Der Gesundheitsbereich kommt seit Monaten nicht aus den Schlagzeilen. Zuletzt wurden Skandale um Gangbetten, ffersonalmangel und Stationssperren oder auch das Chaos um das Krankenhaus Nord publik. Oft geht es auch um die ÄrztInnen, ihre Arbeitszeiten und ihre Gehälter. Weit weniger im Fokus stehen die drastischen Auswirkungen der aktuellen Gesundheitspolitik auf den Pflegebereich, welcher massiv unter aktuellen Entwicklungen leidet. Doch zuletzt haben auch die PflegerInnen auf sich aufmerksam gemacht, unter anderem mit einer Aktion am Maiaufmarsch der SPÖ. In Salzburg, Tirol, Kärnten, Oberösterreich und Wien werden Forderungen nach mehr Personal und höherem Lohn erhoben. Hanna Lichtenberger und Florian Weissl konnten für mosaik mit Elisabeth und Georg, zwei Wiener PflegerInnen aus öffentlichen Krankenhäusern, über Arbeitsalltag, zunehmenden Druck und ihre Forderungen sprechen.
Hanna: Wie sieht denn ein „normaler“ Arbeitstag bei Euch aus?
Elisabeth: Das ist von Spital zu Spital und von Station zu Station natürlich unterschiedlich. Aber so grundsätzlich beginnt der Tag mit dem Tagdienst und der Dienstübergabe von der Nachtschicht. Da setzen schon die ersten Probleme ein: Denn es ist viel zu wenig Zeit für die Übergabe berechnet. Das führt dazu, dass wir eigentlich länger im Dienst bleiben, als wir bezahlt bekommen, denn wir wollen nicht, dass die KollegInnen des Tagdienstes keine Ahnung haben, was bei den PatientInnen getan worden ist.
Seit 1. Jänner geht es bei uns auf der Station dann offiziell damit weiter, dass wir die Blutabnahmen machen, Infusionen anhängen, Medikamente austeilen und nebenbei noch das Frühstück austragen. Das machen PflegerInnen, weil viel zu wenig Abteilungs- und PflegehelferInnen da sind, die das übernehmen könnten.
Im Moment werden dann die PflegeschülerInnen dafür ausgenutzt. Danach gehen wir selbst frühstücken – wenn es sich ausgeht. Das heißt aber nicht, dass Du dich zehn Minuten hinsetzen und ein Weckerl essen kannst, dazwischen stehen wir fünf Mal auf um PatientInnen zu versorgen, die etwas brauchen. Weil dem Patient ist es natürlich egal, dass wir frühstücken, wenn er auf die Toilette muss. Das ist ja auch logisch, wäre mir auch egal. Danach beginnt die Körperpflege bis ca. elf oder halb zwölf, zwischendurch findet auch die Visite statt, je nach dem, wann die Ärztinnen und Ärzte Zeit finden.
Hanna: Das heißt, die Visite hält sich nicht an die geplanten Arbeitsabläufe?
Elisabeth: Es ist so, dass es ja jetzt weniger Ärztinnen und Ärzte gibt, aber die Arbeit selbstverständlich nicht weniger wird. Die Ärztinnen und Ärzte sind deshalb auch ziemlich im Stress, daher richten wir uns danach, wann die Oberärztinnen und Oberärzte Zeit haben. Manchmal kommt es auch vor, dass ich gerade bei der Körperpflege bin, ich die PatientInnen gerade ausgezogen habe und die Oberärztinnen und Oberärzte die Visite beginnen wollen. Dann muss ich die PatientInnen einfach zudecken und sie bitte, bis nach der Visite Geduld zu haben. Mir bleibt in diesem Moment nichts anders übrig. Ich kann den Ärztinnen und Ärzten nicht sagen, wir müssen noch 15 Minuten warten, bis ich den Patienten oder die Patientin fertig gewaschen habe.
Gegen 12.00 Uhr gibt es dann Mittagessen und die nächste Runde Medikamente. Wenn es PflegehelferInnen gibt, teilen die das Essen aus und wir PflegerInnen setzen die PatientInnen auf und geben das Essen ein, wenn die PatientInnen sehr immobil sind. Am Nachmittag machen wir dann weitere Infusionsrunden, messen Fieber, fragen PatientInnen nach dem Befinden, also Routinearbeit. Danach machen wir die PatientInnen frisch und dann kommt auch schon das Abendessen.
Florian: Der KAV sagt, es gibt keine Gangbetten. Für wie viele PatientInnen seid ihr geplanterweise verantwortlich und wie sieht die Realität aus?
Elisabeth: Das ist sehr unterschiedlich. Auf meiner Station gibt es 32 sog. „systemisierte Betten“ (d.h. behördlich genehmigt) und im Schnitt haben wir zwischen 36 und 38 PatientInnen auf der Station. Die zusätzlichen PatientInnen sind dann in Gangbetten untergebracht. Pro Station gibt es meistens sechs überwachte Betten für PatientInnen in schlechterem Zustand. Diese werden mit mehreren Monitoren (Sauerstoffsättigung, EKG, etc.) überwacht. Meiner Meinung nach bräuchte es für solche Zimmer ohnehin mehr Personal, aber dieser Mehraufwand wird personell nicht abgedeckt. Wir sind im Moment auf der Station ständig unterbesetzt.
Georg: Bei uns ist es auch so, dass wir 32 systemisierte Betten haben. Wir bringen es auf 4,5 Pflegepersonen: zwei Leute, die bis 19.30 Uhr da sind, eine Person, die bis 19.00 Uhr da ist und eine Person bis 18.00 Uhr. Der Kurzdienst endet – je nachdem, wie viel zu tun ist – zwischen 13.00 und 16.00 Uhr. Auch bei uns sind es hin und wieder zwischen 34 und 36 PatientInnen. Wir haben dazu aber noch AbteilungshelferInnen.
Elisabeth: Wir haben sie theoretisch.
Georg: Bei uns auf der Station ist es noch so, dass wir uns effektiv dagegen wehren konnten, dass die Übernahme des mitverantwortlichen Bereichs bei uns umgesetzt worden ist. Bei uns ist es noch in der Lernphase.
Elisabeth: Wir setzen das bereits voll um, also EKG-Schreiben gehörten schon zu unseren Aufgaben. Was im Moment auch noch dazu kommt, sind die Kürzungen der Turnus-Ärzt_innen, was dazu führt, dass die Versorgung überhaupt nicht mehr gegeben ist. Wir hatten Notfallsituation, wo keine der Ärztinnen und Ärzte erreichbar waren, weil sie im OP stehen oder in der Ambulanz nähen, oder weil sie das Telefon einfach schon gar nicht mehr hören, weil sie nicht mehr wissen, wo vorne und hinten ist. Uns tun die Ärztinnen und Ärzte wirklich leid, viele Dinge können wir ihnen aber nicht abnehmen. Wir tun unser Bestes, aber auf unsere Kosten. Im Endeffekt sind wir AbteilungshelferInnen, Putzpersonal, Schlüsseldienst, wir müssen das Medizinische machen, wir sollen die Pflegeplanung machen und evaluieren, wir sollen die Aufnahmegespräche führen, wir sollen PPR schreiben. PPR ist eine Erfassung von Diensten, die wir machen. Eigentlich sollte uns diese Erfassung helfen, aber sie nimmt enorm viel Zeit in Anspruch. Und ich habe das Gefühl, dass damit auch nichts passiert.
Georg: Es wird dabei evaluiert, ob es mehr Personalbedarf gibt. Zurzeit ist diese Evaluierung aber nur Augenauswischerei, denn es interessiert niemanden. Wir füllen die Bögen zwar aus und klopfen die Inhalte einmal die Woche in den Computer ein, aber niemand sieht es sich an und ändern wird es sowieso nichts.
Hanna: Ihr habt angesprochen, dass es Probleme bei der Übergabe von Tagdienst zum Nachtdienst und umgekehrt gibt. Wie geht ihr damit um?
Georg: Es kommt nicht nur einmal vor, dass du in der U-Bahn nach Hause sitzt und dir noch einfällt, was du vergessen hast zu dokumentieren. Das umfasst das Krankheitsbild, den aktuellen Zustand, die Wundversorgung, die Mobilität, Anweisungen für die Hauskrankenpflege, die Krankengeschichte und so weiter. Das müsste alles innerhalb von weniger als einer Minute pro Patientin oder Patienten festgehalten werden. Es wird nicht gerne gehört, gesagt und nicht gerne darüber nachgedacht, aber PflegerInnen betreten die Station und stehen mit einem Bein im Häfn. Deshalb rufst du erst recht wieder auf der Station in deiner Freizeit an und bittest, dass die KollegInnen etwas ergänzen.
Elisabeth: Es ist nicht so, dass Du das Spital verlässt und der Job ist beendet. Auch wenn Du schon bei deiner Familie bist, rattert es die ganze Zeit nach: „Was hab ich vergessen…“. Wir haben auf der Station 15 Minuten für die Dienstübergabe, ich habe aber mehr als 15 PatientInnen. Das kann sich nie ausgehen. Ich komme gar nicht dazu, so gut dokumentieren, wie ich es müsste, um meine eigene Haut zu schützen.
Hanna: Ihr tragt unheimlich viel Verantwortung. Seid ihr bei Fehlern versichert? Was sind die Konsequenzen von Fehlern?
Elisabeth: Im Optimalfall kommt es zu einer Anzeige gegen das Krankenhaus und das fängt die Anzeige ab. Im schlimmsten Fall…
Georg: …stehst Du alleine da. Bei der Gewerkschaftsmitgliedschaft ist ein Rechtsschutz dabei, aber ob der wirklich auch Schlimmes abdeckt…
Elisabeth: Und es kann schnell was passieren. Es kommt zum Beispiel vor, dass Ärztinnen und Ärzte oft woanders sind, wenn Du sie dringend brauchst. Dann sagen sie dir telefonisch die Medikation durch, was sie eigentlich nicht dürfen, und meinen, sie kommen später vorbei und holen die Unterschrift nach. Aber im Endeffekt hängen PflegerInnen trotzdem Medikamente an, die nicht schriftlich verordnet wurden und wenn etwas passiert, die PatientInnen zum Beispiel allergisch darauf reagieren, ist es unsere Schuld.
Hanna: Wie geht ihr mit der psychischen Belastung um, die ihr jeden Tag in der Arbeit erlebt?
Georg: Auf der einen Seite haben wir viel zu wenig Zeit, um mit den PatientInnen zu sprechen. Natürlich versuchen wir, die Leute abzufangen und psychologisch auch ein wenig zu betreuen. Aber eigentlich sind wir dazu gar nicht gut genug ausgebildet. Bei dem Personalmangel im Moment kommen diese unterstützenden Elemente für die PatientInnen zu kurz. Wir versuchen zwar, den PatientInnen so weit wie möglich Sicherheit zu geben, aber das ist einfach in großem Maße nicht drinnen.
Elisabeth: …und auf der anderen Seite schafft man es selbst auch einfach nicht mehr, wenn ich ehrlich bin. Wenn etwa im Nachtdienst zum Beispiel Betrunkene eingeliefert werden, der Dritte mit Drogenintoxikation schon am Weg ist, dann auch noch randaliert wird und wir nicht mehr wissen, wie wir sie von den anderen PatientInnen fernhalten sollen, dann kann ich mich nicht mehr zu den drei alten Damen ins Zimmer setzen und ihnen die Angst nehmen.
Außerdem bekommen wir von der Stationsleitung und der Oberschwester viel Druck, was etwa Krankenstände angeht. Wir überlegen uns daher zehn Mal, ob wir wirklich in den Krankenstand gehen. Dann wundert sich die Oberschwester, dass wir alle anstecken, gleichzeitig fragt sie sich, warum wir mit „Schnupfen“ in den Krankenstand gehen.
Zum Teil machen wir uns den Druck aber auch selbst, weil wir wissen, wenn wir in den Krankenstand gehen, zahlen die anderen PflegerInnen drauf. Weil Du weißt, dass eigentlich jemand einspringen müsste, aber das ist oft nicht so. Dann sind die arm, die in die Arbeit gekommen sind. Wir wollen ja weder die Stationsleitung noch die KollegInnen im Stich lassen.
Hanna: Habt ihr das Gefühl, dass Druck und Belastung mehr werden?
Georg: Ja, auf jeden Fall. Das sind die Umstände im Moment, keineR weiß so richtig, wie es jetzt weitergeht. Was wir als erstes tun sollen, um nichts zu vergessen. Die schlechte Laune der Ärztinnen und Ärzte, die sie im Moment berechtigterweise haben, kommt rüber. Das ist auch bei uns so, da nehme ich die Pflege gar nicht aus. Es gibt genug Leute, denen man anmerkt, dass sie einfach nicht mehr können. Wir haben den Job ja eigentlich aus Überzeugung gewählt, Pflege ist wirklich kein Beruf, sondern eine Berufung. Das klingt abgedroschen, aber anders hältst Du ohnehin nicht durch. Aber irgendwann ist ein Punkt erreicht, an dem es nicht mehr weitergeht.
Elisabeth: In meinem Team fällt mir auf, dass es immer schwieriger wird, ein Privatleben aufrecht zu erhalten. Viele lassen sich scheiden, weil sie nie zu Hause sind. Dann stehen Kolleginnen mit ihren Kindern alleine da. Was tut man auf die Schnelle mit Kindern, wenn man im Nachtdienst einspringen muss? Eine Kollegin überlegt, zu kündigen, aber das Problem ist ja auch, dass wir so wenig Grundgehalt bekommen und dadurch das Arbeitslosengeld so niedrig ist.
Georg: Bei uns machen die Zulagen so einen hohen Teil des Gehalts aus. Viele tragen sich drei Nachtdienste hintereinander ein, um sich das Gehalt aufzubessern, weil es sich sonst einfach hinten und vorne nicht ausgeht.
Hanna: Stellt Euch vor, ihr wärt einen Tag GesundheitsministerIn, welche drei Dinge würdet ihr sofort ändern?
Elisabeth: Mehr Personal, sowohl was PflegerInnen als auch HelferInnen angeht. Und ein höheres Grundgehalt.
Georg: Keine Gangbetten. Sobald die Station voll ist, ist sie voll.
Elisabeth: Das sehe ich auch so, manchmal schiebe ich in der Nacht drei Mal herum. Besonders dreist ist, wenn eine sogenannte „Sonderklasse“ eingeliefert wird. Der Freund vom Oberarzt wird eingeliefert als Patient und alle anderen müssen aus ihren Zimmern, weil der Herr ein Einzelzimmer braucht. Das kommt bei uns oft vor. Da bekommen wir dann den berechtigen Ärger der PatientInnen, die plötzlich am Gang liegen müssen, ab. Die, die es entscheiden, schieben die PatientInnen ja nicht auf den Gang. Was diesen Sonderklasse-PatientInnen von ihrer Versicherung auch nicht gesagt wird, ist, dass es sich dabei nur um medizinische Leistungen handelt. Die denken dann nämlich oft, wird sind nur noch für sie da – als PrivatpflegerInnen.
Hanna: Ist ein Streik für Euch denkbar?
(lange Pause)
Georg: Es ist schwierig.
Elisabeth: Wir sind ein sozialer Beruf, wenn die Mehrheit der PflegerInnen sagen würde, sie streikt, was passiert dann mit den PatientInnen? Wenn ÄrztInnen nur noch die Notfälle machen und sonst streiken, dann bekommen die PatientInnen trotzdem zu trinken, was zu essen und sie bekommen Unterstützung beim WC-Gang.
Georg: Diese Dinge sind vorhanden, wenn ÄrztInnen die Arbeit niederlegen. Die PatientInnen hätten vielleicht Schmerzen, aber es gibt dann ja auch noch – obwohl es sie nicht mehr geben dürfte – die Bedarfsmedikation. Aber es ist schwierig. Man will ja auch nicht die KollegInnen im Stich lassen, die dann nicht streiken gehen. Die würden dann ja noch weniger wissen, wie sie das Notprogramm aufrechterhalten sollten.
Elisabeth: Wenn wir die Arbeit niederlegen, können die ÄrtzInnen noch so viele Medikamente aufschreiben, sie kämen trotzdem nicht an. Weil wir die Medikamente austeilen. Die PatientInnen wären dann noch schlechter versorgt. Wenn PatientInnen wochenlang auf einer Station sind, wachsen sie einer ja auch ans Herz. Ich könnte mir auch nicht vorstellen, sie einfach einen Tag liegen zu lassen.
Florian: Im Moment starten wir ja mit CARE Revolution Wien einen Versuch, uns zu vernetzen. Die Erfahrung der letzten Jahre zeigt, dass das gar nicht so einfach ist. Im Moment scheint sich das zu verändern. Wie schätzt ihr denn die Stimmung der KollegInnen ein?
Georg: In Wien ist es schwer, sich zu vernetzen, weil wir ja so viele sind. Aber ich sehe eine wachsende Bereitschaft. Es ist toll zu lesen, dass sich KollegInnen in anderen Bundesländern schon organisiert haben. Wir sind ja noch am Anfang, aber es wirkt so, als könnte es diesmal mehr Früchte tragen.
Elisabeth: Aber es gibt auch noch ganz schön viel Angst. Denn wenn meine Pflegedirektion mitbekommen würde, was ich zum Bespiel in dem Interview sage, habe ich einen Job gehabt. Ich höre oft: „toll, dass ihr euch jetzt organisiert, aber ich hab ja Kinder, ich kann nicht riskieren, meinen Job zu verlieren.“ Aber in Finnland haben 30 000 Pflegekräfte gedroht, gleichzeitig zu kündigen und das hat sie stark gemacht. So weit sind wir aber wohl noch nicht.
Florian: Denk ihr, wir haben Chancen, etwas zu verändern?
Georg: Irgendwann kann uns die Politik nicht mehr ignorieren, vor allem, wenn wir am Ball bleiben und so lange den Finger in die Wunde legen, bis niemand mehr um uns herumkommt.
Florian Weissel ist Aktivist in der Revolutionär Sozialistischen Organisation (RSO), gibt das Betriebsflugblatt Klartext im Wiener Krankenanstaltverbund heraus und ist aktiv bei Care Revolution Wien.
Hanna Lichtenberger ist Historikerin und Politikwissenschafterin und arbeitet am Institut für Politikwissenschaft, wo sie auch ihre Dissertation zum Handelsabkommen TTIP schreibt. Außerdem ist sie mosaik-Redakteurin.