GameStop und die Hedgefonds: Ein Märchen ohne Held*innen

GameStop-Filiale

Seit Tagen ist überall von GameStop die Rede. Und davon, wie eine Gruppe Kleininvestor*innen angeblich große Hedgefonds in die Knie zwang. Mosaik-Redakteur Mahdi Rahimi erklärt, was passiert ist und warum wir es mit keiner schönen David-gegen-Goliath-Geschichte zu tun haben. 

Wer oder was ist dieses GameStop?

GameStop ist eine Einzelhandelskette in den USA, die Videospiele verkauft und vor allem in Malls Filialen hat. Da sich der Markt für Videospiele immer mehr in Richtung Online-Verkauf entwickelt, werden Läden wie GameStop immer überflüssiger und die Firma steckt in der Krise. Ihr Niedergang ähnelt dem Schicksal von Videotheken und hat sich in der Corona-Pandemie noch beschleunigt. Eine GameStop-Pleite sollte aber niemanden sehr stören, denn sie sind einer der schlimmsten Arbeitgeber in den USA.

In den Nachrichten heißt es, Hedgefonds wollten auf die Pleite von GameStop spekulieren. Was heißt das?

Einige Hedgefonds nahmen zuletzt die Probleme von GameStop zum Anlass, auf seine baldige Pleite zu wetten. Sie tun das, indem sie die Aktien von GameStop „shorten”. „Shorten”, übersetzt „Leerverkauf“, funktioniert so: Ein Fonds leiht sich die GameStop-Aktie gegen eine Gebühr von jemandem aus, der sie besitzt. Dann verkauft er die geliehene Aktie und hofft, sie später, wenn er sie zurückgeben muss, billiger neu kaufen zu können. Durch den Preisunterschied von teurerem Verkauf und günstigerem Kauf macht der Fonds einen Gewinn – aber nur, wenn der Aktienpreis von GameStop in der Zwischenzeit sinkt.

Man kann zu Leerverkäufen stehen wie man will, sie sind gängige Praxis und nicht unbedingt frei von Risiko. Denn wenn der Aktienpreis steigt, statt zu sinken, kann der Rückkauf um ein Vielfaches teurer werden. Bei GameStop reizten die Hedgefonds die Leerverkäufe so stark aus, bis am gesamten Markt mehr Leute gegen die Firma wetteten, als für sie.

Was hat das alles mit dem Internet und Robin Hood zu tun? 

In Foren auf Reddit und Discord kamen Kleininvestor*innen zusammen und entschieden sich, gemeinsam auf GameStop zu setzen – sie waren  „angepisst” von den Hedgefonds, die gegen GameStop wetteten. Viele der Kleininvestor*innen haben eine andere Verbindung zu GameStop. Um GameStop zu stützen und den Hedgefonds eins auszuwischen, gab es in den Foren einen kollektiven Aufruf, GameStop-Aktien zu kaufen. Die meisten Kleininvestor*innen nutzten dafür die Finanz-App Robinhood, auf der man spesenfrei in Aktien investieren kann. Es gab einen Run auf GameStop-Aktien und der Aktienpreis stieg stark an. 

Aha, es ist also eine David-gegen-Goliath-Geschichte, Kleininvestoren gegen große Hedgefonds?

Nicht ganz. Zuerst kamen noch andere Firmen dazu. Um die Käufe seiner Kund*innen durchzuführen, nutzt Robinhood die Firma Citadel Securities. Weil Citadel jedoch auch mit Hedgefonds Leerverkauf-Geschäfte mit GameStop-Aktien machte, spielten sie quasi auf beiden Seiten. Gleichzeitig waren sie durch ein Schwesterunternehmen in sogenannten Hochfrequenzhandel involviert. So konnte Citadel auf die GameStop-Trends reagieren, rasch selbst viele Aktien kaufen und verkaufen und damit ebenso Gewinne machen. Citadel ist nicht nur eine Clearingstelle zum Kauf von Aktien, sondern selbst einer der größten Hedgefonds in den USA.

Was zum Teufel ist Hochfrequenzhandel?

Hochfrequenzhandel ist mikrosekunden-schneller, automatisierter Handel mit Finanzprodukten, der auf Algorithmen basiert und von einigen größeren Finanzunternehmen benützt wird. Während normale Kleininvestor*innen am Tag vielleicht vier bis fünf Käufe oder Verkäufe durchführen, handeln Hochfrequenz-Fonds mehrere tausend Male. Sie machen derzeit knapp über 70 Prozent des weltweiten Aktienhandels aus. Wie „gefährlich” es sein kann, wenn mal irgendetwas in einem Algorithmus schief geht, zeigte der Flash Crash von 2010 (Wer dazu Nachlesen will: Es gibt ein ganz gutes Buch von Michael Lewis zu dem Thema).

GameStop, Hedge Fonds, Reddit-Foren und Hochfrequenzhandel: Wie hängt das alles jetzt zusammen?

Als die Reddit-Nutzer*innen anfingen, GameStop-Aktien zu kaufen, triggerte das die Algorithmen der Hochfrequenzhändler*innen, die ebenfalls zu kaufen begannen. Sie kauften Aktien und Optionen auf Aktien – also das Recht, später Aktien zu einem fixen Preis nachzukaufen. Es gab von mehreren Seiten Ansturm auf die GameStop-Aktie und ihr Preis stieg enorm an. Die Kleininvestor*innen waren letztlich für weniger als 30 Prozent des Handels an GameStop verantwortlich. Den Großteil betrieben Hochfrequenzhändler*innen.

Jene Hedgefonds, die gegen GameStop gewettet hatten, bekamen Probleme.  Am Ende haben einige von ihnen große Verluste gemacht, Firmen wie Citadel und Black Rock mit ihren Fonds aber große Gewinne und ein paar Reddit-User haben auch etwas Geld verdient.

Bei GameStop geht es also leider nicht um David gegen Goliath. Die Story, dass ein paar Menschen im Internet den Markt ausgetrickst und die bösen Hedgefonds das Fürchten gelehrt haben, ist eine tolle Story – sie stimmt aber so nicht unbedingt.

Also wie jetzt? Wer ist jetzt hier gut und wer ist böse?

Niemand ist wirklich gut, außer jene paar Reddit-User, die mit dem verdienten Geld ihren Familien medizinische Eingriffe bezahlen können. Wirklich böse ist nur GameStop, weil sie ein furchtbarer Arbeitgeber sind. Alle anderen machen halt, was sie machen – es sind nun mal Finanzmärkte. Die Hedgefonds, die so stark gegen GameStop gewettet haben, bis kaum mehr Aktien am Markt waren, sind aber wirklich Idioten.

Was lernen wir daraus?

Man sollte ein paar Dinge mit auf den Weg nehmen: Hedgefonds und Leerverkäufe kann man mögen oder nicht, sie sind aber nicht das Problem. Das oft geforderte Verbot von Leerverkäufen ist eine liebe Idee, läuft aber an den eigentlichen Problemen des Aktien- und Finanzmarkts 2021 vorbei. In den letzten Jahren wurde klar, dass Algorithmen-getriebene-Fonds das Spiel komplett geändert haben. Die Macht, die Firmen wie Black Rock und Citadel mittlerweile haben, ist so groß, dass man mit punktuellen Verboten nichts erreichen kann. 

Hochfrequenz-Fonds erzeugen durch ihr großes Handelsvolumen potenzielle Risiken und Schwankungen, die weit über jene anderer Finanzmarkt-Aktivitäten hinausgehen. Es gibt auch schon länger Stimmen, die vor einem von Algorithmen und Kettenreaktionen ausgelösten Crash warnen

Im Endeffekt ist es wichtig, Bewusstsein über alle diese Dinge zu entwickeln um die wirklichen Gefahren und Probleme zu erkennen. Das Problem der „Irrationalität” der Finanzmärkte kannte schon Marx. Wir leben aber in einer Welt des Hyper-Finanzmarktkapitalismus, der durch Hochfrequenz-Fonds eine unfassbare Skalierung erlebt. Bisher hat jede Innovation an Finanzmärkten einen größeren Crash verursacht. Wie schlimm dieser Crash sein könnte, ist auf Grund der Dimensionen schwer erfassbar, er würde aber bisher Erlebtes in den Schatten stellen.

Grafik: Jacobin

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