Von Kurzarbeit und Kulturförderung: Wie sehr KTM die Staatshilfen liebt

Der Moped-Hersteller KTM macht Schlagzeilen, weil er die gesamte Belegschaft auf Staatskosten in Kurzarbeit schickt, während er Dividenden in Millionenhöhe auszahlt. Schon davor kassierte KTM Kulturgelder des Landes Oberösterreich. Währenddessen hungert die Landesregierung kritisches Kulturschaffen aus.

Die „Freie Szene“ ist in Oberösterreich stark: Zahlreiche zeitgenössische Kunstschaffende, Kulturvereine und VeranstalterInnen treten unter diesem Begriff auf und bilden ein wichtiges zivilgesellschaftliches Segment. Sie fungieren als kulturelle NahversorgerInnen am Land und in den Stadtteilen, bilden den kreativen Nährboden für die großen Kultureinrichtungen und zeichnen sich durch demokratiepolitisches Engagement aus. Die Freie Szene belebt strukturschwache Regionen und steht in engem Verhältnis zur Kreativwirtschaft. In ihren Spielstätten spielten Bands wie Bilderbuch ihre ersten Konzerte, konnte sich ein Parov Stellar am DJ-Pult ausprobieren, oder ein junges Label seine Mode präsentieren.

Das Verhältnis zwischen dieser Szene und dem seit jeher ÖVP-dominierten Land Oberösterreich war nie rosig. Trotz bestand gegenseitiges Interesse. In der Provinz ist es wichtig, nach einem Eklat auch wieder gemeinsam ein Bier trinken zu können. Das hat in Oberösterreich lange halbwegs gut funktioniert. Das Land hat zudem die Funktion der Freien Szene als kulturelle Nahversorgerin und Experimentierfeld für junge Kräfte anerkannt und gemäß seiner Landesverfassung auch – mehr schlecht als recht – finanziell gefördert.

Feindschaft für die freie Szene

Mit dem Antritt der schwarz-blauen Regierung im Jahr 2015 schlug das Bekenntnis der Landespolitik zu dieser kulturellen Vielfalt schlagartig in Misstrauen und Ablehnung um. Das drückt sich einerseits in der brutalen Kürzung finanzieller Mittel für alles freie Kulturschaffen außerhalb der Landeseinrichtungen (Landesmusikschulen, Landesmuseen, …) aus. Andererseits hat sich auch der persönliche Umgang mit den Kulturschaffenden rapide verschlechtert. Diese fühlen sich in die Rolle von BittstellerInnen gedrängt, Förderanträge werden schubladisiert, transparente Gespräche über Förderkriterien und Kulturleitbilder verweigert.

Kompetente und kritische KuturbeamtInnen wurden durch technokratische SachbearbeiterInnen ohne Interesse an Kunstdiskursen ausgetauscht. Die Vertrauensbasis zwischen Kulturszene und der zuständigen „Landeskulturdirektion“ hat die schwarz-blaue Landesregierung zerschmettert. Insbesonders feministisches, migrantisches und aktivistisches Kunstschaffen gilt als politisch unliebsam und wird in diesem rauhen Klima zunehmend marginalisiert.

„Zu frech“ für die ÖVP

Die Kulturplattform Oberösterreich (KUPF OÖ) ist eine Interessenvertretung von über 160 oberösterreichischen Vereinen, Bühnen, Galerien und Clubs. Sie dokumentiert die haarsträubenden Budgetkürzungen, 2017 initiierte sie die medienwirksame Kampagne „Rettet das Kulturland OÖ“. Die neuen MachthaberInnen kommen mit diesem Selbstverständnis und Auftreten einer parteiunabhängigen, modernen NGO schlecht zurecht. Die Forderungen der Kulturschaffenden nach Transparenz, Entpolitisierung und Umverteilung werden als „zu frech“ (O-Ton eines schwarzen Kulturfunktionärs) empfunden.

Kultur-Millionen für den Motorrad-Showroom

Mitte 2019 landete die KUPF einen besonderen Coup. Thomas Diesenreiter, Geschäftsführer der Kulturplattform, entdeckte in den offiziellen Budgetberichten des Landes Hinweise seltsame Geldflüsse. Die Landesregierung hatte offenbar sehr viel Geld an den Motorradkonzern KTM überwiesen, unter anderem einen Millionenbetrag aus dem Kulturbudget. Zweck der Förderung war die Errichtung eines KTM-Showrooms („KTM Museum“ in Mattighofen). Die Enthüllungen sorgten für mediales Aufsehen.

Das Land und seine Kulturdirektion reagierten auf erstaunlich naive Weise. Anstatt den Fehler zuzugeben, leugneten die zuständigen Stellen, um später mit schlechten Ausreden und plumpen Halbwahrheiten zu argumentieren. Der Skandal erreichte dennoch bundesweite Aufmerksamkeit. Große Medien von ZiB bis Krone berichteten und immer mehr Fakten widerlegten die Darstellung des Landes. Das Sturschalten der KulturpolitikerInnen und die Hartnäckigkeit der KUPF führten dazu, dass mittlerweile die EU-Kommission und der Rechnungshof prüfen.

KTM ist nur die Spitze des Eisbergs

Der KTM-Skandal („#KTMgate“) ist ein besonderes Sahnehäubchen im oberösterreichischen Kulturkampf. Man muss fairerweise hinzufügen: Auch unter der früheren SPÖ-Regierungsbeteiligung hielt sich das Interesse an einer progressiven Kulturpolitik in Grenzen. Aber der Deal ist symptomatisch für ein provinzielles und wirtschaftshöriges Politikverständnis. KUPF deckte den KTM-Skandal auf – hinter vorgehaltener Hand munkelt man von etlichen ähnlichen Deals, die wohlverborgen in den Budgetberichten schlummern. Aktuell recherchiert die Tageszeitung „Oberösterreichische Nachrichten“ einen neuen Skandal. Es geht um den zweifelhaften Umgang mit Kulturgeldern samt Vertuschung bei der Adaption eines Kunstdepots für die Landesmuseen.

Die oberösterreichische Kulturpolitik bemüht sich also einerseits aktiv um die Schwächung der Freien Szene und ist andererseits äußerst kreativ bei der Verwendung von Kulturgeldern für eigene Zwecke – oder jene von Freunderln wie Stefan KTM-Chef Pierer. Hinzu kommt: Die eklatanten Anstiege der Förderungen für Burschenschaften bei gleichzeitigen Kürzungen im freien Kulturbereich, im Sozial- und Bildungswesen malen ein deutliches Bild vom massiven Rechtsruck, den OÖ seit 2015 erlebt.

Gradmesser für die Demokratie

Der Zeit ihre Kunst, der Kunst ihre Freiheit. Angesichts der oberösterreichischen Tragödie scheint es notwendig – und es ist ärgerlich, dass es offenbar notwendig geworden ist – auf die prinzipielle Relevanz von öffentlichen Förderungen für zeitgenössische Kunst, insbesondere für Freie Szenen und ihre Strukturen, in unserer Gesellschaft hinzuweisen. Sie sind Ausdruck davon, dass eine Gesellschaft mehr benötigt als schlanke Administration, ein bisschen Wohlfahrt und jede Menge Standortsicherung.

Kulturförderungen sind Signal einer Staatlichkeit, die sich für mehr interessiert als das unmittelbar Notwendige. Sowohl Rechtsextreme als auch Neoliberale stehen diesen Subventionen skeptisch gegenüber. Die einen fürchten ihre inhaltlichen Implikationen, die anderen halten sie für das marktfeindliche Relikt eines überbordenden Staates. Insofern sind Kulturpolitik und -subventionen als wichtige demokratiepolitische Gradmesser zu verstehen – aus ihnen lässt sich die ideologische Essenz eines Systems ableiten.

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