Wie es mit „Black Lives Matter“ in Wien weiter geht

Der 19-jährige Mugtaba Hamoudah war einer der Organisatoren der Wiener „Black Lives Matter“-Demo, bei der Anfang Juni 50.000 Menschen auf die Straße gingen. Im Interview spricht er in unserem Podcast über junge Leute, die Credits verdienen, den politischen Einfluss von Rap und sein Problem mit dem Klimavolksbegehren.

Hier findet ihr das Gespräch mit Mugtaba zum Anhören. Geführt hat es Mosaik-Redakteur Mahdi Rahimi. Darunter haben wir es in einer gekürzten Fassung verschriftlicht.

Mosaik-Blog: Wie habt ihr es geschafft, dass 50.000 Menschen in Wien auf die Straße gegangen sind? Die Demo war ja nicht von langer Hand geplant.

Mugtaba Hamoudah: Ich habe mir das Video angeschaut, in dem George Floyd ermordet wurde und habe zwei Tage nur geheult. Dann habe ich Mireille Ngosso auf Instagram geschrieben, weil ich sie gekannt habe. Sie ist eine von ganz wenigen Schwarzen PolitikerInnen in Wien und seit Jahren anti-rassistisch und feministisch aktiv. Wir haben gemeinsam die Demo organisiert. Das hat, glaube ich, so gut funktioniert, weil es viele Menschen gab, denen es ein Anliegen war. Es gab innerhalb von wenigen Tagen 100 Leute, die uns geholfen haben. Die 50.000 haben sich fast von alleine gefunden. Es war vielen Menschen wichtig.

Du hast Mireille Ngosso vorher nicht persönlich gekannt?

Genau. Man kennt sie halt. Ich habe sie mit 16 einmal auf einer Demo getroffen, sie angesprochen und dann daheim total stolz erzählt, dass ich sie getroffen habe. Aber wirklich kennengelernt haben wir uns erst jetzt.

Du hast gesagt, dass sie eine der ganz wenigen Schwarzen PolitikerInnen in Österreich ist. Das betrifft auch linke Parteien. Warum ist das so?

Die Linke ist auf alle Fälle sehr weiß und die Beschäftigung mit gewissen Themen bleibt sehr oberflächlich. Das beste Beispiel sind Männer, die sagen, dass sie Feministen sind. Die tun sehr aufgeklärt, setzen sich mit vielen Fragen aber gar nicht auseinander: Was ist der Gender Pay Gap? Was kann man gegen sexualisierte Gewalt und Übergriffe tun? Das ist bei Anti-Rassismus dasselbe. Viele Leute reflektieren nicht, dass wir alle Rassismen in uns tragen, weil wir in einer rassistischen Gesellschaft sozialisiert worden sind. Das heißt, dass auch in anti-rassistischen, linken Kreisen Rassismus reproduziert wird. Da braucht es mehr Reflexion und mehr Leute, die persönlich davon betroffen sind. Die Linke sollte nicht so tun, als würde sie die Probleme dieser Menschen kennen, sondern sie für sich selbst sprechen lassen.

Reden wir noch einmal über die Demo: Waren es vielleicht auch deswegen so viele Teilnehmer*innen, weil der Mord an George Floyd in den USA passiert ist? Wären so viele Menschen gekommen, wenn bei der Demo österreichischer oder europäischer Rassismus im Vordergrund gestanden wäre?

Ich glaube, der Fall von George Floyd hat das Fass zum Überlaufen gebracht. Einen Menschen zu sehen, wie er acht Minuten ums Überleben kämpft, ist sehr hart. Aber ich glaube auch, dass du Recht hast. Im deutschsprachigen Raum sind wir sehr gut darin, uns mit anti-rassistischen Kämpfen auf der ganzen Welt zu solidarisieren, aber mit unserer rassistischen Geschichte setzen wir uns nicht auseinander. Wir vergessen, dass Deutschland Kolonien hatte und wichtige Philosophen der Aufklärung, wie Immanuel Kant, rassistisch waren. Rassismus ist Teil unserer Gesellschaft.

Aber es gab anti-rassistische Kämpfe in Österreich. Zum Beispiel als Marcus Omofuma 1999 von der Polizei getötet wurde.

Ja, es waren auch bei den jetzigen Demos viele Leute auf der Bühne, die damals aktiv waren. Ich war da noch nicht auf der Welt, aber sie haben sich dafür eingesetzt, dass es ein Denkmal für Omofuma geben wird und die Polizisten strafrechtlich verfolgt werden. Dass sie jetzt erleben, wie so viele Leute gegen Rassismus protestieren, ist einerseits sicher empowernd. Aber auf der anderen Seite stelle ich mir das auch sehr ermüdend vor. Ich will mir nicht vorstellen, dass meine eigenen Kinder in zwanzig Jahren für denselben Zweck auf die Straße gehen müssen. Das kann es doch nicht sein.

Niemand will protestieren. Wir würden alle lieber daheim sitzen und Kaffee trinken. Aber das Privileg, den Mund zu halten, steht uns nicht zu. Sicher hat sich etwas verändert, das Thema ist präsenter geworden. Aber es stört mich manchmal, wie banal es diskutiert wird. Oft geht es darum, ob man das N-Wort sagen darf. Aber wir wollen nicht nur darüber sprechen. Es geht um rassistische Gewalt und Strukturen, die es nicht-Weißen Menschen in diesem Land sehr schwer machen, ihr Leben zu leben.

Wie kann sich da etwas ändern?

Das ist eine gute Frage. Ich denke, wir müssen uns den Raum nehmen, der uns zusteht. Das heißt, dass wir auf die Straße gehen, dass wir Social Media-Kanäle aufbauen. Langfristig wird das hoffentlich dazu führen, dass wir an den wichtigen Stellschrauben drehen können.

Glaubst du, dass die Generation, die jetzt auf die Straßen geht, politischer ist als die davor?

Sie ist zumindest nicht weniger politisch, das hat man jetzt gesehen. Es ist uns gelungen, viele Menschen aus marginalisierten Gruppe zu erreichen, weil die sich über Social Media vernetzen können. Diese Möglichkeit gibt es noch nicht so lang. Und ich glaube auch, dass junge Menschen einen stärkeren Bezug zu Schwarzer Kultur haben. Das klingt banal, aber natürlich habe ich ein anderes Verständnis von Rassismus, wenn ich einen Rapper höre, der sich anti-rassistisch äußert, als wenn ich den Standard aufschlage. Wir geben jungen Leuten zu wenig Credit. Sie sind nicht dumm und viele von ihnen gehen für eine gerechte Welt auf die Straßen… Ich sag immer sie und tu‘ so, als würde ich nicht dazu gehören (lacht).

Es wird oft versucht, Anti-Kapitalismus und Anti-Rassismus gegeneinander auszuspielen als würden diese beiden Dinge nicht zusammenhängen. Wie gehst du damit um?

Das ist Bullshit und einfach eine Weiße Position. Diese Dinge hängen zusammen. Es sind People Of Color, die am meisten unter dem Kapitalismus leiden. Die Menschen, die der Klimawandel am Stärksten betrifft, sind People of Color. Das ist es auch, was mich an der Mobilisierung für das Klimavolksbegehren gestört hat. Ich finde es cool und unterstützenswert, aber es war so weiß. Es geht darum, intersektional zu handeln. Weiße Kämpfe, gegen den Klimawandel oder für den Feminismus, bringen nichts.

Kommen wir noch einmal zum Anfang zurück: Wie plant ihr, die Leute, die auf den Demos waren, bei euch zu halten?

Wir sind mit den Aktivist*innen, die schon vor meiner Zeit aktiv waren, zusammen gekommen. Momentan versuchen wir gerade herauszufinden, wie wir den Diskurs in Österreich so anti-rassistisch wie möglich prägen zu können. Ich hoffe, ihr hört noch viel von uns.

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