GKN: „Manchen Situationen kannst du nicht mit dem Flugblatt begegnen“

Besetzte GKN-Fabrik Toskana

In der Toskana wagt eine kleine Gruppe GKN-Arbeiter:innen den Versuch, Selbstorganisierung und sozial-ökologischen Umbau in die eigene Hand zu nehmen. Doch das Experiment steht auf Messers Schneide, schreibt Christian Bunke.

Seit dem 9. Juli 2021 besetzen die ausschließlich männlichen Arbeiter der bei Florenz gelegenen Automobilzuliefererfabrik GKN „ihre“ Produktionsstätte. So lange dauert die unbefristete Betriebsversammlung bereits an, die seinerzeit aus Protest gegen eine angedrohte Fabrikschließung anberaumt wurde. Hinter der Besetzung steht ein Fabrikkollektiv von Arbeitern, die mit dieser Organisationsform die Passivität der „offiziellen“ Gewerkschaftsvertretung, der Metallgewerkschaft FIOM, zu überwinden versuchen. Die theoretischen Wurzeln des Kollektivs liegen im Operaismus der Fabrikkämpfe rund um den FIAT-Konzern der 1960er und 1970er Jahre. Sie reichen also bis in den italienischen „heißen Herbst“ des Jahres 1969 zurück. Daran erinnert die Belegschaft auch mit historischen Transparenten, die noch heute im Betriebsratsbüro der GKN zu besichtigen sind.

Der Stolz auf und die Beziehung zu vergangenen Kämpfen ist beim GKN-Fabrikkollektiv kaum zu übersehen. Auch nicht der Bezug zu heutigen revolutionären Bewegungen, wie etwa dem kurdischen Befreiungskampf in Rojava, dessen Fahnen und Embleme ebenfalls in der besetzten Fabrik zu bewundern sind. Doch handelt es sich hierbei um keine Revolutionsromantik. Was GKN-Arbeiter mit den Kurd:innen eint, ist der Wille, in einer stetig schwieriger werdenden Situation emanzipatorisch zu agieren.

Am Boden gebliebene Utopien

Der utopische Horizont der GKN-Belegschaft schwebt dabei nicht über den Wolken. Dario Salvetti reist als Sprecher des Fabrikkollektivs durch Europa. Er redet viel über „Kräfteverhältnisse“, „Schwierigkeiten“, und „eingeschränkte Handlungsspielräume“. Und da ist immer wieder der Satz, den Salvetti auch Mitte November im Rahmen einer Diskussionsveranstaltung an der Wiener Universität für Angewandte Kunst wiederholt: „Es gibt Situationen, denen kannst du nicht mit einem Flugblatt begegnen.“

Ein solcher Moment war die Flutkatastrophe vom 5. November 2023, die große Teile der Region rund um Florenz unter Wasser setzte. „Innerhalb weniger Stunden regnete es 200 Liter Wasser pro Quadratmeter“, erzählt Salvetti. Straßen wurden überschwemmt, Häuser beschädigt, Autos zerstört. Im Rahmen solcher Katastrophen gäbe es immer viel Kritik an den Staat, seine Inaktivität und sein Unvermögen, solche Ereignisse zu verhindern. „Als Kollektiv reden wir seit zwei Jahren davon, dass die Klimakatastrophe auch uns in Italien betreffen wird. Jetzt fühlen wir uns natürlich bestätigt.“ Aber das könne man nicht einfach auf ein Flugblatt schreiben. In solchen Situationen bräuchte es Solidarität und gegenseitige Hilfe.

Gegenseitige Hilfe

International bekannt geworden ist das Fabrikkollektiv bei GKN durch den Slogan „Insorgiamo!“, ein Kampfruf der italienischen Partisan:innenbewegung. Er bedeutet so viel wie „Lasst uns aufstehen!“. Doch dieser Slogan ist für die im Fabrikkollektiv aktiven Menschen ohne die Begriffe „Solidarität“ und „gegenseitige Hilfe“ nicht denkbar. In der Emilia Romagna bei Bologna gibt es bereits seit längerem Solidaritätsbrigaden, die bei Unwetterkatastrophen selbstorganisiert Hilfs- und Aufräummaßnahmen verrichten. Als im November die Fluten wüteten, gründete das GKN-Kollektiv eine eigene Solidaritätsbrigade. Die besetzte Fabrik wurde dafür zu einem sozialen Ort, um die gegenseitige Hilfe der betroffenen Nachbar:innenschaft zu koordinieren. Dies sei im Selbstverständnis des Fabrikkollektivs ein sehr wesentlicher Punkt, so Salvetti: „Die Fabrik ist nicht nur Produktionsort. Sie ist auch Ort der gesellschaftlichen Reproduktion und des sozialen Zusammenlebens.“

Mit diesem Ansatz kommen die GKN-Arbeiter in Konflikt mit dem Staat. Zwischenzeitlich versuchten Polizeieinheiten, die Hilfstätigkeiten auf dem Fabrikgelände für die Flutbetroffenen zu behindern. „Der Staat war zu diesem Zeitpunkt nicht bereit oder in der Lage, den Menschen zu helfen. Aber die bürokratischen Regeln des Staates existierten noch“, beschreibt Salvetti die Situation.

Konflikte mit dem Staat

Das sind die Begleiterscheinungen des Kampfes, der die Fabrik von Salvetti und seinen Kollegen retten soll. Über Monate hinweg haben sie gemeinsam mit solidarischen Wissenschaftler:innen an einem Plan getüftelt, um die Fabrik auf eine sozial-ökologische Produktionsweise umzubauen. Anstelle von Autoteilen sollen hier zukünftig Lastenräder und Fotovoltaik-Anlagen produziert werden. Letztere werden ganz ohne die Verwendung von Lithium und seltenen Erden auskommen. So will die GKN-Belegschaft die neokoloniale Ausbeutung von Rohstoffen vermeiden, wie Salvetti immer wieder stolz betont.

Auch hier gibt es Konflikt mit dem Staat. Ähnlich wie bei der Flutkatastrophe sei er nicht Willens und in der Lage, im Interesse betroffener Menschen zu intervenieren. „Wir mussten feststellen, dass Jahrzehnte neoliberaler Umstrukturierung das Know-How dafür zerstört haben, wie eine sich in Gemeineigentum befindliche Fabrik in staatliche Wirtschaftspläne eingefügt werden könnte“, sagt Salvetti.

Solidarische Anteile

Also wendete sich das Kollektiv einmal mehr an die Nachbarschaft. Und nicht nur an die, sondern auch an die Klimabewegung, antifaschistische Initiativen, soziale Zentren und feministische Gruppen. Die Idee: Soziale Bewegungen und die breitere Community sollen solidarische Anteile zeichnen, um die Finanzierung der geplanten neuen Kooperative abzusichern. Gleichzeitig sollen die so gewonnenen Anteilseigner:innen damit ein Mitspracherecht über die Entwicklung der Fabrik bekommen. Damit würde verstetigt werden, was während der Hochwasserkatastrophe im November bereits erprobt wurde: Eine Fabrik, die für die Bedürfnisse der Menschen produziert, und gleichzeitig ein Ort der Zusammenkunft und der Selbstorganisation ist – für die Arbeiter, aber auch für das Umland und assoziierte politische Initiativen. Diese Idee hat im Florentiner Umland eine Massenbasis. Zehntausende beteiligten sich an Solidaritätsdemonstrationen für die Initiative, die inzwischen den Namen „GFF – GKN For Future“ trägt.

Doch auch die Gegenseite schläft nicht. „Wir glauben, dass das Fabrikgelände in spekulatives Immobilieneigentum umgewandelt werden soll“, sagt Salvetti. Dafür spricht, dass der derzeitige Eigentümer der früher zum transnationalen Finanzunternehmen Melrose gehörenden Fabrik für den 1. Januar 2024 allen noch an der Besetzung beteiligten Arbeitern die Kündigung ausgesprochen hat. Die Besetzung wäre ab dann nicht mehr legal. Das könnte die Räumung bedeuten. Für die GKN-Arbeiter hängt nun in den kommenden Wochen alles von der, auch internationalen, Solidaritätsbewegung ab. „Wir Arbeiter sind für den Betrieb der Fabrik zwar zentral, wir können das Projekt aber nicht alleine verteidigen. Dafür braucht es die internationale Unterstützung. Jeder gezeichnete Anteil stärkt uns den Rücken für die Auseinandersetzungen, die nach dem 1. Januar 2024 kommen werden“, beschreibt es Salvetti.

Diesen Artikel findet ihr auch in der Dezemberausgabe von Contraste, der Zeitung für Selbstorganisation.

Foto: Valentina Ceccatelli

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