Über die Politik der Lager: Freiheitsentzug mit System

Die Asylpolitik hat sich unter Schwarz-Blau weiter verschärft, die Regierung hat mit der Reform 2018 eine weitere Tendenz festgeschrieben: Asylwerber_innen werden so gut es geht von der restlichen Bevölkerung abgeschottet und ferngehalten. Ihre Freiheitsrechte zählen kaum mehr etwas. Eine “Politik der Lager” nennt das die Deserteurs- und Flüchtlingsberatung im Interview, das Klaudia Rottenschlager geführt hat.

Was waren und sind eure größten Herausforderungen der letzten Jahre?

Das gesamte Asylrecht erscheint wie ein Torso, den die Antragstellenden eigentlich gar nicht mehr durchblicken können. Es ist sehr schwierig zu durchschauen, welche Regelungen wann und wie greifen. Für unsere Klient_innen stellt das eine unglaublich schwierige Situation dar. Eine der größten Herausforderungen sehen wir im Ausbau des österreichischen Rückkehrregimes.

Was umfasst dieses Rückkehrregime?

Über die Jahre wurde ein ausgeklügeltes Regime entworfen, um Menschen im Asylverfahren und nach negativem Abschluss desselben zu kontrollieren und ihre Bewegungsfreiheit massiv einzuschränken. Ihre Mitwirkungspflichten sind stark gestiegen, während sich die Verfahrensqualität nicht verbessert hat.

Was meint ihr mit Mitwirkungspflichten?

Nur als Beispiel: Abgelehnte Asylwerber_innen ohne Reisepass, die in ihr Herkunftsland gebracht werden sollen, brauchen ein Heimreisezertifikat und der österreichische Staat ist daher auf die Ausstellung dieser Zertifikate durch die Herkunftsländer angewiesen.

2017 wurde die gesetzliche Grundlage dafür geschaffen, dass Menschen, deren Asylantrag abgelehnt wurde, verpflichtet werden können, ihre Botschaft aufzusuchen und dieses Dokument zu beantragen. Kommen die Betroffenen dieser Pflicht (nach Einschätzung der Behörden) nicht nach, können sie in Beugehaft genommen werden. Sie werden eingesperrt, um ihren Willen zu brechen und sie zur Mitwirkung zu zwingen.

Ist das rechtens?

Unserer Ansicht nach nicht. Das Gesetz entspricht nicht den Vorgaben der europäischen Rückführungsrichtlinie. Es ist rechtswidrig, denn eine derartige Haft ist hier nicht vorgesehen. Man hat zwar die Möglichkeit gegen diese Freiheitsbeschränkung eine Beschwerde zu erheben, jedoch hat sich das Bundesverwaltungsgericht bis heute nicht mit den EU-rechtlichen Vorgaben auseinandergesetzt, sondern andere Gründe gefunden, die Haft als unzulässig zu erklären.

Wir gehen davon aus, dass die österreichische Bundesregierung von dieser Rechtswidrigkeit weiß und andere Wege sucht, um dieses Vorgehen zu legalisieren. Es gibt jetzt – während der österreichischen EU-Ratspräsidentschaft – Diskussionen, dass diese Beugehaft ins Unionsrecht aufgenommen werden soll.

Wie ist die derzeitige Lage in Schubhaftzentren?

In Wien gibt es zwei große Schubhaftzentren, das Polizeianhaltezentrum (PAZ) am Hernalser Gürtel und das PAZ bei der Rossauer Lände, und ein sogenanntes Familienschubhaftzentrum im elften Bezirk. Jedes weitere Bundesland hat ebenfalls Schubhaftzentren, wo Menschen ihre Freiheit zur „Sicherung der Ausreise“ entzogen werden kann. Derzeit sind diese Schubhaftzentren ausgelastet. Aus eigener Erfahrung wissen wir, dass momentan vor allem EU-Bürger_innen in Schubhaft festgehalten sind. Das zeigt, dass dieser Freiheitsentzug nicht nur die Asylwerber_innen betrifft, sondern auch zunehmend Menschen aus den unmittelbaren Nachbarländern. Für uns ist das ein Zeichen des aufkeimenden Nationalismus.

Die neue Regierung stärkt die freie Handhabe von Beamt_innen im Umgang mit Asylwerber_innen in diesen Einrichtungen. Deshalb ist es so wichtig, dass Einrichtungen wie die Volksanwaltschaft und unabhängige Organisationen Zugang zu diesen Schubhaftzentren haben und ihre Kontrollrechte ausüben. Hier werden Menschen festgehalten, die sehr oft unglaublich verzweifelt sind. Wenn man sieht, wie diese Orte ausgestattet sind, welcher Betreuungsschlüssel dort herrscht und welche Beschäftigungsmöglichkeiten es gibt, ist das kein Wunder, dass die Verzweiflung noch verstärkt wird. Wir wissen von schlechten Dolmetscher_innen und unzureichender Übersetzung von Informationen, die nicht richtig verstanden werden. Vorfälle wie der Brand im PAZ Rossauer Lände sind traurige aber logische Folgen davon.

Wir reden viel von Freiheitsentzug. Wie kann man sich das bei abgelehnten Asylwerber_innen konkret vorstellen?

Es handelt sich um eine Freiheitsbeschränkung, weil Leute in teils abgelegene Bundeseinrichtungen, wo strenge Regeln gelten, gebracht werden können. Reden wir zum Beispiel über eines dieser Lager in Fieberbrunn in Tirol. Dort sind die Menschen hoch oben am Berg, fast zweieinhalb Kilometer vom nächsten Dorf entfernt untergebracht. Sie dürften zwar untertags das Quartier verlassen, müssen aber in der Nacht dort sein. Es gibt keinen Zugang zu öffentlichem Transport, außer einen von der Unterkunft betriebenen Bus, der einmal am Tag ins Tal fährt. Im ganzen Bezirk gibt es keine kostenlose Rechtsberatung. Die Menschen dürfen aber den Bezirk auch nicht verlassen.

Wie ist in diesen Fällen die Rechtslage?

Durch die jüngste Fremdenrechtsänderung 2018 hat die Regierung diese Politik der Lager fortgesetzt. Schon im Zulassungsverfahren können Menschen eine Anordnung zur Unterkunftnahme bekommen. Das bedeutet, dass sich die Personen über Nacht in einer bestimmten Unterkunft aufhalten müssen.

Diese gesamte Unterbringungslogik folgt einem klaren Ziel: der Abkehr vom früher vorherrschenden Dogma der Integration. Es soll keinen Kontakt der Mehrheitsbevölkerung mit Asylwerber_innen geben. Diese Maßnahmen und ihre Folgen werden sich in den nächsten Jahren verschärfen. Es soll so wenig Bewusstsein wie möglich für die Situation der Leute in den Lagern geschaffen werden. Integration würde bedeuten, dass Österreich auch aus humanitären Gründen Aufenthaltstitel gewähren müsste. Durch Separierung versucht man heute vom ersten Moment an Situationen der Solidarität zu verhindern.

Wie ist es möglich, dass Menschen noch immer in Länder abgeschoben werden, deren Sicherheitslage sich massiv verschlechtert hat?

In Bezug auf Afghanistan und Somalia sind wir mit der Problematik der neu geschaffenen Ressourcen für Aberkennungsverfahren für schon bewilligte Schutzstati konfrontiert.

Das Bundesamt argumentiert damit, dass die Gründe für diesen Schutzstatus nicht mehr vorliegen. Das Signal ist klar: Ihr sollt euch zu keinem Moment sicher fühlen. Die Absurdität dabei ist, dass wir zum Beispiel seit dem Abzug der internationalen Truppen aus Afghanistan 2014 eine massive Verschlechterung der Sicherheits- und Versorgungslage verzeichnen. Dass Menschen aus Afghanistan, die jetzt einen Asylantrag stellen, keinen Schutzstatus bekommen, ist für sich schon bizarr. Dass Leute, denen vor 2014 einen Schutzstatus zugesprochen bekamen, jetzt ihren Schutzstatus auf Grunde der „Verbesserung“ der Lage verlieren, ist aber absurd und grotesk.

Uns stellt sich die Frage: Hat sich die Situation in Afghanistan zum Besseren verändert oder hat sich mit dem neuen Rückkehrabkommen mit Afghanistan die Situation in Österreich geändert?

Was bringt die Zukunft?

Folgt man den Worten den des derzeitigen Innenministers, dann soll es keine Asylverfahren mehr auf europäischem Boden geben. Interessanterweise hat er das schon mehrmals geäußert, ohne dass es signifikanten Widerspruch gab. Wir geben aber sicher nicht auf. Wir sagen vielmehr: So geht das nicht. Die Deserteurs- und Flüchtlingsberatung hat hier einen wesentlichen Beitrag geleistet. Zum Beispiel haben wir aufgezeigt, dass der oft hinzugezogene Afghanistan-Gutachter Karl Mahringer nicht die Voraussetzungen eines Sachverständigen mitbringt. Mahringer wurde – erstinstanzlich – von der Gutachterliste gestrichen, seine Beschwerde ist anhängig.

Es ist bezeichnend für die Situation in Österreich, dass es dafür so eine kleine Organisation wie uns braucht. Das zeigt aber auch, dass es ganz wichtig ist, ohne die Abhängigkeit von staatlichen Förderungen agieren zu können. Laut zu sein, wenn es dem Staat nicht passt.

Wir sind auf Unterstützung von Spenden angewiesen, dass wir unsere Arbeit auch weiter durchführen können. Neben der unabhängigen Rechtsberatung ist politische Bewusstseinsbildung eines unserer großen Aufgaben. Dazu gehört eben auch, darauf aufmerksam zu machen, dass in diesem Land wieder verstärkt Lager gebaut werden. Dem Großteil der Bevölkerung ist es nicht bewusst, dass hier an gewissen Orten massive Freiheitsbeschränkungen, die man an sich selbst nie dulden würde und von der man am besten nichts wissen möchte, herrschen. Darauf wollen wir hinweisen, damit jede_r es wissen kann – und wissen muss.

Am 22. 12. findet im EKH Wien eine Soli-Party für die Deserteurs- und Flüchtlingsberatung statt. Mehr dazu, und wie ihr für die Organisation spenden könnt, unter: www.deserteursberatung.at

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