Wie Orbán mithilfe der Corona-Krise zum Diktator wurde

Der Corona-Virus veranlasst europaweit Staatschefs zur Krisen- und sogar Kriegsrhetorik. Das ist in Ungarn nicht anders. Am Montag verschaffte das Parlament Staatschef Viktor Orbán diktatorische Rechte.

Jeden Tag informiert der Fidesz-Politiker Viktor Orbán auf Facebook über neue Entwicklungen im Zusammenhang mit dem Virus. Die Regierung hat angesichts der Bedrohung eine eigene Seite eingerichtet. Auch in Ungarn gilt für die Menschen die Aufforderung zu Hause zu bleiben, Menschen hamstern Klopapier und Lebensmittel und die Regierung hat ein Hilfspaket für die heimische Wirtschaft angekündigt. Außerdem gilt dort nun wie auch in vielen anderen Ländern der Welt der nationale Notstand. Da hören allerdings die derzeitigen Gemeinsamkeiten zu Nachbarländern wie Österreich auf.

Orbán will nämlich noch einen Schritt weiter gehen: Er möchte per Dekret regieren. Wie lange dies möglich sein soll, will er selbst entscheiden können. Zurzeit braucht Orbán alle 15 Tage die Zustimmung für die Verlängerung des Notstands im Parlament – und das trotz Zweidrittel-Mehrheit, durch die er seit 2010 regiert. Der Parlamentsbetrieb soll jedoch gemäß dem Gesetzesentwurf in der Zwischenzeit ruhen. „Falschmeldungen“ sollen zudem mit fünf Jahren Haft geahndet werden. Kritiker*innen sehen darin massive Einschnitte in die demokratische Verfasstheit des Landes sowie die Pressefreiheit. Nun kommt auch das Militär ins Spiel. Es soll in ungarischen Städten patrouillieren dürfen und krisenwichtige Unternehmen schützen.

In Ungarn wird die Grenzpolitik nur fortgesetzt

Alle diese Maßnahmen stellen in Ungarn, anders als in vielen Ländern, keinen verzweifelten Versuch dar, die Ausbreitung des Virus zu stoppen. Wenn die ungarische Regierung die Grenzen hermetisch abriegelt, kann sie dies als Erfolg für ihre nationalistische Agenda verbuchen. Sie geht dabei so rigoros vor, dass nun 42 Menschen am Budapester Flughafen ausharren müssen, ohne zu wissen, wie es für sie weitergeht. Diese Maßnahmen stehen im Kontext eines menschenverachtenden Grenzregimes. Als sich Orbán über die Ursachen der Corona-Krise äußerte, gab er Migrant*innen die Schuld.

Die Transitzone für Geflüchtete an der serbischen Grenze hat die ungarische Regierung deshalb geschlossen. Ganz so, als wäre Corona nicht die Folge einer global eng vernetzten Welt und als hätte es seinen Weg nicht mit dem Flugzeug von Hubei in den Rest der Welt geschafft. Wenn es um die Suche nach Sündenböcken geht, dürfen natürlich Verschwörungstheorien rund um George Soros und die Opposition nicht fehlen. Diesmal müssen sich sogar ausländische Student*innen Vorwürfe gefallen lassen.

Corona als Härtetest für die Gesundheitsversorgung

Es ist letztlich nicht neu, dass Orbáns Partei Fidesz bewusst auf rassistische und antisemitische Erzählungen und Bilder zurückgreift. Damit versucht die ungarische Regierung gezielt die Aufmerksamkeit der Öffentlichkeit zu lenken. Denn vielerorts wird gerade die (Gesundheits-)Systemfrage gestellt. Der National Health Service (NHS) in Großbritannien steht kurz vor dem Kollaps. Er wurde über Jahrzehnte von konservativen Regierungen kaputt gespart. Die Gesundheitsversorgung der USA wird sich ebenfalls einer genauen Prüfung unterziehen müssen, sobald die Krise vorbei ist. Eine kritische Auseinandersetzung mit der Ausbreitung des Corona-Virus und dem Gesundheitssystem in den jeweiligen Ländern wird Orbán mit allen Mitteln vermeiden müssen. Schließlich liegt das öffentliche Gesundheitssystem in Ungarn am Boden, und zwar politisch gewollt.

Fidesz: Eine Krise jagt die nächste

Unbequeme Fragen will die Fidesz-Regierung daher vermeiden. Hinzu kommt, dass das scheinbar unangreifbare Fundament ihrer Macht immer mehr ins Wanken gerät. Bei den Kommunalwahlen im September 2019 gingen die Hauptstadt Budapest sowie weitere größere Städte an die Opposition. Eine Blamage für Orbán und sein Kabinett. Vor den Wahlen tauchte außerdem ein für Fidesz peinliches Enthüllungsvideo auf. Es zeigt Zsolt Borkai, den Bürgermeister der Stadt Győr, beim Sex mit einer Prostituierten auf einer Yacht in der Adria, und zwar auf Steuerkosten. Borkai inszenierte sich stets als gemäß christlicher Tradition lebender Familienvater. Nach dem Skandal wurde er als Bürgermeister zwar wiedergewählt, musste aufgrund des politischen Drucks aber schlussendlich zurücktreten.

Unterm Strich kann die ungarische Regierung profitieren

Trotz aller Rückschläge sieht die Ausgangslage für Orbán gut aus. Die ungarische Medienlandschaft steht hinter ihm. Die Anzahl der Corona-Fälle in Ungarn bleibt darüber hinaus mit 300 bestätigten Fällen vergleichsweise gering (Stand 27. März). Das schenkt ihm Zeit. Er nutzt sie, um sich als Landesvater zu inszenieren. Anstatt sich politischer Streitigkeiten hinzugeben, müsse man in diesen schwierigen Zeiten zusammenhalten, so Orbán. Auf dem offiziellen Regierungsportal versucht die Fidesz-Administration, bisweilen zu beschwichtigen. Die Berichterstattung über die Einschränkungen des öffentlichen Lebens in Ungarn sei übertrieben, wenn nicht sogar „Fake News“. So wäre das Parlament ohnehin nicht abstimmungsfähig, wenn die Hälfte der Abgeordneten fehlt, heißt es. Das allein sei somit noch keine Einschränkung der freiheitlichen Demokratie.

Vorerst gestoppt

Der Wert einer demokratischen Verfassung lässt sich indes an der Notstandsgesetzgebung ablesen. In Krisensituationen offenbart ein demokratisches System seine Robustheit. Sobald die Corona-Krise vorbei ist, werden sich viele Institutionen kritische Fragen gefallen lassen müssen. Offen bleibt, ob die Einschränkungen des öffentlichen Lebens weltweit und nicht nur in Ungarn konsequent zurückgenommen werden.

Vorerst hat die Opposition im ungarischen Parlament dafür gesorgt, dass das autoritäre „Corona-Dekret“ nicht verabschiedet wurde. Vier Fünftel der Abgeordneten hätten zustimmen müssen. Wenn auch die ungarische Demokratie sich in diesem kritischen Moment wehrhaft gezeigt hat, zeigt sich wie offen die momentane Situation ist. Dennoch sind die Oppositionsparteien zerstritten und kaum handlungsfähig. Orbán weiß das, er wird das Gesetz nächste Woche wieder zur Abstimmung bringen. Denn was er will, hat er Anfang dieser Woche bei einer Rede im Parlament den Oppositionsparteien ganz klar gesagt: „Wir werden diese Krise lösen, wenn es sein muss, auch ohne euch.“

Edit: Am 30. März stimmte das ungarische Parlament für das „Corona-Dekret“. Viktor Orbán kann von nun an per Dekret regieren.

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