Was ist uns Mauthausen wert? Zur politischen Instrumentalisierung des Gedenkens

Seit der österreichische Staat an der KZ-Gedenkstätte Mauthausen seiner Verantwortung nachkommt, also seit 1947, ist das Geld für die Gestaltung und den Betrieb knapp. Besser gesagt: die Mittel werden knapp gehalten. Wenn dann doch Geld fließt, wie zuletzt Anfang der 2000er, hat das seinen Preis. Denn der symbolische Wert Mauthausens ist hoch. Ein Kommentar von Wolfgang Schmutz.

Auch wenn das für Mauthausen letztverantwortliche Innenministerium gerade den tiefen Staat probt und es damit neue Wendungen gibt, die parteipolitische Instrumentalisierung an der Gedenkstätte Mauthausen hat eine lange Tradition. So wurden schon in den 1960ern die zentralen baulichen Erinnerungen an jüdische Häftlinge und die in der sogenannten „Mühlviertler Hasenjagd“ gemeuchelten Sowjetsoldaten getilgt, weil das Geld zur Erhaltung fehlte. Für ihre Zustimmung bekamen die „politischen“ Überlebenden ein Museum versprochen, das Bruno Kreisky 1970 einweihte. Österreich als Opfer rückte damit noch mehr ins Zentrum.

Zu Beginn der 2000er wurde eilig ein Besucher_innen-Zentrum errichtet. Denn Österreich musste unter der ersten schwarz-blauen Regierung umgehend beweisen, wie sehr es in die NS-Vergangenheit investiert – jetzt, da die Freiheitliche Partei erstmals mitregierte. Deren „Einzelfälle“ und Gründungsgeschichte waren schon damals international bekannt. Auch die ÖVP verfolgte den eigenen Nutzen. Bei der Eröffnung des neuen Gebäudes entwendete Innenminister Ernst Strasser einem Überlebenden die Schere. Er gab sie einem anderen, den er kannte, um das Band Seite an Seite mit ihm zu durchschneiden.

Kürzung und Ausgliederung

Ab 2006 investierte die Republik erstmals nennenswert in die Pädagogik vor Ort. Doch nach sieben Jahren zäher Aufbauarbeit wurde der Vertrag des pädagogischen Leiters 2013 plötzlich nicht mehr verlängert. Das Argument: Man habe dafür kein Geld mehr. Auch nach einem einjährigen Provisorium wurde die Leitung nicht ausgeschrieben, denn dafür fehlte weiterhin das Geld, so sagte man. Ich verschaffte es dem Innenministerium durch die Auflösung meines Dienstverhältnisses als provisorischer Co-Leiter der pädagogischen Abteilung der Gedenkstätte.

Schließlich ging letztes Jahr die „Auslagerung“ der Gedenkstätte über die Bühne. Die Gedenkstätte Mauthausen sowie seine Nebenlager gehörten bis dahin zur Sektion 4 des Innenministeriums. Nun wurden sie eine Bundesanstalt öffentlichen Rechts, mit eigener Rechtspersönlichkeit. Doch weder ist die Abhängigkeit vom Innenministeriums damit Geschichte, noch sind weitere langjährige Defizite damit behoben. Die beratenden Gremien behalten ihren Status als Feigenblätter, die Vorgänge im Inneren bleiben intransparent und die Mittel knapp. Die Gedenkstätte soll nun Drittmittel einwerben, um Entwicklungen zu finanzieren, die man zuvor ausgetrocknet hat. Auf der Liste stehen etwa die Außengestaltung und ein dezentrales Ausstellungskonzept, seit 2009.

Profit durch Schwarz-Blau

Sind das alles bloß Einzelfälle oder doch Hinweise auf ein grundsätzliches Problem? Nun, die Liste ist unvollständig. Die Probleme wurden von pädagogischen Mitarbeiter_innen schon vielfach öffentlich dargelegt. Doch das Echo darauf blieb stets aus. So hoch der symbolische Wert des zentralen Erinnerungsortes Mauthausen ist, so gering ist das Interesse an den dortigen Missständen. Warum ist das so?

Ausgerechnet in den frühen 2000ern, im Windschatten der schwarz-blauen Bemühungen um internationale Reputation, zeichneten sich erstmals substantielle Verbesserungen ab. Verwundert, aber durchaus angetan ergriffen österreichische Zeithistoriker_innen die Gelegenheit beim Schopf, auf die man so lange gewartet hatte. Jahrelang hatten sie um eine adäquate Gedenkstätte in Mauthausen gekämpft. Nun schien die Wende möglich, war ihre Expertise gefragt.

Seitdem unterlassen es viele in der „Szene“ weitgehend, offen Kritik zu üben. Warum wurde noch nie hörbar gefragt, was die damalige Mitarbeiterin Ernst Strassers und heutige Direktorin Barbara Glück eigentlich für ihren Job qualifiziert hat? Warum wurde nicht öffentlich bemängelt, dass die Empfehlungen des Neugestaltungsbeirats nie als verbindlich verstanden wurden? Warum spricht niemand der ministerialen Bürokratie ihren überbordenden Einfluss im jetzigen Kuratorium ab?

Das große Schweigen

Lädt 2014 jemand dazu ein, sich aktiv an der Diskussion über die „Auslagerung“ zu beteiligen, wie der Museologe und Kurator Martin Fritz, oder stellt jemand organisatorische Alternativen wie der Grüne Harald Walser in den Raum, dann bleibt das Echo aus. Werden Missstände offen angesprochen, stellt man substantielle Fragen wie die Vermittler_inneninitiative, tauchen so gut wie keine Verbündeten vor den Mikrofonen auf. Auch die junge Generation an Historiker_innen spricht nicht über Mauthausen. Warum nicht? 

Ist es etwa die Dankbarkeit für das, was in den letzten beiden Jahrzehnten doch noch in Bewegung geraten ist? Ist man froh, dass es überhaupt etwas gibt, nach all den Jahrzehnten erinnerungskultureller Wüste? Wenn dem so ist, birgt das eine große Gefahr. Worüber man gerade noch froh ist, das kann morgen schon verschwinden – weil nicht gesagt wurde, warum man unbedingt viel mehr davon braucht.

Mit wehenden Fahnen

Auch der zentrale Gedenkverband sekundiert in Sachen Dankbarkeit. Die Arbeitsteilung scheint zu lauten: Die Gedenkstätte wird staatlich organisiert, dafür darf das Mauthausen Komitee Österreich (MKÖ) alljährlich die Befreiung feiern. Zudem kann es rechtsradikale Äußerungen brandmarken. Im Auftrag der Überlebenden und ihres Schwurs, doch das eigentliche Faustpfand sind die Toten.

Als zynisch gilt das nicht. Ebenso wenig wie die Erwartungshaltung gegenüber dem Staat. Eine Gedenkstätte ohne parteipolitischen Einfluss, wie soll das in Österreich gehen, fragte der MKÖ-Vorsitzende Willi Mernyi belustigt bei einer Diskussionsveranstaltung im Jahr 2015. Mernyi, zugleich Bundesgeschäftsführer der Fraktion Sozialdemokratischer GewerkschafterInnen, erntete Lacher dafür. Und sprach auch den restlichen Abend für die am Podium heiser gewordene Barbara Glück, in trauter Wir-Form.

Kranzabwurf und antifaschistische Verharmlosung

Es liegt ein schwerer Mantel des Schweigens über den Defiziten Mauthausens, ja der historisch-politischen Bildung an sich. Der Saum des Mantels reicht weit über die Gedenkstätte hinaus. In güldenen Lettern ist das Wort „Erinnerungskultur“ darauf gestickt. Darunter ist die Republik nackt. Man möge uns jedoch im Zeremoniell, beim Kranzabwurf bitte nicht stören, hat Eva Menasse einmal so schön geschrieben. Das Erinnern begeht man noch immer gerne andächtig, ohne störende Zwischenrufe. In der Trauer um die Opfer ist man wunderbar selbstvergessen, seiner eigenen Verantwortung angenehm entrückt. Soweit es die Gedenkfeiern betrifft.

Aber was ist dann mit all den mahnend Rufenden, öffentlich Redenden in diesen Tagen der Erinnerung? Wenn sie die Analyse der Geschichte und die Antwort darauf zu einer parteipolitisch instrumentalisierbaren machen, dann hauen sie gehörig daneben. Mit ihrem ideologischen Fokus, gepaart mit einem über jeden Zweifel erhabenen Moralverständnis laufen viele Antifaschist_innen seit jeher Gefahr, die historischen Ereignisse und damit den Holocaust zu verharmlosen.

Gute Konjunktur, was nun?

Derweil werden die Anforderungen aus der Gegenwart vielfältiger und größer, wird die autokratische Brise steifer. In diesen Zeiten des gesellschaftspolitischen Wandels müsste eine humanistisch orientierte politische Bildung doch Konjunktur haben, könnte man meinen. Hat sie auch, nur wird ihr Stattfinden nach wie vor von öffentlichen Subventionsgebern, politischen Gremien und Parteiideologien abhängig gemacht. Ist man so brav, schafft man sich selbst ab.

Will eine Pädagogik zu Nationalsozialismus und Holocaust in der gesellschaftlichen Gegenwart relevant sein, dann ist nicht nur wichtig, womit und wie sie arbeitet, sondern auch in welcher Umgebung, auf welcher Basis. Eine Gedenkstätte für die Gesellschaft sähe jedenfalls gänzlich anders aus, und sie würde auch andere Formen von Wirksamkeit entfalten. Wer sich darüber den Kopf zerbricht, hätte auch die zu vermittelnde Geschichte besser verstanden.

 

Wolfgang Schmutz arbeitet vorwiegend in den Bereichen Zeitgeschichte, Holocaust und Civic Education, als Lehrveranstaltungsleiter, freier Pädagoge und Kurator.

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