83 Millionär*innen haben einen offenen Brief geschrieben. Sie verlangen, höher besteuert zu werden, um für die Folgen der Coronakrise aufzukommen. Das ist ein Anfang, aber nicht viel mehr, finden Teresa Petrik und Paul Herbinger. Millionär*innen gehören enteignet, Reichtum dieser Größenordnung abgeschafft.
„Millionäre wie wir spielen eine zentrale Rolle in der Heilung unserer Welt“, behaupten die „Millionaires for humanity“ in einem offenen Brief. Die vor allem US-amerikanischen und britischen Millionär*innen fordern als Antwort auf die Coronakrise eine höhere Besteuerung ihres Reichtums. Was für einige wie eine revolutionäre Geste wirken mag, grenzt tatsächlich an Zynismus.
Die Coronakrise habe gesellschaftliche Probleme hervorgebracht, aber auch verschärft, schreiben die Verfasser*innen des offenen Briefes. Arbeitslosigkeit und Armut steigen an, gleichzeitig zeigen sich bestehende Probleme, darunter etwa eine ungenügende Finanzierung des Gesundheitssystems. Die vermeintliche Lösung? Eine höhere Besteuerung von Millionär*innen.
Knallharte Ideologie
Corona hat gesellschaftliche Verhältnisse global durcheinander gebracht. Das steht außer Frage. Die daraus resultierenden sozialen und wirtschaftlichen Folgen sind aber kein Naturereignis. Zum einen ist die Pandemie nicht der einzige Grund für die Wirtschaftskrise, die wir aktuell erleben. Schon 2019 haben Ökonom*innen darauf hingewiesen, dass sich die Weltwirtschaft im Abschwung befindet und dass die letzte große Krise von 2008 nicht gelöst, sondern verschleppt wurde. Diese sich anbahnende Krise wurde durch Corona lediglich beschleunigt.
Auch der Umgang mit der gesundheitlichen Krise selbst ist nicht alternativlos. Er zeugt von den Folgen ganz bestimmter politischer Entwicklungen: Der jahrzehntelange Sparzwang, der es Pflegeheimen, Krankenhäusern und ganzen Sozialversicherungssystemen verunmöglicht, adäquat zu reagieren, ist keine Naturgewalt. Er ist das Ergebnis neoliberaler Ideologie. Und obwohl es erfreulich ist, dass sich 83 der 46,8 Millionen Millionär*innen weltweit zur Besteuerung freiwillig melden, ändert das genau nichts an kapitalistischer Ausbeutung und Ungleichheit.
Warum gibt es Millionär*innen?
Im Brief steht:
„Nein, wir sind nicht diejenigen, die sich auf Intensivstationen um die Kranken kümmern. Wir fahren keine Krankenwagen, die Kranke in Krankenhäuser bringen. Wir füllen keine Regale für Lebensmittelgeschäfte auf und liefern keine Lebensmittel von Tür zu Tür. Aber wir haben viel Geld. Geld, das jetzt dringend benötigt wird und auch in den kommenden Jahren benötigt wird, wenn sich unsere Welt von dieser Krise erholt.“
Die vorgeschlagenen Vermögenssteuern sind eine beliebte Forderung, auch unter Linken. Umso beeindruckender wirkt es, wenn die Reichen selbst den Staat in die Verantwortung nehmen, sie höher zu besteuern.
Was die Forderung nach einer höheren Besteuerung jedoch unangetastet lässt, ist die Wurzel des Problems. In unserer kapitalistischen Gesellschaft basieren Armut und soziale Ungleichheit nicht nur auf der ungleichen Verteilung von Einkommen und Vermögen, sondern auf der strukturellen Ausbeutung des Großteils der Menschen. Reiche gibt es nicht einfach, weil sie mehr arbeiten oder zufällig mehr verdienen. Ganz im Gegenteil: Der Reichtum der Wenigen ist nur deshalb möglich, weil die Mehrheit der Menschen für ein niedriges Gehalt arbeitet, und Unternehmen so das Anhäufen von Profit ermöglicht. Die oben zitierte Passage sollte also besser so lauten:
Nein, wir sind nicht diejenigen, die sich auf Intensivstationen um die Kranken kümmern. Wir sind die Besitzer vieler Krankenhäuser, in die euch die Krankenwägen bringen. Auch füllen wir keine Regale, wir besitzen die Lebensmittelgeschäfte. Wir liefern keine Lebensmittel, wir besitzen die Aktien des Startups, dass euch Lieferanten ausbeutet! Deswegen haben wir Geld.
Uns aus dem Elend zu erlösen, können wir nur selber tun!
Eine Reichensteuer kann dementsprechend zwar ein Weg für einen Staat sein, finanzielle Mittel für gesellschaftlich wichtige Investitionen zu lukrieren. Am Kern des Problems geht sie jedoch vorbei. Auch wenn Millionär*innen einen höheren Anteil ihres Vermögens oder Einkommens an den Staat abgeben, bleibt die ungerechte Organisation von Arbeit und wirtschaftlicher Produktion bestehen.
Dazu kommt: Wer echte Umverteilung von Eigentum will, darf sich nicht auf den guten Willen von Millionär*innen verlassen. Auch wenn es Einzelne gibt, die der Forderung nach höheren Steuern positiv gesinnt sind, werden sie immer eine Minderheit bleiben. Dass eine politisch relevante Mehrheit gegen ihre eigenen finanziellen Interessen für eine Vermögenssteuer eintritt, ist eine unrealistische Vorstellung. Harmonisch wird sich die gesellschaftliche Ungerechtigkeit nicht überwinden lassen.
Gerne selbst abschaffen
Im Brief steht weiter:
„Also bitte. Besteuern Sie uns. Beteuern Sie uns. Besteuern Sie uns. Es ist die richtige Wahl. Es ist die einzige Wahl.“
Richtig wäre eine sofortige Vermögenssteuer ohne Zweifel – keinesfalls ist es jedoch unsere einzige Wahl. Viel eher müssen wir das Ausbeutungsverhältnis aufheben, das überhaupt erst eine Klasse von absurd Wohlhabenden auf Kosten der Mehrheit der Menschen erzeugt. Und dafür sind wir nicht auf die Gutmütigkeit der Ausbeuter angewiesen. Es kann nicht Aufgabe von Linken sein, Initiativen wie „Millionaires for humanity“ zuzujubeln.
Wer der Überzeugung ist, dass es für eine gerechte Gesellschaft eine radikale Veränderung der aktuellen Eigentums- und Vermögensverhältnisse braucht, wird nicht darum herumkommen, daran selbst und gemeinsam mit anderen zu arbeiten. Dafür müssen wir uns von der Illusionen über vermeintlich progressive Forderungen der Mächtigen verabschieden. Millionär*innen zu enteignen und Ausbeutung zu überwinden ist die einzige Wahl. Wer von den 83 Unterzeichner*innen sich dann bei der Selbst-Abschaffung mitmachen will, ist herzlich eingeladen.