Frankreich: Feministischer Streik gegen Pensionsreform

"Alles vögeln wird lebenswichtig" - Frau vor Graffiti in Frankreich

Seit Jänner mobilisieren Gewerkschaften in Frankreich gegen die geplante Pensionsreform. Durch die Streiks treten feministische Forderungen in den Vordergrund. Der 8. März ist deswegen der geeignete Zeitpunkt, um gewerkschaftliche und feministische Ansprüche zu vereinen, schreibt Anne von der Union Communiste Libertaire.

Seit die Regierung Macron im Jänner entschieden hat, das Pensionsalter zu erhöhen, befinden sich Gewerkschaften und Studierendenorganisationen in Frankreich auf der Straße. Mit einem landesweiten Streik, Straßenblockaden und, laut Gewerkschaften, über zwei Millionen Beteiligten, wollten sie gestern den Druck auf die französische Regierung erhöhen. Nun rufen sie zu einer Erweiterung des Streiks um den 8. März auf. Die geplante Reform Frauen könnte besonders schwer treffen, in öffentlichen Debatten um die Rentenreform setzten sich außerdem in den letzten Monaten vorrangig feministische Themen durch: Prekarisierung am Arbeitsplatz, unterbrochene Karrieren und miserable Renten. Der 8. März hat daher dieses Jahr eine besondere Bedeutung in Frankreich.

Ausbeutung am Arbeitsplatz und zuhause

Feministische Analysen machen den engen Zusammenhang zwischen der Ausbeutung der Frauen zuhause, ihrer Ausbeutung am Arbeitsplatz und ihrer Prekarität seit Jahren sichtbar: doppelter Tag – halber Lohn – halbe Rente. Dazu einige Beispiele: Frauen bekommen in Frankreich 40 Prozent weniger Pension als Männer. Auch für kommende Generationen sieht es nicht rosiger aus. Die optimistischsten Prognosen gehen noch 2037 von einem 16-prozentigen Renten-Unterschied zwischen Männern und Frauen aus. 19 Prozent der Frauen können es sich erst mit 67 Jahren leisten, die Pension anzutreten, um den erwähnten Unterschied auszugleichen. 82 Prozent der Teilzeitbeschäftigten sind Frauen. Ihr Durchschnittslohn ist um 22 Prozent niedriger als der von Männern. Gleichzeitig erledigen Frauen zwei Drittel der Hausarbeit. Die Doppelbelastung und die häusliche Ausbeutung von Frauen, ist also bis heute aktuell.

Das wirkt sich stark auf die Arbeitswelt aus. So sind es beispielsweise immer noch überwiegend Mütter, die nach Geburten geringere Arbeitszeiten eingehen oder ihre Erwerbstätigkeit unterbrechen. Sie sind es auch, die später Schwierigkeiten haben, eine gleichwertige – oder überhaupt eine – Stelle zu finden. Frauen sind also vor allem aufgrund der geschlechtsspezifischen Teilung von Hausarbeit und Reproduktionsarbeit so stark von der Pensionsreform betroffen. Sie hat dramatische Auswirkungen auf die finanzielle Unabhängigkeit und Selbstständigkeit der Frauen.

Wirtschaftliche Abhängigkeit und Gewalt in der Ehe

Arbeit von Frauen war lange – und ist bis zu gewissen Teilen bis heute – unbezahlt. Wird Hausarbeit heute in bezahlter Form fortgesetzt, sind diese Stellen unterbezahlt, prekarisiert und in ihrer gesellschaftlichen Stellung abgewertet. Dabei sind jene Berufe für die Gesellschaft unerlässlich, häufig sehr anstrengend und die Ursache vieler Berufskrankheiten. Wie lange müssen Frauen noch ihr eigenes Leben für das Leben anderer opfern?

Die strukturelle Verarmung von Frauen und ihre Abhängigkeit vom Einkommen ihrer Ehepartner führt dazu, dass alleinstehende Frauen in großer Armut leben, insbesondere am Ende ihres Lebens. Eine von sechs alleinstehenden Frauen im Alter von über 65 Jahren lebt in Frankreich unterhalb der Armutsgrenze.

Diese wirtschaftliche Abhängigkeit kann darüber hinaus in Gewalt in der Ehe münden. Die finanzielle Unsicherheit verhindert in manchen Fällen die Flucht vor gewalttätigen Ehepartnern. 21 Prozent der Femizide werden an Rentnerinnen begangen. Wie lange müssen Frauen noch wählen, ob sie in Armut leben- oder von einem gewalttätigen Mann abhängig sein wollen?

Gewalt gegen LGBTI+

Eine weitere Gruppe mit besonders prekären Arbeitsverhältnissen sind LGBTIQ+-Personen.Nach Angaben des Allgemeinen Gewerkschaftsbundes (CGT) hat jede dritte Person in den letzten fünf Jahren Diskriminierung erlebt. Elf Prozent der gemeldeten homophoben Handlungen fanden am Arbeitsplatz statt.Das Kollektiv „les inverti-e-s“ (Deutsch: Die Umgekehrten) beschreibt in einer Bestandsaufnahme spezifische Schwierigkeiten, mit denen LGBTI-Personen am Arbeitsplatz konfrontiert sind:

„Es gibt nach wie vor Lohnunterschiede für diejenigen, die ein Coming-out hatten. Das wirkt sich auch auf die Höhe der Renten aus. Von der Berufsorientierung in der Schule über die Karriereentwicklung bis hin zu den Schwierigkeiten beim Zugang zu Arbeitsplätzen – der Lebensweg von LGBTI-Personen ist von Gewalt geprägt. LGBTI+ sind aufgrund dieser Gewalt überproportional von Arbeitslosigkeit betroffen, die sich auf die Beitragszeiten auswirkt und Beitragszahlungen beeinträchtigt. Menschen, die mit HIV leben, Transpersonen oder von Rassismen betroffene Menschen, sind noch anfälliger für Anstellungsverweigerungen und Schwierigkeiten in der beruflichen Laufbahn”.

Eine gewerkschaftliche, feministische und queere Allianz

Die soziale Bewegung, die sich gerade in Frankreich im Aufbau befindet, zeigt nicht nur, dass Frauen verstärkt von der Rentenreform betroffen sind, sondern ermöglicht auch Forderungen vonseiten der LGBTI+-Bewegung. Feministische- und LGBT+-Organisationen sowie Gewerkschaften zu vereinen, ist essentiell. Nur so kann die Bewegung Forderungen rund um sexistische und sexuelle Gewalt am Arbeitsplatz sowie zur zerstörerischen Allianz von Kapitalismus und Patriarchat stellen. Die Gewerkschaften haben bereits angekündigt, den Streik bis zur gesetzgebenden Entscheidung über die Pensionsreform Ende März zu verlängern. Während der kommenden Demonstrationen und in den Gruppen, die die Streiktage vorbereiten, kann der Aufbau eines feministischen Bewusstseins auf breiter Ebene vorangetrieben werden. Ohne die Arbeiterinnen kann eine Gewerkschaft nicht gewinnen. In Frankreich gibt es dieses Jahr eine historische Gelegenheit, sich zusammenzuschließen.

Foto: Maximilian Le Roux

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