Sie kürzen Millionen bei der Integration und segregieren Kinder in der Schule, anstatt sie gemeinsam lernen zu lassen. ÖVP und FPÖ fahren einen Kurs der aktiven Desintegration. Dabei helfen die geplanten Deutschklassen Schüler*innen noch nicht einmal, besser Deutsch zu lernen, meint Flora Petrik.
Die schwarz-blaue Regierung will sogenannte „Deutschförderklassen“ in Österreichs Schulen. Kinder mit wenig Deutschkenntnissen sollen von jenen ferngehalten, die Deutsch bereits besser beherrschen.
Dieser Vorschlag spricht schon auf den ersten Blick gegen alles, was vernünftig ist. Kinder, die noch nicht lange in Österreich sind und Deutsch nicht gut beherrschen, sollen aus dem Klassenverband genommen werden. Weit weg von den Kindern, von und mit denen sie Deutsch lernen können. Eltern, die nicht die richtige Sprache sprechen, sollen auch gleich mit abgestraft werden. Wenn sie sich „weigern“, beim Spracherwerb der Kinder mitzuwirken, drohen ihnen „verwaltungsstrafrechtliche Konsequenzen“.
Mehrsprachigkeit als Manko
Anstatt Geld dorthin zu stecken, wo es gebraucht wird, nämlich in inklusiven Unterricht, in dem auf alle Kinder nach ihren Bedürfnissen eingegangen werden kann (und da gibt es noch mehr Bedürfnisse als Unterstützung beim Sprachenlernen), werden Kinder auseinanderdividiert. Anstatt Unterricht so zu gestalten, dass die Mehrsprachigkeit der Klassengemeinschaft und all die Potentiale der mehrsprachigen Schüler*innen genutzt werden, gilt Deutsch als das einzig Wahre und alles andere als Manko.
Anstatt zu überlegen, wie man Angebote in den Migrationssprachen mit Angeboten der Deutschförderung verknüpfen könnte, wird jede Abweichung von der deutschen Norm sanktioniert.
Einsprachige Schule, mehrsprachige Gesellschaft
Dabei zeigen wissenschaftliche Studien schon lange, dass das explizite Vergleichen von Sprachen das sprachliche Lernen fördert und das sprachliche Bewusstsein stärkt. Wie kann man bestimmte syntaktische Strukturen des Arabischen auf das Deutsche beziehen? Welche Ähnlichkeiten gibt es bei der Formulierung von Fragesätzen auf Tschetschenisch und auf Deutsch? Welche Verbindungen kann man zwischen dem türkischen und dem persischen Wortschatz knüpfen?
Migrationssprachen sind eine Ressource, kein Fehler. Eine Ressource, über die sich Kinder und Jugendliche die Welt aneignen. Doch obwohl wir in einer mehrsprachigen Gesellschaft leben, baut die Schule auf einsprachigen Unterricht auf.
Gegen wissenschaftliche Erkenntnisse
Die gesonderten Deutschklassen sind also auch unter dem Gesichtspunkt des Spracherwerbs eine schlechte Idee. Denn Sprachunterricht ohne Fachunterricht macht im Kontext Schule kaum Sinn.
Um den Siedepunkt von reinem Wasser bei Normaldruck zu berechnen, brauche ich ganz andere Sprachkenntnisse als in rein alltagssprachlichem Unterricht überhaupt erworben werden können. Die Pläne von Schwarz-Blau widersprechen damit jeder gängigen Spracherwerbstheorie.
Status: außerordentlich abgewertet
Dazu greifen eigene Deutschklassen auch das Selbstbewusstsein von Schüler*innen massiv an. Schüler*innen, die in eigene Deutschklassen gesteckt werden, erhalten auch kein Zeugnis über ihre Leistungen. Sie gelten dann als nicht als gleichwertig mit ihren Schulkamerad*innen – weil sie verschiedene Zugänge zu verschiedenen Sprachen haben, ob zu ihrer Erstsprache, einem Dialekt oder einer neu erworbenen Sprache.
Die Regierung plant, dass Kinder nach dem erfolgreichen (!) absolvieren der Deutschklassen den ganzen Jahrgang wiederholen müssen. Somit sind sie immer ein paar Jahre älter als ihre Klassenkolleg*innen und verlieren bis zu zwei Jahre ihrer Schullaufbahn. Aufgrund des fehlenden Fachunterrichts wird es Schüler*innen aus diesen Deutschförderklassen schlichtweg verunmöglicht, in die nächsthöhere Schulstufe aufzusteigen – der Zugang zu Bildung wird ihnen erschwert.
Wohin kommt das Geld, das bei der Integration fehlt?
Während Fachleute beklagen, dass es nicht einmal genug ausgebildete Pädagog*innen gibt, um diesen Irrsinn durchzusetzen, werden gleichzeitig erfolgreiche Integrationsprojekte abgedreht: Kaum mehr Geld für Deutschkurse und Trainings für Asylwerber*innen, keine Mittel für Projekte, die Asylwerber*innen einen besseren Einstieg in den Arbeitsmarkt ermöglichen. Doch wohin geht das Geld, das jetzt bei der Integration fehlt? Das Geld, das Projekten wie „Kicken ohne Grenzen“ gestrichen wird?
Man kürze keine Gelder, heißt es von offizieller Stelle, man schichte sie nur um. Und wohin wird geschichtet? Zum Beispiel zum International Center for Migration Policy Development (ICMPD), das nächstes Jahr 400.000 Euro kassieren soll und zufällig vom früheren ÖVP-Chef Michael Spindelegger geleitet wird.
Das ist also die Veränderung die Kurz im Wahlkampf versprochen hat. Kurz und Konsorten wollen nicht, dass sich irgendetwas hin zu einem positiven, guten Miteinander verändert. Auch „Sparen“ spielt keine Rolle. Schwarz-Blau geht es bewusst darum, uns zu spalten und gegeneinander auszuspielen. Nennen wir es doch beim Namen: Die Verschlechterung hat begonnen. Und das mit jeder einzelner der bevorstehenden Maßnahmen.
Flora Petrik ist bei den Jungen Grünen aktiv und studiert Bildungswissenschaften und Germanistik in Wien. Momentan forscht sie zu Differenz in Schulklassen.