Fünf Beispiele, wie das Kapital die Pandemie verlängert

Was gut für die Pandemie ist, ist auch oft gut für die Interessen von Reichen und Konzernen. Beispiele finden sich in den Schulen und Fabriken, in Verhandlungssälen, Ställen – und im Wirtschaftssystem.

Zwei Jahre Pandemie, steigende Erfahrungswerte und trotzdem fühlen sich die Maßnahmen in Lockdown Nummer Vier nicht überdachter an als zu Beginn? Ja, das liegt an der Regierung. Aber nicht nur. Hinter ihren schlechten Entscheidungen stecken oft mächtige Interessen, die sie genau so wollen. Und das kapitalistische Wirtschaftssystem begünstigt diese Interessen. Die mosaik-Redaktion hat fünf Beispiele gesammelt. Sie stammen aus Österreich, der internationalen Politik und den tiefsten Wurzeln des kapitalistischen Regenwalds. 

1) Schulen: Kinder stecken sich an, damit Eltern weiter hackeln können

Erinnern wir uns zurück an den Beginn der Pandemie: Schulen hatten zu, Kinder waren über Wochen zuhause, arbeiten mussten Eltern jedoch weiterhin. Sie sollten Job und Kinderbetreuung irgendwie unter einen Hut bringen, weil es eben nicht anders möglich war, so die politische Botschaft. Schnell regte sich Unzufriedenheit. Und wir wussten schon, dass die türkis-grüne Regierung im Sommer lieber auf der faulen Haut liegt, als in sichere Schulen zu investieren.

Für den vierten Lockdown hatte Bildungsminister Heinz Faßmann die Lösung für das Dilemma parat: Schulen offenhalten, egal zu welchem Preis! Nicht so wichtig, dass die Infektionszahlen unter den fünf bis 14-Jährigen derzeit mit Abstand die höchsten unter allen Altersstufen sind. Das Ergebnis ist eine Wischi-Waschi-Regelung: Der Unterricht findet an Schulen statt, Schüler*innen können zuhause bleiben, Fernunterricht gibt es aber keinen für sie. Der Druck, in die Schule zu gehen, um keinen Lernstoff zu verpassen, ist massiv. Vor allem für jene Kinder, die ohnehin schon Lernschwierigkeiten haben. Die Verantwortung bleibt bei den Schüler*innen und ihren Eltern.

Ja, Schule hat eine wichtige soziale Funktion. Und ja, Distance Learning bringt gewisse Probleme mit sich. Doch darum geht es Faßmann und dieser Regierung nicht. Die Infektion und Erkrankung von Kindern werden bewusst in Kauf genommen, damit Eltern weiter hackeln gehen können und die Wirtschaft läuft. Die Regierung handelt im Interesse von Kapitalist*innen, sie stellt Profite über den Gesundheitsschutz der Bevölkerung.

Für die Schulen gäbe es (neben Distance Learning für die Zeit des Lockdowns) übrigens genug Schrauben, an denen in Pandemiezeiten gedreht werden kann: Leistungsanforderungen reduzieren, Ausbau von psychologischer Betreuung, Mitsprache von Schüler*innen erhöhen. Auch Sonderbetreuungszeiten für Eltern ist eine oft erhobene und sinnvolle Forderung.

2) Tourismus: Germknödel auf Skihütten sind wichtiger als Infektionskurven

Ischgl, Lobby, Après-Ski. Auch 2021 heißt es wieder: Kein Lockdown für Seilbahnen. Und wenn die Seilbahnen schon laufen, sollen auch die Skihütten offen haben. Alles andere wäre schließlich eine „Gefährdung der Skifahrer:innen”. Damit ist wohl alles gesagt. 

3) Fabriken: Profite rechtfertigen Masseninfektionen

Erst waren es die Textilfirmen in Vietnam und Kambodscha, die durch die Pandemie in Bedrängnis gerieten. Im Frühling stand dann auch die Großproduktion in Europa unter Druck. Während Freizeit abgesagt war und sich jene ins Homeoffice flüchteten, die es sich leisten konnten, blieben die Fabriktore geöffnet und plötzlich gab es Cluster in den Arbeitsstätten. Auf der Suche nach den Gründen offenbarte sich, dass osteuropäische Werkvertragsarbeiter*innen des Schlachtbetriebs Tönnies unter unwürdigen Umständen arbeiteten und wohnten und ausgebrannte Mitarbeiter*innen des Corona-Gewinners Amazon gestresst durch ihre Hallen hetzten, ohne sich zu ihrem Schutz gewerkschaftlich organisieren zu dürfen.

Aus der Forderung der Initative Zero Covid, für einige Wochen alle Fabriken zu schließen, um der Pandemie Einhalt zu gebieten, wurde nichts. Stattdessen verbot die deutsche Regierung zumindest die Werkverträge, die die Lage bei Tönnies ermöglichten. An der Wohnsituation der Arbeiter*innen änderte sich nichts. Und Corona betreffend sind wir, wie im Lockdown Nummer Vier ersichtlich, um nichts klüger geworden. Was von den Erfahrungen bleibt, sind die Schlagzeilen, ganz nach dem Motto „geht’s den Fabriken gut, geht’s uns allen gut“, die über ein Jahr später noch über die Suchmaschine mit den drei O’s hineingespült werden: „Corona bei Tönnies, Stillstand kostet 2,5 Millionen Euro.“ „Asiatische Textilindustrie: Corona-Krise treibt sie in den Ruin.“ Und, etwas zukunftsorientierter: „BOSON Corona Schnelltest Selbsttest, 5 Stück – Amazon.“ Wo die Prioritäten liegen, ist klar.

4) Patente: Konzerne dürfen Impfstoff-Produktion künstlich verknappen

Vergesst Delta, jetzt kommt Omikron. Mutationen wie die neue, noch ansteckendere Variante des Corona-Virus sind kein Zufall – sondern auch eine Folge des Kapitalismus. Wie das? Pharmakonzerne wie Pfizer oder Moderna sorgen dafür, dass weniger Impfstoff produziert wird, als möglich wäre. So kommt es, dass in Afrika erst 7 Prozent der Bevölkerung voll geimpft sind. Wo sich das Virus ungehindert ausbreiten kann, steigt das Risiko gefährlicherer Mutationen.

Kern des Problems sind die Patente auf die mRNA-Impfstoffe, die verbieten, dass andere Hersteller diese produzieren können. In Ländern wie Südafrika, Indien, Brasilien oder Thailand wären Pharmafirmen dazu in der Lage, dürfen aber nicht. Deswegen sterben derzeit 7.000 Menschen weltweit pro Tag. Und einige wenige werden reich. Pfizer, Biontech und Moderna fahren 2021 über 1.000 Dollar pro Sekunde Profit ein. Dabei haben öffentliche Unis die mRNA-Technologie entwickelt. Die Konzerne organisierten nur die klinischen Testphasen und die Vermarktung. In Summe stammt der Großteil der Impfstoff-Investitionen aus öffentlichen Quellen. Wir bezahlen die Konzerne also doppelt – für die Entwicklung und für das fertige Produkt. Rund 20 Euro legt die EU pro Dosis auf den Tisch, bei Produktionskosten von rund einem Dollar.

 Zumindest das Problem mit den Patenten ist zu lösen. Sie für drei Jahre aussetzen – das haben Südafrika und Indien bei der Welthandelsorganisation (WTO) beantragt. Die Mehrheit ist dafür. Doch das nötige Dreiviertel-Quorum blockieren die EU und Österreich. Attac, Ärzte ohne Grenzen und zahlreiche Expert:innen fordern Ministerin Margarete Schramböck dazu auf, das zu ändern.

Der diese Woche geplante WTO-Gipfel zur Patentfreigabe wurde nun verschoben, weil zahlreiche Delegierte wegen Omikron nicht in die Schweiz einreisen dürfen. Je länger die Patent-Blockade und damit die Virus-Ausbreitung dauern, desto größer das Risiko, dass neue Mutationen auch den Impfschutz der vermeintlich sicheren Bevölkerung im Globalen Norden durchbrechen. Die Pandemie ist erst vorbei, wenn sie für alle vorbei ist.

5) Natur: Ausbeutung begünstigt Pandemien

Im Anfang war die Tat. Wirtschaftliche Machtverhältnisse prägen nicht erst den Verlauf, sondern bereits die Entstehung von Epidemien und Pandemien – sie sind zumindest teilweise menschengemacht. Beispielsweise durch die Zerstörung von Regenwäldern und Feuchtgebieten: Werden die Rückzugsräume für Wildtiere immer mehr zerstört, steigt die Wahrscheinlichkeit, dass Krankheitserreger auf Menschen übertragen werden. Auch die industrielle Landwirtschaft und Massentierhaltung spielen eine wichtige Rolle dabei, dass Krankheiten zu Epidemien werden. Die Verhältnisse, unter denen Tiere gehalten werden, um den Profit der Fleischindustrie zu maximieren, begünstigen die Entstehung von Virenmutationen und ihre Übertragung auf Menschen.

Das heißt, dass wir es aufgrund der Art, in unserer kapitalistischen Wirtschaft Land- und Viehwirtschaft zu betreiben, bei Corona nicht mit einer einmaligen Krise zu tun haben. Laut Expert*innen wie dem Soziologen Mike Davis befinden wir uns am Beginn eines „Zeitalters der Pandemien“. Das liefert uns einen Handlungsspielraum. Pandemien bedeuten nicht, dass wir der Natur hilflos ausgeliefert sind – wohl aber, dass nur eine grundsätzliche Veränderung des ökonomischen Systems einen Ausweg aus diesen wiederkehrenden Krisen möglich macht.

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