„Wir werden unser Dorf nicht den Bulldozern überlassen“: Was Trumps Nahost-Politik vor Ort bedeutet

Mit Donald Trump hat die israelische Regierung einen bedingungslosen Unterstützer. Das hat nicht zuletzt die Entscheidung, die US-Botschaft nach Jerusalem zu verlegen, bestätigt. Was diese Unterstützung vor Ort bedeutet, zeigt sich zum Beispiel in der kleinen palästinensischen Gemeinschaft in Susiya. Ein Bericht von Klaudia Rottenschlager.

Nasser Nawaja, ein Aktivist des Dorfkomitees aus Susiya, ist müde. Seit mehr als fünf Jahren ist die Gemeinschaft Teil eines Verfahrens vor dem israelischen Höchstgericht. Darin wird entschieden, ob mehr als 40 Prozent der Gebäude in Nawajas Dorfes zerstört werden dürfen. Unter permanenter Bedrohung stehen eine Klinik, eine Schule, Solaranlagen, Stallungen für Nutztiere und Unterkünfte der rund 340 Einwohner_innen Susiyas.

Leben im Ausnahmezustand

Der israelische Staat argumentiert auf der Grundlage fehlender Baugenehmigungen. Diese werden jedoch für die unter Besatzung lebenden Palästinenser_innen in dem Gebiet kaum ausgestellt. Somit befindet sich die Gemeinschaft in einem konstanten Ausnahmezustand. Das Warten auf Bulldozer, die Angst vor dem Auffahren von Militärjeeps und Nachrichten über Hauszerstörungen in benachbarten Gemeinden gehören zum Alltag.

Doch die Bewohner_innen Susiyas leisten Widerstand. Sie dokumentieren ihre Geschichte, schreiben Unterstützungsaufrufe an internationale Solidaritätsgruppen und Diplomat_innen, organisieren Demonstrationen und entwerfen Zukunftspläne für ihre Familien.

Geschichte der Vertreibungen

Im Zuge der Staatsgründung Israels 1948 wurde Nasser Nawajas Großvaters aus seinem Dorf Qaryatayn vertrieben. Er floh damals nach Susiya, wo die Familie Agrarland besaß, dessen Besitzurkunde bis in die britische Mandatszeit zurückreicht. 1986, Nasser war damals vier Jahre alt, wurden seine Eltern erneut gewaltsam zum Verlassen ihres Landes gezwungen. Es wurde zu einer archäologischen Ausgrabungsstätte erklärt und ein Außenposten der gegenüberliegenden, gleichnamigen israelischen Siedlung (gegründet 1983) wurde errichtet.

Die Siedlungsaktivitäten im Süden Palästinas waren nach dem Krieg von 1967 Teil des umstrittenen Plans des damaligen israelischen Arbeitsministers Jigal Allon. Dieser sah vor, israelische Siedlungen zu bauen, um die palästinensische Bevölkerung im Westjordanland von der arabischen Bevölkerung (viele davon palästinensische Flüchtlinge) jenseits des Jordanflusses zu trennen.

Nawajas Familie kehrte wie andere Betroffene zurück. Sie bauten neue Behausungen auf dem nahegelegenen Weideland verschiedener Familien aus Susiya. Wegen der prekären Situation und fehlenden Baugenehmigungen leben sie bis heute in halbgemauerte Unterkünften und Zelten.

Dokumentation und Widerstand

In den 1980er Jahren sah Nasser Nawaja die moderne Siedlung Susiya am gegenüberliegenden Hügel anwachsen. Seine Teenagejahre waren von weiteren Hauszerstörungen und vom Ausharren seiner Eltern als Hirten in dem Gebiet südlich der palästinensischen Stadt Hebron geprägt.

In den 2000er Jahren begann er gemeinsam mit Kolleg_innen der israelischen Menschenrechtsorganisation B’Tselem, die Auswirkungen von Übergriffen von Siedler_innen und Landnahme in seiner Umgebung zu dokumentieren. Ausgerüstet mit einer Kamera ist er heute eine der zentralen Figuren, die den Widerstand in den South Hebron Hills organisieren.

Legaler Limbo in Zone C

Mit dem Oslo-Abkommen 1993 wurde das Westjordanland in verschiedene Verwaltungsregime aufgeteilt. Das setzte die Fragmentierung des gesamten palästinensischen Gebiets fort.

Zone A umfasst die größten palästinensischen Städte und wird von der Palästinensischen Autonomiebehörde (PA) verwaltet. In Zone B obliegt die Verantwortung über zivile Angelegenheiten kleiner palästinensischer Städte und Dörfer der PA, die Sicherheitsverwaltung des Gebiets ist zwischen PA und Israel geteilt.

Zone C, die mehr als 60 Prozent des besetzten Westjordanlands ausmacht, unterliegt zur Gänze israelischer Zivil- und Militärverwaltung. Das Gebiet umfasst nicht nur die größten Wasserressourcen und fruchtbares Agrarland, sondern auch die nach internationalem Recht illegalen Siedlungsbauten Israels (mit Ausnahme von Ostjerusalem). OCHA – das UN-Büro zur Koordination humanitärer Angelegenheiten in den besetzten palästinensischen Gebieten – schätzt die Bevölkerung von Zone C auf 300 000 Palästinenser_innen und 360 000 israelische Bewohner_innen in 135 Siedlungen und 100 Siedlungsaußenposten, die verschiedenen Rechtssystemen unterliegen. Während Palästinenser_innen unter Militärgerichtsbarkeit stehen, leben Siedler_innen als israelische Staatsbürger_innen unter Zivilgerichtsbarkeit.

Rechtliche Hürden und Übergriffe

Diese komplexe Verwaltungsstruktur stellt die Bewohner_innen Susiyas vor unzählige rechtliche Hürden. Für das Graben von Brunnen, Verlegen von Wasserleitungen, Bestellen ihrer Felder und Weiden ihrer Nutztiere sind Bewilligungen nötig. Diese werden jedoch vom israelischen Verwaltungsapparat kaum ausgestellt. Fehlen die Bewilligungen, drohen Festnahmen durch Besatzungssoldaten oder langjährige Gerichtsverfahren vor dem Militärgericht.

Diese Machtasymmetrie stärkt radikale Siedlergruppen wie Regavim, die in dem Gebiet der Southern Hebron Hills aktiv sind. Sie dokumentieren Bauaktivitäten von Palästinenser_innen sowie deren Finanzierung, um sie vor Gericht zu bringen. Übergriffe von Siedler_innen aus umliegenden Außenposten und Siedlungen auf Palästinenser_innen und israelische und internationale Aktivist_innen sowie Schikanen und kurzfristige Verhaftungen durchdas Militär gehören zum Alltag. Immer wieder werden Olivenbäume und Weideland zerstört. Zusätzlich befinden sich zwölf benachbarte Gemeinden Susiyas in einer seit 1970 permanent deklarierten militärischen Übungszone, in der das Wohnen per Gesetz verboten ist. 

Rückenwind durch Trump

Die Diskussion von Annexionsplänen von Teilen des besetzten Westjordanlands stellen innerhalb der israelischen Regierung keine Seltenheit dar. Das Zentralkomitee der Likud Partei beschloss erst vor kurzem eine Resolution für die Aneignung des gesamten Westjordanlands, die Druck auf Ministerpräsidenten Benjamin Netanyahu ausüben soll. Im August 2017 gab der Verteidigungsminister Avigdor Lieberman bekannt, dass er die Pläne zur Räumung von Susiya vorantreiben würde.

Nach humanitärem Völkerrecht sind Hauszerstörungen als auch erzwungene Umsiedelungen illegal und könnten als Kriegsverbrechen geahndet werden. David Shulman, Aktivist der lokalen Graswurzelbewegung Tayush, weist in einem kürzlich veröffentlichten Artikel darauf hin, dass das Vorantreiben der Siedlungsaktivitäten in Zeiten der massiven Unterstützungspolitik der Trump-Regierung kein Zufall ist. Im Gegenteil, dieser Moment wird genützt, um den Anstieg der Besatzungsgewalt einzuzementieren und die Vertreibung der palästinensischen Bevölkerung aus Zone C und Ostjerusalem fortzuführen. So sind neben Dörfern in den South Hebron Hills auch Hirtengemeinschaften im Jordantal von Vertreibung bedroht. In Ostjerusalem kam es 2017 zu 142 Hauszerstörungen auf Grund von fehlenden Baugenehmigungen.

Widerstand gegen Vertreibung

Gemeinsam mit israelischen und internationalen Aktivist_innen versucht die Gemeinschaft in Susiya Aufmerksamkeit zu schaffen und internationalen Druck auf die Netanyahu Regierung aufzubauen. Eine Petition  gegen die anstehenden Hauszerstörungen in Susiya schaffte es im Dezember 2017 sogar bis ins britische Parlament, wurde von solidarischen Gewerkschaften und Akademiker_innen wie Judith Butler, Sara Ahmed, Ilan Pappé und Eyal Weizmann unterzeichnet.

Nasser Nawaja ist sich jedoch bewusst, dass die Vertreibungspolitik in Zone C in Zeiten massiver Unterstützung der Trump-Regierung fortgesetzt wird.

Sein Land wird er trotz prekärer Lebensbedingungen nicht verlassen. Auf einem der Zelte in Susiya steht mit großen Buchstaben ein Satz des Dichters Mahmoud Darwish geschrieben: „Wir haben auf dieser Erde alles, wofür es wert ist zu leben“.

Autor

 
Nach oben scrollen