Die irische Hauptstadt geistert in der aktuellen Flüchtlingsdebatte täglich durch die Medien. Je nach Couleur wird die Rückkehr zur Normalität oder die sofortige Aussetzung des Dublin-Abkommens gefordert. Doch was steckt hinter diesem Abkommen, wem nützt es und vor allem – wem schadet es?
Die Grundpfeiler der europäischen Asylpolitik
Das Dublin-Abkommen ist seit 1997 als gemeinsame Regelung der EU-Asylpolitik in Kraft. 2003 und 2013 wurde es durch Dublin II und Dublin III erweitert. Der Grundgedanke des Abkommens wurde in dieser Zeit nicht verändert. Er besagt, dass Schutzsuchende in jenem Land einen Asylantrag stellen müssen, in dem sie zum ersten Mal die EU betreten. Hauptverantwortlich für die Asylpolitik der EU sind nach dieser Bestimmung die südlichen und östlichen EU-Mitgliedsstaaten wie Ungarn, Italien, Malta oder Griechenland, die im Gegenzug hauptsächlich finanzielle Unterstützung für den Grenzschutz erhalten. Deutschland und auch Österreich haben sich bis zuletzt vehement für eine Fortführung des Dublin-Abkommens und gegen Solidaritätsmechanismen in der EU-Asylpolitik ausgesprochen.
Die Speicherung von Fingerabdrücken
Ein wesentliches Element für die Implementierung des Dublin-Abkommens ist die europäische Datenbank zur Speicherung von Fingerabdrücken (EURODAC). Asylsuchende müssen im ersten Land, in dem sie die EU betreten, ihre Fingerabdrücke registrieren lassen. Reisen sie in ein anderes EU-Land weiter, bevor ihr Asylverfahren abgeschlossen ist (und das kann Jahre dauern), werden sie auf Basis dieser Registrierung in das Land der ersten Registrierung zurückgeschickt.
Diese sogenannten Dublin-Rückführungen sind unter anderem deshalb problematisch, weil die Asylverfahren nationalstaatlich geregelt sind und es in unterschiedlichen EU-Ländern völlig unterschiedliche Standards gibt. Ein faires Asylverfahren wird beispielsweise in Ungarn, Griechenland oder Bulgarien oft nicht gewährleistet und die Bewilligungsquoten in diesen Ländern sind weitaus niedriger als in Österreich oder Deutschland.
Keine legalen Fluchtwege und das Problem mit den „Schleppern“
Das Dublin-Abkommen bedeutet auch, dass es für Flüchtlinge unmöglich ist, legal in Länder wie Österreich oder Deutschland einzureisen, um dort um Asyl anzusuchen. Flüchtlinge haben deshalb oft gar keine andere Wahl, als gefährliche Wege mit Schleppern auf sich zu nehmen, um nach Österreich, Deutschland oder Schweden zu kommen und dort als Erstland ihren Asylantrag zu stellen.
Die Regelung zeigt, dass die politische Rhetorik rund um die Bekämpfung von Schleppern mehr als zynisch ist. Denn wo legale Fluchtwege fehlen, werden immer gefährlichere See- und Landwege genutzt, um überhaupt unter menschenwürdigen Bedingungen Asyl beantragen zu können.
Ungarn setzt geltendes EU-Recht um
Ebenso zynisch erscheint in der aktuellen Debatte die Rede von der Solidarität und Willkommenskultur Deutschlands und Österreichs und der unsolidarischen und unmenschlichen Haltung vieler osteuropäischer EU-Staaten. Dabei geht es natürlich nicht darum, Orban und andere rechte und nationalistische Politiker_innen zu verteidigen.
Klar ist allerdings, dass Orban derzeit einfach nur geltendes EU-Recht umsetzt und Deutschland und Österreich es ihm mit der aktuellen Wiedereinführung von Grenzkontrollen gleichtun. Die Spaltungsversuche der europäischen Eliten dienen offenbar dazu, über die Planlosigkeit der EU in der aktuellen Asylpolitik hinwegzutäuschen. Gleichzeitig wird dadurch verdeckt, dass Deutschland, Österreich und andere reiche EU-Staaten bisher am stärksten vom Dublin-Abkommen profitierten. Einfach deshalb, weil die Asylpolitik an die EU-Außengrenzen verlagert wurde.
Und die Quote?
Die geflüchteten Menschen haben es in den letzten Wochen geschafft, ihre Anliegen ins Herz der Festung Europas zu tragen und damit das herrschende Grenzregime zu destabilisieren. An den Rändern dieser Festung – in Griechenland, Italien oder zuletzt in Ungarn – war diese Situation schon viel länger offensichtlich. Österreich und Deutschland konnten bisher allerdings bei weitem besser wegschauen. Selbst wenn tausende Menschen im Mittelmeer ertranken und Menschen unter katastrophalen Bedingungen in Lagern ums Überleben kämpften.
Statt den entschlossenen Marsch der Flüchtlinge und die Solidarität und Politisierung in weiten Teilen der Bevölkerung als Anlass für einen völligen Neuanfang in der europäischen Asyl- und Migrationspolitik zu nutzen, wird nun hauptsächlich über eine verpflichtende Quote als Zusatz zum Dublin-Abkommen diskutiert. Eine gerechtere Verteilung der Flüchtlinge ist sicher notwendig. Eine nach der Wirtschaftsleistung und Bevölkerungszahl berechnete Quote geht aber an der Komplexität von Flucht und Migration vorbei. Flüchtlinge versuchen – auch unter erschwerten Bedingungen – dorthin zu kommen, wo sie Familie und Freund_innen haben, wo es bereits soziale Netzwerke und Communities gibt und wo sie idealerweise nicht vor rechten oder religiösen Mobs um Leib und Leben fürchten müssen.
Eine ernst gemeinte europäische Asylpolitik muss die Erfahrung von Flüchtlingen einbeziehen und für ein solidarisches Europa kämpfen.
Melanie Pichler ist Mosaik-Redakteurin und Politikwissenschafterin in Wien