Ärztinnen und Ärzte: Arbeiten für ein Trinkgeld?

Die gegenwärtige Umsetzung einer Arbeitszeitrichtlinie der EU ist Auslöser für großen Unmut und Protest unter Ärztinnen und Ärzten. Die durchschnittliche Arbeitswoche soll von 60 auf 48 Stunden gesenkt werden, was jedoch zu Versorgungsproblemen und Lohneinbußen führen kann. Dagegen rührt sich nun Widerstand – nicht nur von Ärztekammer und Co., sondern auch von der neuen Gewerkschaft Asklepios.

Alles begann 2003 mit einem EU-Gesetz zur allgemeinen Maximalarbeitszeit, welches Sonderregelungen für bestimmte Branchen wie dem Gesundheitsbereich beinhaltet. Dieses sah eine Beschränkung auf eine 48-Stunden-Arbeitswoche vor, und sollte damit dem belastenden Pensum von durchschnittlich 60 Stunden in der Woche ein Ende setzen. Weiters dürfen ÄrztInnen nicht mehr länger als 25 Stunden am Stück arbeiten. Die österreichische Regierung verabsäumte in den letzten Jahren jedoch dessen Umsetzung. Das führte schließlich die Androhung von Strafzahlungen durch die EU. Aus diesem Grunde sollte nun diese Richtlinie ab 1. Jänner 2015 in Kraft treten.

Während eine Arbeitszeitverkürzung (bei vollem Lohnausgleich) eine klassische Forderung von Gewerkschaften und ArbeiterInnenorganisationen darstellt, stieß dies bei der österreichischen ÄrztInnenschaft und ihren Organisationen auf großen Ärger. Die Ärztekammer lud am 19. Jänner ins Museumsquartier in Wien, um ihren Protest gegen das neue Arbeitszeitgesetz und den damit einhergehenden Folgen Ausdruck zu verleihen. Etwa 1500 ÄrztInnen folgten ihrem Ruf. Die geplante Änderung der Arbeitszeit wurde daraufhin Anstoß eines Konflikts um gerechte Entlohnung, PatientInnenversorgung und Kritik an der ÄrtzInnenvertretung.

Unmut der ÄrztInnen

Von Seiten der ÄrztInnen werden vor allem Lohneinbußen von bis zu 30% befürchtet. Dies hängt damit zusammen, dass in Österreich relativ niedrige Grundgehälter existieren, welche durch die höhere Entlohnung für Nachtdienste und Überstunden kompensiert werden. Diese Möglichkeit wäre jedoch durch die Beschränkung auf 48 Stunden Maximalarbeitszeit pro Woche nicht mehr vollends gegeben. Ein Abteilungsleiter des AKH Wien verdeutlicht dies folgendermaßen: „Die Ärzte verdienen wie die Ober in der Gastronomie. Sie bekommen ein geringes Grundgehalt, das ‘Trinkgeld’ waren für sie bisher die Nachtdienste. Durch die neue Arbeitszeitregelung soll dies nun nicht mehr möglich sein. Die im EU-Vergleich relativ geringen Grundgehälter österreichischer SpitalsärztInnen führen wiederum zum Problem der Abwanderung junger ÄrztInnen, die in Deutschland oder der Schweiz höhere Löhne zu erwarten haben. Dies produziert einen Mangel an ÄrztInnen, der sich in Zukunft weiter verschärfen könnte.
Neben Lohneinbußen wird vor allem ein Problem in der Versorgung der PatientInnen befürchtet. Dies zeigt sich gegenwärtig im Wiener AKH.Die Arbeitszeitverkürzung führt am AKH dazu, dass jeden Tag weniger Personal anwesend ist. Dementsprechend verlängern sich die Wartezeiten auf Operationen erneut dramatisch.

Verhandlungen und Widerstand

In den letzten Wochen fanden zwischen den Spitälern und den jeweiligen Bundesländern Verhandlungen bzgl. der neuen Arbeitszeitregelung statt. In Wien, Salzburg und Oberösterreich einigten sich die Länder und Interessenvertretungen (Ärztekammer, Gewerkschaft). Nach den Semesterferien soll der ausgehandelte Kompromiss von den ÄrztInnen in einer Urabstimmung abgesegnet werden. Es gibt jedoch noch keinen fixen Termin für die Urabstimmung. Außerdem ist noch nicht klar, ob es eine geheime Abstimmung wird oder nicht. Bisher wurde eine elektronische nicht-anonymisierte Wahl angedacht. Das stößt auf massive Kritik. Doch nicht nur die Form der Abstimmung, auch die Tatsache, dass nur spärlich Informationen weitergegeben wurden stößt vielen ÄrztInnen sauer auf.  Am Radikalsten äußerte sich diese Skepsis gegenüber den traditionellen InteressenvertreterInnen in der Gründung der neuen ÄrztInnengewerkschaft Asklepios (nach dem griechischen Gott der Heilkunst). Diese repräsentiert vor allem die jungen, schlechter bezahlten Turnus- und FachärztInnen. Ihrem Selbstverständnis nach orientieren sie sich vor allem am Marburger Bund, der 2006 einen ÄrztInnenstreik in Deutschland anführte. Obwohl Asklepios innerhalb kurzer Zeit um die 1000 Mitglieder gewinnen konnte, bleibt jedoch fraglich, inwiefern ein solches Projekt in Österreich langfristig erfolgreich sein kann. Dennoch zeugt die Bereitschaft der klassischen ÄrztInnenevertretung für Urabstimmungen in Oberösterreich, Salzburg und Wien von einer Unsicherheit aufgrund der neuen Konkurrenz von Asklepios. Momentan fordert letztere eine Urabstimmung, die nicht digital und nicht personalisiert über die Ärztekammer-Homepage ablaufen soll: „Dann wird die Demokratie entscheiden.“

Während die anderen Wiener Spitäler auf die Urabstimmung warten, ist die Situation im AKH besonders zugespitzt. Hier gab es schon eine Betriebsversammlung und Streikdrohungen. Direktor Schütz versuchte bereits mittels Sprechverbot für Primarärzte den Protest abzuwürgen. Sie dürften die Qualität der PatientInnenbetreuung nicht als gefährdet bezeichnen oder die Krebsforschung wegen mangelnder Ressourcen kritisieren. Dabei ist die Dramatik der Lage zunehmend offensichtlich. Heute, Dienstag, wird mit dem Wissenschaftsministerium verhandelt. Sollte es zu keiner Einigung kommen, müssen die ersten Ambulanzen des AKH schließen.

Solidarität mit ÄrztInnen

Angesichts der herrschenden Zustände in den Spitälern, drohendem Ärztemangel, Verschlechterung der PatientInnenversorgung, wenig attraktiven Arbeitsverhältnissen und etwaigen Schließungen von Ambulanzen muss Veränderung her. Gesundheit darf keine Ware sein, sondern ist Grundbedürfnis und Grundrecht eines jeden Menschen. Statt sich auf die Berufsgruppe der ÄrztInnen einzuschießen sollte Solidarität gezeigt werden. Ein gutes Gesundheitssystem und würdige Arbeitsverhältnisse schließen einander nicht aus, sondern betreffen alle Menschen. Dabei bedarf es aber einer grundsätzlichen Debatte über die Arbeitsverhältnisse im Gesundheitsbereich. Denn diese betreffen nicht nur Ärztinnen, sondern ebenso alle anderen, vom Pflege- bis zum Reinigungspersonal.

Markus Berger ist Redakteur bei mosaik und studiert Politikwissenschaft an der Universität Wien

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