Veronica Lion lebt seit acht Jahren in Israel, nach Ausbruch des Krieges ging sie mit ihren Kindern nach Wien. Vor zwei Wochen entschied sie, nach Israel zurückzukehren. Ihr Text über die Absurdität, den Krieg vor Ort besser aushalten zu können.
Den ersten Teil ihrer Erzählung findet ihr hier.
Nach einem Monat entschieden wir, wieder nach Israel zurückzukehren. Ähnlich wie bei dem Entschluss, nach Ausbruch des Krieges nach Wien zu fliegen, geschah es auch dieses Mal in Absprache mit unseren benachbarten Freund:innen. Außerdem war dies der einzige Weg, mir die Flugreise mit zwei kleinen Kindern vorstellen zu können. Wieder war es keine einfache Entscheidung. Vor allem im familiären Umfeld gab es wenig Verständnis. Warum in eine aktive Kriegssituation zurückzukehren?
Obwohl ich ihre schüttelnden Köpfe verstand, hatten sich für mich bereits zu viele Gründe angesammelt, die mir das Gefühl gaben, dass es an der Zeit war zurückzufliegen, nach Hause. Zum einen, und das war wohl einer der ausschlaggebendsten Gründe, fühlten meine Kinder und ich die lange Abwesenheit ihres Vaters. Außerdem spürte ich den Druck, meiner Arbeit nicht nachkommen zu können. Auch wenn in Israel der Beginn des Semesters erst einmal auf Ende Dezember verschoben wurde, drehten sich die akademische Welt weiter.
Hat Wien Platz für linke Jüd:innen?
Die Welt drehte sich weiter, auch in Österreich, wo zwar alle entsetzt und besorgt sind, aber verständlicherweise ihren Alltagsproblemen nachgehen. Weniger verständlich ist meiner Ansicht nach, dass dies scheinbar die exzessive Notwendigkeit beinhaltet, sich zum Geschehen in Israel zu positionieren. Egal wieviel davon (nicht) verstanden wird. Unter anderem deswegen ließ sich der Krieg in Österreich schlechter aushalten. Nicht nur, weil ich mich zum ersten Mal in meinem Leben fragte, ob ich in der Wiener Öffentlichkeit Hebräisch sprechen will. Oder (wenn ich die Zeit gehabt hätte) ob ich zu explizit jüdischen Veranstaltungen gehen soll. Meine Enttäuschung über hiesige, linke, akademische und feministische Räume war selten so groß. Die flächendeckende Unfähigkeit oder der Unwille komplexe Gleichzeitigkeiten anzuerkennen ist schockierend.
Wenn linke Israelis und Palästinenser:innen den Schmerz der Gesamtsituation anerkennen können, wenn die Bewegung Standing Together, sofort nach Kriegsausbruch damit anfängt, jüdisch-arabische Gruppen zu mobilisieren um den Ausbruch lokaler Gewalt zu verhindern, dann ist es meiner Ansicht das Mindeste, dass linke Stimmen außerhalb dasselbe versuchen. Oder zumindest den kritischen Stimmen von Betroffenen Gehör verschaffen, anstatt die eigenen Parolen drüber zu brüllen. Jahrzehntelange intellektuelle Auseinandersetzung mit Theorien, die die Welt erklären sollen, verunmöglichen es scheinbar politisch komplizierte Realitäten wahrzunehmen. Etwa, die sexualisierte Gewalt des 7. Oktobers anzuerkennen. Tatsächlich habe ich mich während meines kurzen Aufenthalts in der Stadt in der ich aufgewachsen bin, in der ich politisiert wurde, gefragt, wo hier Platz für linke Jüd:innen ist.
Normalität im Krieg
Gleichzeitig hatten sich die Umstände, die unsere Abreise initiiert hatten, in Israel nicht dramatisch verändert. Der Waffenstillstand ist erst einmal vorbei. Wieder schrillt Tag und Nacht Raketenalarm an vielen Orten im Land. Weiterhin steht ein großes Fragezeichen über den Entwicklungen im Norden, die uns am meisten betreffen würden. Der Donner der vorbeidüsenden Kampfflugzeuge erinnert regelmäßig an die Kriegsrealität.
Aber wie an vielen Orten des Landes kehrte auch bei uns eine Form von Normalität ein, die einen großen Mitgrund für unsere Entscheidung, zurückzukommen darstellte. Kindergärten haben ihren Betrieb wieder aufgenommen, nachdem offiziell abgesegnete Schutzräume sichergestellt wurden. Sicherheitsteams, bestehend aus Freiwilligen, patrouillieren die Straßen. Gepackte Rucksäcke stehen immer noch am Gang bereit. Für den Fall, dass wir doch ein paar Stunden in einem Schutzraum im Nachbarshaus verbringen müssen, da wir keinen eigenen haben. Erst gestern habe ich mich gefragt ob wir vielleicht das Wasser in den vor einem Monat eingefüllten Plastikflaschen auswechseln sollten.
Tatsächlich lässt sich der Krieg hier absurderweise besser aushalten. Die verständlich obsessive Auseinandersetzung mit dem aktuellen Geschehen passiert hier aus Betroffenheit und politischer Notwendigkeit. Überall wird um die Toten getrauert und Bilder von Verschleppten geteilt. Und überall wurde gefeiert, als nach und nach Geiseln freigelassen wurden. Die Solidarität mit denjenigen, die ihre Heimatorte verlassen mussten ist groß. Ressourcen werden gesammelt, Unterkünfte organisiert. Die Solidarität mit den Familien der Geiseln ist so groß, dass ihr Ruf, die Rückkehr der Geiseln als oberste Priorität zu achten, über politische Gräben hinweg unterstützt wird.
Das gleiche Israel
Natürlich ist Israel auch noch das Israel vor dem 7. Oktober, in dem Menschen monatelang gegen den Justiz-Coup demonstrierten, der die Spitze der sich jahrzehntelang anbahnenden gesellschaftlichen Kluft und des dramatischen Rechtsrucks symbolisiert. Das Israel, das linke Aktivistin:innen verhaftet, weil sie sich zu regierungskritisch äußern. Das Israel, das mit seiner expansiven Siedlungspolitik vor Ausbruch des Krieges die Idee von Frieden in Vergessenheit gedrängt hat. Und das im Schatten des Krieges Siedler:innen mit noch mehr Waffen (ge)walten lässt. Das Israel und seine patriarchalen Militärstrukturen, das jungen Soldatinnen keinen Glauben geschenkt und ihre wiederholten Warnungen vor dem sich anbahnenden Angriff der Hamas ignoriert hat. Das Israel, das flächendeckend Waffen verteilt, ungeachtet des Anstiegs an vergeltungsmotivierter sowie häuslicher Gewalt. Das Israel, in dem sich Linke schon lange fragen, ob sie hier noch Platz haben.
Trotzdem lässt sich der Krieg hier besser aushalten.
Fotos: Veronica Lion