Flüchtlingen helfen. Aber wie?

Die vielen Menschen, die über das Mittelmeer nach Europa flüchten, füllten diese Jahr das Sommerloch in der politischen Berichterstattung und wurden Anfang Herbst zum Hauptthema der Landtags- und Gemeinderatswahlen in Oberösterreich und Wien. Während im Sommer zahlreiche zivilgesellschaftliche Hilfsaktionen im Rampenlicht standen, inszenierte die FPÖ im Herbst mit Erfolg die mangelnde Bereitschaft großer Bevölkerungsteile, Flüchtlinge aufzunehmen. Eine unzumutbare Belastung seien sie, Schmarotzer, die nun auf Kosten von ÖsterreicherInnen hier leben wollten. Lisa Eberle darüber, wie es anders sein kann. 

Die Grundstruktur der Flüchtlingsdebatte in Österreich steht fest. Eine Seite ist bereit zu helfen, die andere nicht. Die eine die Last tragen, die andere nicht. Einig sind sie sich nur darin, dass Flüchtlinge hilfsbedürftig sind. Flüchtlinge sehen sich selbst jedoch oft ganz anders. Diese Menschen kommen nach Europa, weil sie in ihrem Herkunftsland keine Zukunft mehr für sich und ihre Kinder sehen. Dort sind sie in Not geraten, in eine Situation, in der Flucht als der einzige Ausweg erschien. Mit dieser Entscheidung haben sie ihr Leben auf eine so grundsätzliche Art und Weise in die eigene Hand genommen, wie viele ÖsterreicherInnen das nie getan haben und hoffentlich auch nicht tun müssen. Flüchtlinge sind in erster Linie Menschen, die beschlossen haben, sich selbst zu helfen.

Gegen das Bild der Hilfsbedürftigen

Dass diese sehr selbstbestimmten Menschen in den EU-Ländern, in die sie fliehen, für lange Zeit überwiegend als hilfsbedürftig wahrgenommen und behandelt werden, ist das Resultat des rechtlichen Rahmens, der die Existenz von Flüchtlingen prägt. Über diesen Rahmen hinauszudenken, hat großes Potential. So können die politischen Debatten aus ihrer Blockade gelöst und zivilgesellschaftliche Hilfsaktionen stärker an die Selbstwahrnehmung der Flüchtlinge angepasst werden.

Bilder von Menschen, die auf Booten über das Mittelmeer nach Europa kommen, symbolisieren Hilfsbedürftigkeit wohl am effektivsten. Die Menschen auf den Booten erscheinen anders als wir, die überallhin fliegen. Man könnte meinen, dass sie sich auf einem „anderen Entwicklungsniveau“ befinden. Aber warum kommen sie mit dem Boot über das Mittelmeer nach Europa? Die Antwort auf diese Frage ist ein gutes Beispiel für den rechtlichen Ursprung unserer Wahrnehmung von Flüchtlingen.

Armut allein kann dieses Phänomen nicht erklären. SchlepperInnen verlangen angeblich zwischen 1000 und 1500 Euro für eine Überfahrt über das Mittelmeer nach Europa. Ein Flugticket aus dem Nahen Osten oder aus Nord- und Zentralafrika nach Österreich kostet oft nur ein Drittel dieses Betrags. Vielmehr erklärt eine EU-Richtlinie aus dem Jahr 2001, die Richtlinie 2001/51/EC für die Bekämpfung von illegaler Einwanderung, warum Flüchtlinge auf Booten von SchlepperInnen nach Europa kommen müssen. Sie bestimmt, dass Transportunternehmen die Kosten der Rückreise aller Personen übernehmen müssen, die ohne passende Papiere in EU-Ländern ankommen. Die Richtlinie bestimmt auch, dass Asylsuchende von dieser Regelung ausgenommen sind. Sie beauftragt somit also die Angestellten von Fluglinien zu entscheiden, wer Flüchtling ist und wer nicht. Effektiv führt das dazu, dass Fluglinien nun keine Passagiere ohne Visa mehr in ihre Flugzeuge lassen.

Ein zweites und viel bekannteres Beispiel für den Einfluss des rechtlichen Rahmens auf das Flüchtlingsbild ist das Arbeitsverbot für Asylwerbende. Drei Monate nach dem gestellten Asylantrag dürfen die Menschen in einigen Bereichen arbeiten: in der Saison, als Selbstständige, und in Gemeinden. Aber ihre Einkünfte werden gegen ihre Grundversorgung gerechnet. Die Zuverdienst-Grenze liegt im Moment bei 110 Euro und zu hohe Einkünfte können sogar zum Verlust der Grundversorgung und der damit verbundenen Versicherungen führen. Anders gesagt: Das Asylrecht macht Asylwerbende wirtschaftlich abhängig vom österreichischen Staat. Es macht sie hilfsbedürftig. Viele Geflüchtete verstehen sich selbst jedoch ganz anders.

Ein Beispiel der Zusammenarbeit

Diese Erfahrung machte auch ein Konstanzer Möbeldesigner in Berlin, als er Geflüchteten dort anbot, für sie und mit ihnen Betten zu bauen. Möbel, antworteten sie, wären das letzte was sie bräuchten. Etwas zu tun und Arbeit wäre ihnen viel wichtiger. Dieser Austausch war der Ausgangspunkt für ein Projekt, das schlussendlich mit der Gründung der Firma Cucula endete. Seit zwei Jahren baut Cucula nun mit fünf Männern aus Libyen, Niger und Mali Möbel. Die Firma bietet diesen Männern Stipendienplätze an, die Deutschkurse und eine Schreinerausbildung beinhalten. Die Stühle und Tische, die sie bauen, finden großen Anklang, auch auf der Möbelmesse in Mailand.

Dieses Projekt umgeht die rechtlichen Beschränkungen, die AsylwerberInnen überall in Europa im Weg stehen, sich selbst zu helfen. Es präsentiert aber auch ein ganz neues Flüchtlingsbild, ein Bild, das mehr dem Selbstbild der Menschen entspricht und das diese Menschen in der Gesellschaft ankommen lässt. Vor allem ist es ein Bild, das nicht zwischen guten und schlechten Flüchtlingen, ausgebildeten und nicht ausgebildeten unterscheidet. Vor allem sind sie keine Last. Alle wollen und können etwas beitragen.

Auf EU-Ebene gibt es mittlerweile Vorschläge, rechtliche Grundlagen zu schaffen, die etwa diesem Bild entsprechen. Anfang September dieses Jahres hat sich der EU-Kommissionspräsident Jean-Claude Juncker für ein europaweites Arbeitsrecht für Asylwerbende ausgesprochen. Aber EU-PolitikerInnen und PolitikerInnen auf nationaler Ebene leben in verschiedenen Welten. Seit einigen Jahren bringen Organisationen wie die Caritas, das AMS und der ÖGB eine Erweiterung des Arbeitsmarktzugangs für Asylwerbende zur Sprache. Österreichische PolitikerInnen haben sich in dieser Frage, wie in der Asylpolitik allgemein, von Angst treiben lassen. Vor allem, so scheint es, fürchten sie die rechtspopulistische Rhetorik, dass AsylwerberInnen nun ÖsterreicherInnen die Jobs wegnehmen würden.

Zugleich gibt es die Vorstellung, dass Menschen nach Österreich kommen, um als sogenannte Schmarotzer auf Kosten des Staates zu leben. Diese Rhetorik politisiert die rechtlich erzeugte, politisch gewollte und objektiv existierende Abhängigkeit der Asylwerbenden vom österreichischen Staat, indem es sie zu ihrer Charaktereigenschaft und Motivation macht. Im Gegensatz dazu ist es schlichtweg ungewiss, wie sich der österreichische Arbeitsmarkt in den nächsten Jahren unter den veränderten Bedingungen entwickeln wird. Künftige Entwicklungen sind stets mit Unsicherheiten verbunden. Die Frage ist allein, ob man vor dieser Unsicherheit angstvoll die Augen schließen sollte. Doch wer arbeitet und Geld verdient, konsumiert auch und kurbelt somit die Wirtschaft an. Auf diese Art erklären WirtschaftswissenschaftlerInnen wie David Card (University of California, Berkeley) die Ergebnisse ihrer empirischen Forschung: Migrationsströme haben danach nachweislich kaum Auswirkungen auf die Löhne und den Beschäftigungsanteil der ansässigen ArbeitnehmerInnen.

Derzeit ist die politische Debatte zur Flüchtlingsfrage in Österreich in einem rechtlichen und konzeptuellen Rahmen gefangen, in dem das einzige Argument gegen die Hetze gegen Geflüchtete darin besteht, auf unsere Verpflichtung, diesen Menschen zu helfen, zu verweisen. Diese Pflicht besteht zweifelsohne. Aber das Flüchtlingsbild, das sie transportiert, ist genau dasselbe, das die Menschen vertreten, die gegen Flüchtlinge hetzen. Am schlimmsten daran ist wohl, dass österreichische Parteien kurzsichtige Machtpolitik auf dem Rücken von Menschen austragen, die schon genug mitgemacht haben. Denn der Unwillen, den Arbeitsmarkt für Asylwerber zu öffnen und so für ein neues Flüchtlingsbild einzustehen, steht im Gegensatz dazu, sie als selbstbestimmte und sich selbst helfende Menschen anzuerkennen. Die hohe Depressionsrate unter AsylwerberInnen, wie von der die Caritas in Vorarlberg berichtet, darf einen da nicht wundern.

Während PolitikerInnen sich weiter von Angst leiten lassen und sie nutzen, zeigt die Zivilgesellschaft, wie sich die Wahrnehmung von Geflüchteten als einzig und allein hilfsbedürftig überwinden lässt. Die von der Caritas organisierte Nachbarschaftshilfe in Vorarlberg ist beispielsweise ein wunderbarer Anfang. Schlussendlich muss es darum gehen, den vielen AsylwerberInnen, die von nun an in Österreich wohnen werden, zu helfen, sich nachhaltig selbst zu helfen. Die Firma Cucula zeichnet einen möglichen Weg vor.

Lisa Eberle ist Junior Research Fellow für Alte Geschichte am St. John’s College der Universität Oxford. 

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