Alexander Maly zeigt am Beispiel der Geschichte des Herrn J., dass bei es bei Verschuldungen mit Lohnpfändung viele VerliererInnen gibt und eine Gewinnerin: die Bank.
Herr J. ist Straßenkehrer. Er ist ein guter Arbeiter und lieber Kerl, aber im Gespräch mit ihm wird sehr schnell klar, dass der Umgang mit Geld nicht das Seine ist. Da Herr J. sein Geld nicht „zusammenhalten“ kann, hat er eine Menge kleiner Schulden angehäuft. Im Kreditschutzverband ist er bereits mehrfach in der „Warnliste“. Nun geht er zu einer Bank, die bekannt dafür ist, dass sie riskante Kredite vergibt. Und tatsächlich, sie gibt ihm einen Umschuldungskredit in der Höhe von 35.000 Euro, rückzahlbar innerhalb von 10 Jahren mit einem Zinssatz von 12 Prozent pro Jahr. Die monatlichen Rückzahlungsraten machen 500 Euro aus – das ist ziemlich genau der Betrag, der auch im Falle einer Lohnpfändung gepfändet werden könnte. Schon im ersten Monat zahlt er die Rate nicht. Nicht aus Böswilligkeit, sondern, weil er Geld – sobald er es in der Tasche hat – für „FreundInnen“ ausgibt.
Seine chaotische Geldgebarung war der Bank, wie erwähnt, bei Kreditvergabe bekannt.
- Was hat die Bank also dazu bewogen, einen Kredit zu vergeben, der mit einer sehr hohen Wahrscheinlichkeit „auffällig“ wird?
- War die Kreditvergabe ein „Fehlverhalten“ eines Bankangestellten?
- Wird die Bank daraus lernen und ihre Strategie bzw. Schulung der MitarbeiterInnen in Zukunft ändern?
Nun, schauen wir uns an, wie die Geschichte weiter geht:
Herr J. hat anlässlich der Kreditaufnahme der Bank ein „vertragliches Pfandrecht“ an seinem Gehalt eingeräumt. Kaum jemand weiß, dass diese Klausel in praktisch jedem Kreditvertrag enthalten ist, aber sie führt dazu, dass, im Falle eines Zahlungsverzuges, die Bank von der/dem ArbeitgeberIn sofort das Pfändbare vom Gehalt verlangen kann. Im Fall von Herrn J. werden ihm also ab jetzt 500 Euro vom Gehalt abgezogen. Das wäre weiter nicht tragisch, denn die Kreditrate beträgt ja auch 500 Euro und es wäre – da er mit Geld nicht umgehen kann – ohnehin nicht schlecht, wenn er das Geld für die Kreditrate gleich gar nicht in die Hand bekommt. Nach 10 Jahren Gehaltspfändung wäre der Kredit auch ausbezahlt.
Doch die Realität sieht anders aus
Sobald der Kredit nicht gezahlt und also „fällig gestellt“ wird, darf die Bank Verzugszinsen verrechnen. Meistens „begnügen“ sich die Banken mit 5 Prozent zusätzlich zum ursprünglich vereinbarten Zinssatz. Im Fall von Herrn J. lässt sich leicht ausrechnen: nun beträgt der monatliche Zinsenzuwachs rund 500,- Euro. Das heißt, die Bank erhält die ursprünglich vereinbarte Rate, aber damit werden nur noch Zinsen, aber kein Kapital mehr bezahlt. Der Kredit bleibt immer gleich hoch, es gibt keine Tilgung!
Herr J. ist ein guter Arbeiter und wird bis zu seiner Pension in 15 Jahren denselben Arbeitgeber haben. Also wird bis zur Pension jedes Monat die ursprünglich vereinbarte Rate an die Bank abgeführt. Da aber keine Kapitaltilgung erfolgt, wird die Bank anschließend auch seine Pension pfänden und – so lange er halt lebt – in etwa die ursprüngliche Ratenhöhe erhalten.
Sollte er kurz vor seinem Lebensende noch Vermögen geerbt haben, wäre das auch weg, da die Bank ja noch mit der vollen Kapitalforderung in die Verlassenschaft gehen kann.
Ein „Bombengeschäft“ für die Bank!
- Ab Fälligstellung kann sie jetzt stets den deutlich höheren Zinssatz (Normalzinssatz plus Verzugszinssatz) verrechnen.
- Im Gegenzug braucht die Bank alle Vorschriften nach dem Konsumentenschutzgesetz (Verständigungspflichten, Jahresabschlüsse,…) nicht mehr einhalten.
- Die Bank erhält in etwa die ursprünglich vereinbarte Rate – nun aber zeitlich nicht mehr limitiert, da wegen der höheren Zinsen keine Kapitaltilgung mehr stattfindet
- Die Bank bucht den Kredit aus („Wertberichtigung“) und macht dies als Verlust bei ihrer Steuererklärung geltend
- Die Bank darf alle Einnahmen aus einem ausgebuchten Kredit „steuerschonend“ verbuchen, da keine Zweckbindung mehr gegeben ist
Diesem fünffachen Nutzen für die Bank stehen gleich drei VerliererInnen gegenüber:
- Der Bankkunde oder die Bankkundin, der/die – zwar selbst verschuldet, aber ganz offensichtlich von der Bank geplant – auf das Eis geführt wurde und dabei, wie erwartet, ausgerutscht ist
- SeinE ArbeitgeberIn, der/die jetzt, dank der Exekutionsordnung „Inkassobüro“, gegenüber seinem/seiner ArbeitnehmerIn spielen muss
- Die gesamte Volkswirtschaft, da Herrn J.‘s frei verfügbares Einkommen auf Dauer geschrumpft ist und dem täglichen Konsum – immerhin nach Meinung der WirtschaftsforscherInnen die Stütze der Wirtschaft – entzogen wird
Dem Bankangestellten oder der Bankangestellten kann also in wirtschaftlicher Hinsicht kein Vorwurf gemacht werden. Er oder sie hat seiner/ihrer Bank – dank den Bestimmungen rund um die Exekutionsordnung – zu einem fast arbeitsfreien, stetigen Einkommen verholfen. Daher hat auch die Bank wenig Interesse, an der Vorgangsweise etwas zu ändern. Dass die moralische Komponente nicht so ganz sauber ist, stört nicht, denn da gibt es die bekannte Vorwärtsstrategie.
Die Moral wird nur gegenüber Herrn J. geltend gemacht: er hat durch seinen Zahlungsverzug alles ins Rollen gebracht. Selbst schuld, jetzt muss er halt leiden.
Alexander Maly ist ausgebildeter Sozialarbeiter und Geschäftsführer der Schuldnerberatung Wien.