Im Mai war die israelisch-palästinensische Aktivistin und Knesset-Abgeordnete Aida Touma-Suleiman auf Einladung der KPÖ zu Besuch in Österreich. mosaik hat nach ihrer Rede zum 1. Mai mit ihr gesprochen.
Die Sonne strahlte vom Himmel, als Aida Touma-Suleiman am 1. Mai ihre Rede bei der Schlusskundgebung des Demonstrationszugs von KPÖ und LINKS vor dem österreichischen Parlament hielt. Es war kurz vor 12.00 Uhr. Andere überlegten zu diesem Zeitpunkt noch, welcher Veranstaltung sie sich am Tag der Arbeit anschließen sollten. Touma-Suleiman übermittelte indes die Grüße der Arbeiterklassen Israels und Palästinas und fand deutliche Worte zum Sterben in Gaza. Hannah Spannring und Anselm Schindler haben Touma-Suleiman im Anschluss an die Rede getroffen. Ein Gespräch über das Ankämpfen gegen rechte Diskurse und mögliche Aufgaben der Linken.
mosaik: Was ist dein Eindruck davon, wie in Österreich über den Krieg in Palästina und Israel geredet wird?
Aida: Man merkt, dass in Deutschland und Österreich die politische Rechte den Diskurs über Israel und Palästina dominiert. Das Narrativ von Benjamin Netanjahu und der israelischen Regierung wird hierzulande oft einfach übernommen. Das mitzubekommen, ist schon sehr seltsam. Es ist wichtig, dass die Menschen in Österreich den Schmerz der israelischen Gesellschaft über die Massaker vom 7. Oktober spüren. Aber es schockiert mich, dass große Teile der Gesellschaft und der Medien dazu schweigen, was seither mit den Palästinenser*innen passiert. Warum sollte man nur den Schmerz einer Seite spüren? Was ist mit der anderen Seite?
Die Diskussionen, die ich in Österreich mitbekomme, vermitteln das Bild, das alles am 7. Oktober begonnen hätte. Aber das ist ja nicht die Realität. Der 7. Oktober war schrecklich. Menschen wurden ermordet, entführt und verletzt. Aber es gibt eine Vorgeschichte. Und ich sage das nicht, weil ich das, was am 7. Oktober passiert ist, legitimieren will. Mir geht es darum, dass die ganze Sache nicht schwarz-weiß gesehen werden darf. Natürlich hat der Umgang/die Perspektive der Menschen in Österreich viel mit dem Holocaust und dem Zweiten Weltkrieg zu tun. Aber deshalb in Gaza wegzuschauen, ist keine Lösung. Wenn man sich wegen der Geschichte des Holocausts verantwortlich fühlt, dann hat man auch eine Verantwortung, wenn heute Unrecht geschieht.
In Gaza wurden in den letzten Monaten mehr als 34.000 Palästinenser:innen getötet [Stand Ende April 2024, Anm. der Redaktion]. Mehr als 34.000. 9.000 bis 10.000 Menschen sind vermisst, ihre Körper liegen wahrscheinlich unter den Trümmern oder in Massengräbern. Und die Kinder – so viele Kinder sind zu Waisen oder Flüchtlingen geworden. Wie kann das alles passieren, ohne dass jemand die Stimme erhebt? Die österreichische Regierung will Israel weiter als das ultimative Opfer darstellen. Und ja, die israelische Gesellschaft ist Opfer, aber nicht nur Opfer der Hamas-Angriffe, sondern auch Opfer der Politik Netanjahus, der das ganze Land in einen blutigen Krieg verwickelt.
Die österreichische Regierung hat in der UN-Generalversammlung mehrfach gegen Initiativen für einen Waffenstillstand gestimmt. Was denkst du darüber?
Ich kann nicht verstehen, wie jemand, der behauptet, die Lehren aus dem Holocaust und dem Zweiten Weltkrieg gezogen zu haben, gegen einen Waffenstillstand stimmt. Wo doch ein Waffenstillstand das Leben von Zivilist*innen retten kann! Eine solche Haltung ist durch nichts zu rechtfertigen. Wir als Israelis und als Palästinenser*innen fordern die internationale Gemeinschaft auf, einzugreifen und diesen verrückten Krieg zu beenden. Zivilist*innen auf beiden Seiten zahlen den Preis dafür. In Gaza kommt es zu schrecklichen Massakern. Jeder und jede, der gegen den Waffenstillstand stimmt, ist daran mit schuld.
Natürlich würde ich mir wünschen, dass die österreichische Regierung auch eine politische Lösung für die anhaltende Besatzung fordert. Ich verstehe nicht, warum man von internationalem Recht redet, es den Palästinenser*innen aber nicht zugestehen will. Das Völkerrecht wurde aufgrund der Lehren aus dem Holocaust und dem Zweiten Weltkrieg geschaffen. Jeder sollte diesem Gesetz gegenüber rechenschaftspflichtig sein.
Was kann die Linke in Österreich in der aktuellen Situation tun?
Als jemand, die aus einem Land kommt, in dem ebenfalls die politisch Rechten den Diskurs dominieren, weiß ich, womit ihr hier konfrontiert seid, wenn ihr Gerechtigkeit für Palästinenser*innen und Israelis fordert. Als Palästinenserin und israelische Bürgerin rufe ich trotzdem zu mehr Solidarität auf. Wir sind darauf angewiesen, dass ihr hier das zeigt, was die Mainstream-Medien nicht zeigen. Die Heuchelei muss enden, wir brauchen endlich gleiche Rechte für alle! Das heißt auch, bei der Forderung der Anerkennung des palästinensischen Staates nicht nachzulassen.
Wo steht die Linke in Israel und Palästina?
Die größte Herausforderung besteht darin, sich nicht vom Hass mitreißen zu lassen. Wir stehen vor sehr schwierigen Tagen, weil wir als Linke in Israel die einzige Stimme gegen den Krieg sind. Was die Linke in Palästina betrifft, ist es noch schwieriger, Antworten auf die Frage zu finden. Diese Menschen kämpfen gerade um ihr Überleben, da ist es schwer, politisch zu arbeiten. Ich hoffe aber, dass der Widerstand weitergeht und dass die Geschichten und die Stimme derer, die beschossen und bombardiert werden, mehr Gehör finden. Außerdem hoffe ich, dass es Bereitschaft für einen politischen Prozess gibt und dafür, sich zu vereinen. Was es jetzt braucht, ist Zusammenarbeit!
Interview: Hannah Spannring und Anselm Schindler
Titelbild: KPÖ