Griechenland: SYRIZAs Zauberformel?

Am Sonntag hielt der neue griechische Premierminister Alexis Tsipras seine Rede zum Regierungsantritt vor dem griechischen Parlament. Stathis Kouvelakis, Mitglied des Zentralkomitees von SYRIZA und der „Linken Plattform“ innerhalb der Partei, analysiert die Bedeutung der Rede im Hinblick auf die kommenden Auseinandersetzungen mit den europäischen Regierungen.

Tsipras’ Eröffnungsrede wurde von der griechischen Öffentlichkeit ebenso aufmerksam verfolgt wie von den europäischen Regierungsspitzen – und wohl auch im Weißen Haus. In Griechenland sind die Menschen jetzt, nach den Erpressungsversuchen der EZB und den Angriffen europäischer RegierungschefInnen, zunehmend mobilisiert. Sie haben ihre Würde wieder gewonnen und wollen nun einerseits die Regierung unterstützen und anderseits den Druck erhöhen, um zu verhindern, dass sie einen Rückzieher macht. Außerhalb Griechenlands, insbesondere in den europäischen Regierungszirkeln, wurde jedes Wort der Rede und jede verkündete Maßnahme penibel abgewogen, um einschätzen zu können, wie entschlossen der Premierminister und seine Regierung wirklich sind.

Kein Rückzug

Die meisten erwarteten eine Abschwächung, die Vorbereitung eines Rückzugs, der letztlich einen „Kompromiss“ bei den europäischen Gipfeltreffen in der kommenden Woche ermöglichen würde. Tatsächlich würde ein solcher Kompromiss nichts anderes bedeuten als die abermalige Unterwerfung Griechenlands unter die bisherigen Diktate. Doch sie wurden enttäuscht. Alexis Tsipras machte keine grundlegenden Zugeständnisse. Ja, er vermied den Begriff „Schuldenschnitt“, aber er betonte die Notwendigkeit einer Reduktion der Schulden und ihrer Restrukturierung. Und ja, er versprach auch nicht die sofortige Anhebung des Mindestlohns auf 751 Euro, aber er versprach, diese Maßnahme noch im Laufe dieses Jahres umzusetzen. In allen anderen Punkten blieb er auf der Linie des Thessaloniki-Programms (Das Wahlprogramm von Syriza, Anmerkung): Notfallmaßnahmen zur Linderung der humanitären Krise (Nahrung, Elektrizität, Öffentlicher Verkehr und Gesundheitsversorgung für Alle), die Wiederherstellung der Arbeitsrechte, die Aufhebung der ungerechten Immobiliensteuern, eine Steuerreform die die Reichen zur Kasse bittet, eine Anhebung des Steuerfreibetrags auf 12.000 Euro pro Jahr, die Wiedereinstellung gekündigter öffentlicher Bediensteter, das Ende der Privilegien für private Medien, die Wiederherstellung des öffentlich rechtlichen Rundfunks ERT, die Wiederherstellung der Befugnisse, die der Staat als Teilhaber und Eigentümer von Banken hat, das Ende der Privatisierung öffentlicher Güter (Häfen, Energie, Infrastruktur) und ein Ende der Polizeirepression gegen Demonstrationen.

Kein Rechtsruck

Eine Reform stellt ein besonderes Symbol dar: Die Änderung des Nationalitätengesetzes, um allen Kindern von MigrantInnen, die in Griechenland geboren wurden, die Staatsbürgerschaft zu verleihen. Tsipras betonte auch ausführlich die Rolle des neugeschaffenen Immigrationsministeriums, dessen Aufgabe der Schutz der Menschenrechte und der persönlichen Würde sei, und die Notwendigkeit einer grundlegenden Änderung der Migrationspolitk auf europäischer Ebene. Dies zeigt deutlich, dass die Beteiligung der Unabhängigen Griechen (ANEL) an der Regierung nichts an der Linie SYRIZAs in diesen Fragen geändert hat.

Bruch mit Kürzungspolitik

Tatsächlich war diese Regierungserklärung ein Angriff auf den Kern der Troika-Politik. Der Bruch mit der Kürzungspolitik ist vollzogen. Alexis Tsipras machte das mehrfach deutlich. Erstens begrüßte er die Mobilisierungen und die internationale Solidarität enthusiastisch als Unterstützung im Kampf, den die Regierung führt. Er bekannte sich klar dazu, die nationale und demokratische Souveränität wiederherzustellen und dass die Würde der Menschen in Griechenland nicht verhandelbar ist. In der aktuellen Situation bedeutet das nichts anderes, als die Menschen dazu aufzurufen, massenhaft auf die Straße zu gehen. Ich habe keinen Zweifel daran, dass diese Botschaft sowohl in Griechenland als auch in ganz Europa gehört werden wird. Zum Schluss seiner Rede, die Helena Smith im Guardian treffend als „aufsässig“ bezeichnete, brachte er auch noch einmal die Forderung nach deutschen Reparationszahlungen auf die Tagesordnung. Nach einer langen Würdigung der Geschichte der sozialen Kämpfe in Griechenland ernannte er den Widerstandskämpfer Manolos Glezos zum Anführer in den Bemühungen um Reparationszahlungen.

Offene Konfrontation

Tsipras sandte eine eindeutige und kämpferische Botschaft aus, sowohl nach Innen als auch nach Außen. Er widerlegte all jene, die bereits darauf setzten, dass er in Richtung Kapitulation abrutschen würde. Es scheint aber auch klar, dass die europäischen Eliten die von ihm vorgeschlagene Politik keinesfalls akzeptieren werden. Wir sind daher in einer Situation der offenen Konfrontation, die mit dem Zusammentreffen von Europäischen Gipfeln und Massendemonstrationen in den nächsten Tagen in eine entscheidende Phase eintritt. Wir befinden uns zweifellos am Vorabend großer Ereignisse, deren Ausgang die Entwicklung Griechenlands und Europas nachhaltig verändern wird. Mit dem Zusammenspiel aus einer entschlossenen griechischen Regierung, der Mobilisierung der Bevölkerung und internationaler Solidarität, ist die „Zauberformel“ für einen möglichen Sieg nun zum Greifen nahe.

Stathis Kouvelakis ist Mitglied des Zentralkomitees von SYRIZA, Unterstützer der Linken Plattform innerhalb der Partei und Dozent für Politische Theorie am King’s College London.

Der Beitrag erschien erstmals auf der Webseite des US-amerikanischen Magazins Jacobin.

Übersetzung: Martin Konecny und Benjamin Opratko.

Autor

 
Nach oben scrollen