WTO und EU im Zentrum der globalen Impf-Ungleichheit

Die Regeln der Welthandelsorganisation (WTO) verzögern die Pandemiebekämpfung und treiben die Impf-Ungleichheit voran, Profiteurin ist die Pharmaindustrie. Theresa Kofler erklärt die Mechanismen.

In letzter Minute musste die Welthandelsorganisation (WTO) ihre zwölfte Konferenz vergangene Woche absagen. Aufgrund der neuen Omikron Mutation durften zahlreiche Delegierte nicht anreisen. Dass gerade die WTO ihre Konferenz  nicht abhalten konnte, birgt eine gewisse Ironie in sich: in der WTO blockiert vor allem die EU seit über einem Jahr einen Vorschlag von Südafrika und Indien zur Freigabe von geistigen Eigentumsrechten für Impfstoffe und Medikamente gegen Corona. Diese Blockade führt dazu, dass Produktionsmöglichkeiten im globalen Süden unausgeschöpft– und die Impfraten in diesen Ländern zu gering bleiben. Die EU schützt lieber ihre Pharmaindustrie als Menschenleben und verlängert so die Pandemie für alle.

WTO und die globale Impf-Ungleichheit

Seit ihrer Gründung kann die WTO ihr Versprechen, durch globalen Handel Win-Win-Situationen für alle zu erzeugen, nicht halten. Im Zentrum der Probleme mit der Pandmiebekämpfung steht das TRIPS-Abkommen (Übereinkommen über handelsbezogene Aspekte der Rechte des geistigen Eigentum). Das Abkommen schützt nicht zuletzt die geistigen Eigentumsrechte der Pharmaindustrie. Obwohl es offizielle Ausnahmeregelungen gibt, zeigt die Corona-Pandemie deutlich, dass diese Regelungen so bürokratisch und kompliziert sind, dass besonders Länder im globalen Süden diese Optionen nicht nutzen können. Deswegen unterstützen über 100 Länder den Vorschlag Südafrikas und Indiens, TRIPS-Waiver einzuführen, um die geistigen Eigentumsrechte auszusetzen. Mittlerweile haben sich dieser Forderung zahlreiche Gesundheitsexpert*innen, Nobelpreisträger*innen, zivilgesellschaftliche Akteure und sogar Industriestaaten wie die USA und Australien angeschlossen. 

EU und Österreich blockieren Patentfreigabe 

Die EU stellt sich dem Vorschlag dagegen in den Weg. Zu Beginn der Pandemie verkündeten viele EU-Politiker*innen, dass Impfstoffe zu einem globalen öffentlichen Gut werden würden. Stattdessen bekämpfen die EU und ihre Mitgliedsländer den konkreten Vorschlag Südafrikas und Indiens vehement. Scheinheilig schiebt die EU “eigene Vorschläge” vor, die sie bisher noch nicht einmal veröffentlicht hat. Alle bisher verfügbaren Informationen weisen darauf hin, dass die EU nur zu minimalen Zugeständnissen bereit ist, die kaum über die schon existierenden Mechanismen hinausgehen. Das Vorgehen ist ein Ablenkungsmanöver.  Auch Österreich kann sich zu keiner Unterstützung des TRIPS-Waivers durchringen. Obwohl Gesundheitsminister Mückstein den Vorschlag unterstützt, lehnt die zuständige Wirtschaftsministerin Schramböck ihn ab

Schramböck argumentiert wie Pharmaindustrie 

Schramböck übernimmt die Legitimation der Pharmalobby für die Patente. Sie argumentiert, dass das Problem nicht zu geringe Produktionszahlen sondern die Verteilung der Impfdosen wäre. Dieses Argument stimmt so nicht. Auch die Konzentration von Impfdosen im globalen Norden ist ein Problem, das ändert allerdings nichts daran, dass wir insgesamt zu wenig produzieren. 

Darüber hinaus baut die Annahme, dass “genug produziert wird” auf Versprechen der Pharmaindustrie. Diese werden schon für 2021 nicht eingehalten. Auch die neue Mutation und Boostershots in den Ländern des globalen Nordens sprechen dafür, dass die Versprechen von Big Pharma weder für 2021 noch 2022 wirklich haltbar sind. Während also der globale Norden Impfdosen hortet, ist in vielen Ländern noch nicht einmal das Gesundheitspersonal geimpft

Eine rasche Produktionssteigerung ist daher auf jeden Fall sinnvoll. Nichtsdestotrotz ist auch die globale Verteilung von Impfstoffen höchst problematisch. Dazu tragen die EU Regierungen einen sehr großen Teil bei. Darüber hinaus spielt der Preis eine Rolle: aktuell ist der globale Süden von der Preissetzung der Pharmaindustrie und Spenden aus dem globalen Norden abhängig. In manchen Ländern übersteigen die Kosten für zwei Impfungen das gesamte  Gesundheitsbudget für eine Person. Der TRIPS-Waiver würde auch da ansetzen. Durch lokale Produktion könnten Preise angepasst werden. 

Patente treiben Impf-Ungleichheit voran

Ein weiteres beliebtes Argument der Pharmaindustrie lautet, dass Patente die schnelle Impfstoffproduktion ermöglicht haben. Ein Aussetzen der Patente würde demnach falsche Signale an die Industrie für zukünftigen Krisensituationen senden. 

Das stimmt nicht. Die Grundlagenforschung für mRNA-Impfstoffe passierte jahrzehntelang an der Universität Pennsylvania, finanziert durch mehr als eine Milliarde öffentlicher Gelder. Die Uni verkaufte die Rechte an ein Biotech-Unternehmen, das es dann später für 75 Millionen Dollar an Biontech und Moderna weiterverkaufte. Zusätzlich bekamen diese Unternehmen öffentliche Unterstützung für die Entwicklung der Corona-Impfstoffe. 

Für die Pharmaindustrie sind Impfungen in Zeiten ohne Pandemie uninteressant. Profit bringen Medikamente, die regelmäßig eingenommen werden müssen. Um Impfstoffe zu entwickeln, sind öffentliche Ressourcen zentral. Pharmafirmen und Forscher*innen sollen für ihren Beitrag entsprechend entlohnt werden, aber nicht auf unser aller Kosten profitieren.

Gewinne von Big Pharma wachsen

Bei Pfizer klingeln indes nicht nur die Kassen, auch die politische Macht nimmt, sogar für das Zeitalter der Megakonzerne, gespenstische Dynamiken an. Per E-mail, SMS und Telefon bettelten Politiker*innen um Impfdosen, heißt es in der Financial Times. Während die EU im Mai einen Riesenauftrag mit Pfizer abschließen konnte, wurde das Impfteam der Afrikanischen Union laufend vertröstet und bekam schließlich Impfdosen von Bidens Verwaltung gespendet.

Debatte mit gefährlichen Nebenwirkungen

Die vehemente Ablehnung des TRIPS-Waivers von Schramböck und der EU lässt vermuten, dass diese Debatte für das neoliberale (Handels)-Regime gefährlich werden könnten: Wenn globale Gesundheit über geistige Eigentumsrechte gestellt wird, in welchen anderen Bereichen könnten wir dann noch Menschen über Profite stellen? Etwa in der Landwirtschaft oder beim Klimaschutz? Wenn viel Geld in öffentliche Forschung fließt, aber die Ergebnisse dank Patentrecht nicht öffentlich zugänglich sind, wie müsste der gesamte Pharmasektor umgestaltet werden? Wenn stark zentralisierte Produktion von Medikamenten und Impfstoffen ein Problem ist, gibt es vielleicht auch andere Produkte, die wir wieder lieber lokaler produzieren wollen? Trotz Absage der WTO-Minister*innenkonferenz kann das WTO General Council mit den ständigen Botschafter*innen jederzeit den TRIPS-Waiver beschließen. Es ist höchste Zeit, die Impf-Ungleichheit zu beenden.

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