G20 in Argentinien: Gipfeltreffen im Krisenmodus

Am 30.November und 1.Dezember findet in Buenos Aires das 13. Gipfeltreffen der G20 statt. Aus diesem Anlass hat Mosaik-Redakteur Stefan Pimmer mit Bettina Müller von Attac Argentinien über die inhaltlichen Schwerpunkte des Gipfels sowie die Vorbereitung der Gegenproteste gesprochen.

Der G20-Gipfel voriges Jahr in Hamburg war unter anderem geprägt vom Ausstieg der USA aus dem Pariser Klimaabkommen sowie dem Streit um die Freihandelspolitik. Welche inhaltlichen Schwerpunkte stehen beim Gipfeltreffen in Buenos Aires auf der offiziellen Tagesordnung?

Der argentinische Präsident Mauricio Macri setzt andere Schwerpunkte als Angela Merkel damals in Hamburg. Seine Regierung will nicht in Konflikt mit den USA treten, da sie auf deren Unterstützung etwa bei der Kreditvergabe durch den IWF angewiesen ist. Deshalb stehen beim Gipfeltreffen in Buenos Aires strittige Themen wie die Klimapolitik oder der Streit um Freihandel nicht im Vordergrund. Macri setzt stattdessen auf die Themen Ernährungssicherheit, Zukunft der Arbeit und Infrastruktur für Entwicklung. Das sind alles Themen, die eng mit der fortschreitenden Technologisierung vieler Lebensbereiche verbunden sind. Die GipfelteilnehmerInnen orientieren sich zudem an einem der grundlegenden Ziele der G20, nämlich der Herstellung eines konstanten Wirtschaftswachstums.

Das Gipfeltreffen wird von einer tiefen wirtschaftlichen und politischen Krise Argentiniens überschattet. Die Inflation beträgt zu Jahresende mehr als 50 Prozent. Hinzu kommen Massenentlassungen sowie ein Anstieg der Armut und Ungleichheit. Welchen Einfluss hat diese Krise und der zunehmende Widerstand gegen Macris Sparpolitik auf das Gipfeltreffen?

Das G20-Treffen findet in einem Kontext statt, der von den massiven Sparmaßnahmen der Regierung geprägt ist. Aufgrund der desaströsen gesellschaftlichen Auswirkungen dieser Austeritätspolitik ist die Legitimität der Regierung stark gesunken. Macri will das Gipfeltreffen daher nutzen, um sich als großer Staatsmann zu präsentieren, der Argentinien „zurück in die Welt“ führt. Gerade im Hinblick auf die Wahlen im kommenden Jahr sucht er internationalen Rückhalt für seine Sparpolitik.

Bei den ärmeren Bevölkerungsschichten des Landes, die am meisten von den neoliberalen Maßnahmen der Regierung betroffen sind, kommt diese Strategie jedoch nicht gut an. Ihnen kann Macri wohl kaum erklären, warum er zwar mehr als 200 Millionen Dollar für die Durchführung des Gipfeltreffens bereitstellt, aber gleichzeitig dringend benötigte Ausgaben für Schulen, Krankenhäuser und öffentlichen Verkehr zurückhält. Es ist daher zu erwarten, dass sich der steigende Unmut über die Regierung auch im Rahmen des G20-Gipfels manifestiert. Dies erklärt wiederum die massiven Sicherheitsvorkehrungen, die für die Durchführung des Gipfels geplant sind.

Wie schon in Hamburg wird das Gipfeltreffen in Buenos Aires nicht ohne Proteste über die Bühne gehen. Welche Gruppierungen sind an der Organisation dieser Proteste beteiligt? Und welche Ziele haben sich die Organisator_innen gesetzt?

Es gibt ein breites Protestbündnis, das eine Reihe von Veranstaltungen im Vorfeld des Gipfels organisiert und über sechzig lokale und zwanzig internationale Organisationen umfasst. Dazu kommen noch weitere Gruppierungen, Gewerkschaften und linke Parteien, die für die Demonstration am 30. November mobilisieren. Das vorrangige Ziel des Protestbündnisses besteht darin, die Bevölkerung vor Ort über die Auswirkungen der Politik der G20 zu informieren. Zudem will das Bündnis auch konkrete Alternativen zu dieser Politik aufzeigen, etwa im Bereich Ernährung, Handel oder Schuldenpolitik.

In den letzten Monaten haben feministische Bewegungen die politische Landschaft Argentiniens entscheidend beeinflusst, vor allem im Kampf für eine Legalisierung von Abtreibungen. Spielen diese feministischen Kämpfe und Organisierungsprozesse auch bei den Gipfelprotesten eine Rolle?

Ja. Es gab im Dezember vorigen Jahres bereits eine Aktionswoche gegen das Treffen der Welthandelsorganisation in Buenos Aires. In diesem Rahmen wurde das Feministische Forum gegen Freihandel gegründet, das sich in der Zwischenzeit zum Feministischen Forum gegen die G20 umbenannt hat. Bei diesem Forum sind sowohl große Organisationen wie Ni una menos oder die Kampagne für die Legalisierung von Abtreibungen beteiligt, als auch viele kleinere feministische Organisationen. Zudem sorgt das Netzwerk für Frauen aus dem globalen Süden Dawn für internationale Vernetzung mit Asien und Afrika. Damit ist das Feministische Forum eines der am besten organisierten und vernetzten Gruppierungen, die an den Vorbereitungen der G20-Proteste beteiligt sind.

Beim letzten Gipfel in Hamburg kam es zu schweren Übergriffen seitens der Polizei. Auch die argentinische Regierung scheint auf Eskalation zu setzen. So empfahl etwa die Sicherheitsministerin Patricia Bullrich den Einwohner_innen von Buenos Aires, während des Gipfels die Stadt zu verlassen. Welche repressiven Maßnahmen sind von den Sicherheitskräften vor Ort zu erwarten?

Zum einen versucht die argentinische Regierung, mit einer medialen Angstkampagne die Bevölkerung von der Teilnahme an den Protesten abzuhalten. Den Einwohner_innen wurde nahegelegt, die Hauptstadt zu verlassen. Zudem wurden auch systematisch Berichte über mögliche Attentate während des Gipfels lanciert. Zum anderen werden die an den Protesten beteiligten Organisationen kriminalisiert und ihnen Gewaltbereitschaft unterstellt. Es kam bereits zu Hausdurchsuchungen in verschiedenen Stadtteilzentren, um dort nach angeblich gewalttätigen Zellen zu fahnden. Während des Gipfels selbst wird schließlich ein Großteil des Stadtzentrums zur Sperrzone erklärt, die von mehr als 30.000 in- und ausländischen Sicherheitskräften kontrolliert wird. Der öffentliche Verkehr wird massiv eingeschränkt, um damit die Teilnahme an den Protesten zu erschweren. Zudem ist nicht auszuschließen, dass die Regierung gewalttätige Zusammenstöße nicht unterbinden sondern bewusst provozieren wird.

 

Bettina Müller, Politikwissenschaftlerin und Mitglied bei ATTAC Argentinien und dem Bündnis Fuera G20 y FMI. Lebt in Buenos Aires und arbeitet zu Freihandelsabkommen und dem Investitionsregime beim Transnational Institute.

Stefan Pimmer, Sozialwissenschaftler mit Schwerpunkt Lateinamerika. Stipendiat am Instituto de Estudios de América Latina y el Caribe an der Universität von Buenos Aires.

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