und günstige Lebensmittel haben wollen.
Und wann und wo wird MILA eröffnen?
Julianna: Nicht im 7. Bezirk (lacht).
David: Das ist noch offen, aber die Standortfrage werden wir bald angehen. Wir wollen nicht in die wohlhabenden Innenstadtbezirke, sondern irgendwo in die Bezirke zwischen 10 und 17.
Julianna: Wann es losgeht werden wir sehen – in den nächsten Jahren. Wir gründen die Genossenschaft, sobald wir 3.000 Mitglieder haben. Man kann also jetzt schon Mitglied werden und mitarbeiten, zur Veranstaltung nächste Woche kommen und natürlich auch spenden!
Am 14. Oktober gibt es im Künstlerhaus einen Filmabend mit MILA zum Thema „Gut einkaufen – aber wie?“ Nach einem Film über den kooperativen Supermarkt Park Slope im New York gibt es die Möglichkeit zum gemeinsamen Gespräch und Austausch. Infos und Tickets hier.
Interview: Lisa Mittendrein