Mosaik-Redakteurin Anna Svec über kollektive und mediale Trauer, die nicht außerhalb von rassistischen Vorstellungen steht.
Nichts spricht gegen kollektive Trauer, im Gegenteil. Wenn eine Gesellschaft Anteil am Schicksal Anderer nimmt und Empathie für Trauer und Verlust von Angehörigen und Freund_innen zeigt, ist das gut und wichtig. Dass dabei manchmal Sensationslust an der Großinszenierung von Unglücken eine Rolle spielt, sei an anderer Stelle diskutiert. Kollektive Trauer wird jedoch nicht müde zu beweisen, dass sie viele Gesichter hat. Eines davon ist der unverhohlene Rassismus. Denn geht es nach der medialen Berichterstattung sind Tragödien nicht gleich Tragödien. Und vor allem Opfer nicht gleich Opfer. Erst die „richtigen“ Opfer machen eine ordentliche Tragödie. „Richtige“ Opfer müssen zwei Eigenschaften aufweisen: sie sind Weiß und aus dem globalen Norden. Die Ereignisse der letzten Wochen und Monate haben dies deutlich gezeigt. Während sich Ereignisse mit hohen Zahlen an toten oder verletzten Menschen geradezu überschlugen, tat es ihnen die mediale Berichterstattung nicht immer gleich. Und mit ihr die Reaktionen von Politiker_innen und Personen des öffentlichen Lebens.
Von Anschlägen und Massakern
Der Anschlag auf die Redaktion das Satiremagazin Charlie Hebdo rief ein enormes Echo hervor und Medien machten tagelang kaum Anderes zum Thema. Über das etwa zeitgleich verübte Massaker durch Boko Haram in Nigeria wurde zwar berichtet, jedoch in ungleich geringerem Umfang. Gleiches zeigt sich am Beispiel des, erst kürzlich abgestürzten Flugzeuges in Frankreich und dem Massaker an einer Universität in Nairobi. Der tragische Flugzeugabsturz füllte die Bildschirme wochenlang, den ermordeten kenianischen Student_innen wurde auf dem Onlineportal derstandard.at hingegen ein kleines Plätzchen in der Größe von Eric Freys nimmermüdem neoliberalen Krisenblog eingeräumt.
Manchmal muss eben etwas mehr auf die Pathos-Tube gedrückt werden, als ein andermal. Etwa, wenn Weiße Opfer zu beklagen sind, denn an der Opferzahl scheint es nicht zu liegen. Auch Distanz als Begründung ist wohl unwahrscheinlich, zog doch die Geiselnahme in einem australischen Café im Dezember 2014 ebenfalls ein beträchtliches Medienecho nach sich. Und Australien ist ja bekanntlich nicht gerade um die Ecke. Gleiches gilt auch für Beileidsbekundungen führender Politiker_innen, die auch nicht immer gleich portioniert zu sein scheinen.
„Westliche Werte“ und die „Anderen“
Mediale Berichterstattung steht nie für sich alleine, sondern in Wechselwirkung mit politischen Wertvorstellungen und gesellschaftlichen Verhältnissen. Es spiegelt sich in ihr auch der rassistische Normalzustand wider. Es scheint sich in vielen Köpfen so abzuspielen: Weiße Tote, das könnten „wir“ sein. Das ist die schreiende Botschaft hunderter Artikel und Berichte, etwa nach dem Anschlag auf Charlie Hebdo in Frankreich. Die Berichterstattung über die schrecklich gefährdeten „Westlichen Werte” stellt die rassistischen „Wir-und-die- Anderen“-Konstruktion immer wieder auf das Neue her. Differenzierte Hintergrundanalysen zum Anschlag an der kenianischen Universität schienen hingegen keine Zeile wert.
Es scheint einfach tragischer zu sein, wenn Weiße sterben. Tragisch, wenn sie durch andere Weiße sterben. Ungeheuerlicher Terror, wenn Weiße durch Schwarze sterben. Und wenn Schwarze durch Schwarze sterben, geht es „uns“ wohl einfach nichts an. Schlagzeilen sind also für Weiße Opfer reserviert. Ein weiterer Baustein eines rassistischen Systems, das viele Gestalten annimmt. Und das an allen Ecken und Enden bekämpft werden muss.
Anna Svec studiert Rechtswissenschaften an der Universität Wien und unterrichtet beim ‚Projekt Schule für alle‘ das Fach Politische Bildung. Sie interessiert sich vor allem für arbeits- und asylrechtliche Fragen und für antirassistische Projekte.