Heute geht in Buenos Aires die 11. Ministerkonferenz der Welthandelsorganisation WTO zu Ende. Ihr Ziel ist es, neoliberale Politik und Sonderrechte für Konzerne in völkerrechtlichen Verträgen festzuschreiben, beschreibt Alexandra Strickner.
Unter dem Deckmantel von Handelsabkommen werden in Buenos Aires viele Dinge verhandelt, die eigentlich nichts mit dem Handel von Gütern zu tun haben. Zum Beispiel Datenschutz, öffentliche Dienstleistungen, Rechte an geistigem Eigentum oder Investitionen. Obwohl es dafür kein Mandat gibt, drängen etwa die EU, die USA und Japan in Buenos Aires auf globale Regeln für den Internet-Handel. Ihr Ziel: Unternehmen sollen weltweit Daten ohne Einschränkungen übertragen dürfen.
Noch mehr Macht für Amazon, Google & Co
Staatliche Maßnahmen für angemessenen Daten- und Verbraucherschutz für BürgerInnen bezeichnen sie dabei als „lokale Barrieren“, die sie abschaffen wollen. Diese grundlegenden Menschenrechte sollen im Interesse der Internet-Giganten aufgegeben werden.
So könnten Technologieriesen und Steuertrickser wie Amazon, Apple, Facebook, Google oder Microsoft ihre Monopolmacht noch weiter ausbauen. Prekäre und unsichere Beschäftigungsverhältnisse würden weiter zunehmen, lokale Klein- und Mittelbetriebe noch stärker unter die Räder kommen.
Regulierungshoheit wird eingeschränkt
Im Bereich der öffentlichen Dienstleistungen wollen Industrieländer wie die EU, Australien oder Kanada ein Rahmenwerk durchsetzen, das sogenannte „Notwendigkeitserfordernisse“ einführt. Neue Vorgaben oder Standards für ausländische Dienstleistungserbringer sollen „vernünftig“, „objektiv“, „transparent“ und „nicht belastender als nötig“ sein.
Damit würde ein Rechtsrahmen geschaffen werden, bei dem die WTO darüber entscheidet, welche Gesetze für ausländische Dienstleistungskonzerne zumutbar sind. Die demokratisch legitimierte Regulierungshoheit der Staaten würde dadurch massiv eingeschränkt werden.
Das trojanische Pferd der Konzerne
In Buenos Aires steht erstmals seit vielen Jahren auch der Bereich Investitionen wieder auf der WTO-Agenda – und zwar unter dem beschönigenden Titel „Investitionserleichterung für Entwicklung“. Ziel ist ein multilaterales Regelwerk, das vorgeblich Investitionen in die Länder des globalen Südens erleichtern soll. Obwohl umstrittene Themen wie Sonderklagerechte für Konzerne und private Schiedsgerichte a lá TTIP und CETA nicht Teil des vorgeschlagenen Themenkatalogs sind, wäre es ein Leichtes, diese rein zu reklamieren, wenn das Thema einmal verankert ist und verhandelt wird. Die „Invstitionserleichterungen“ können Konzernen so als trojanisches Pferd dienen.
Einmal mehr geht es also darum, Macht in Richtung global agierende Konzerne zu verschieben, um staatliche Regulierungen im Interesse der Allgemeinheit anzugreifen. Dass diese Agenda nun auf WTO-Ebene wiederkehrt, mag auch daran liegen, dass immer mehr Länder bilaterale Investitionsabkommen kündigen, die Konzernen Sonderklagerechte zugestehen.
Katastrophale Bilanz bei Ernährung und Klima
Die WTO-Abkommen sind auch eine wichtige Ursache der Verteilungs- und Klimakrisen. Dennoch soll weiterhin das Handelsvolumen mit Lebensmitteln erhöht werden, während die Länder des globalen Südens ihre Maßnahmen zur Sicherung der Ernährungssouveränität abschaffen sollen.
Kleinbäuerliche und ökologisch nachhaltige Landwirtschaft wird so zerstört. Somit können EU- und US-Agrarkonzerne Märkte mit billigen industriellen Nahrungsmitteln überschwemmen. Das indische Lebensmittelsicherungsprogramm etwa ist für 75 Prozent der ländlichen Bevölkerung von enormer Bedeutung. Es steht in der WTO seit Jahren unter Beschuss der EU und anderer Agrarexporteure. Das exportorientierte Produktions- und Konsummodell ist auch eine zentrale Ursache der Klimakrise. Zudem können Klimaschutzmaßnahmen, die den Welthandel einschränken, auf Basis der WTO-Abkommen verhindert werden.
Die Konzernagenda bleibt gleich
Um den Widerstand gegen ihre neoliberale Agenda zu erschweren, zeigen sich die Regierungen kreativ: Sie verhandeln Abkommen nicht nur auf Ebene der WTO, sondern parallel dazu zwischen mehreren Staaten (wie etwa TiSA) und bilateral wie bei TTIP, CETA oder zwischen der EU und afrikanischen Staaten. Das Forum ändert sich also, doch die Konzernagenda bleibt die stets gleiche.
Grundlegende Umgestaltung
Statt noch mehr Handel im Interesse von exportorientierten Konzernen braucht es eine völlig andere internationale Handels- und Investitionspolitik. Weltweit fordern soziale Bewegungen wie Via Campesina, Gewerkschaften und viele NGOs eine grundlegende Änderung. Die WTO muss Kompetenzen verlieren, Abkommen müssen grundlegend umgestaltet werden. Konkret bedeutet das:
- Menschenrechte und andere Abkommen wie das Pariser Klimaschutzabkommen müssen über Handels- und Investitionsabkommen und somit auch über WTO-Regeln stehen. Konzerne, die Menschenrechte verletzen, Arbeitskräfte ausbeuten und die Umwelt schädigen müssen im Rahmen eines – bereits geplanten – verbindlichen UN-Vertrages zu Rechenschaft gezogen werden können.
- Handelsabkommen müssen so gestaltet sein, dass sie lokalem Handel und regionaler Integration den Vorrang gegenüber globalem Handel geben und auf Kooperation basieren. Eine Wirtschaft der kurzen bzw. kürzeren Wege ist ein wichtiger Beitrag zur radikalen Reduktion von Kohlenstoffemissionen und damit zur Erreichung der UN-Klimaziele.
- Ernährungssouveränität muss Vorrang gegenüber der Liberalisierung des Agrarhandels bekommen.
- Öffentliche Güter und Dienstleistungen müssen aus Handelsabkommen zur Gänze ausgenommen werden.
- Die Einhaltung von hohen Arbeitsstandards und internationalen Umweltnormen muss ebenso zwingende Voraussetzung für den Abschluss von Handelsabkommen sein wie Instrumente, mit denen diese durchsetzbar werden.
- Der Schutz geistiger Eigentumsrechte muss abgeschwächt werden – etwa bei Medikamenten und Saatgut.
- Die Handelspolitik muss demokratisiert werden: Parlamente auf nationaler und EU-Ebene müssen in die Erarbeitung von Handelsverträgen von Anfang bis zum Ende mitentscheiden können, zivilgesellschaftliche Akteure müssen involviert werden.
Handel als Mittel zum Zweck
All diese Maßnahmen würden dazu führen, dass die Interessen von Mensch und Natur im Zentrum stehen. Sie schaffen Spielräume für politisches Handeln zur Umsetzung von Menschenrechten, Klimaschutz, guter Arbeit für alle oder qualitativ hochwertiger Daseinsvorsorge. Handel muss Mittel zum Zweck sein und nicht ein Instrument zur Durchsetzung von Profitinteressen.