Rund um Griechenland überschlagen sich die Ereignisse: Woran scheiterten die Verhandlungen letzte Woche? Wie will die Regierung das anstehende Referendum gewinnen? Und wie ist die Stimmung im Land? Darüber hat Theodoros Paraskevopoulos, Wirtschaftsberater der Regierungspartei SYRIZA, mit mosaik-Redakteur Valentin Schwarz gesprochen.
Letzte Woche schien es so, als stünde eine Einigung zwischen Griechenland und der Eurozone kurz bevor. Doch dann wurden die Verhandlungen Freitag Nacht abgebrochen und Premierminister Alexis Tsipras kündigte ein Referendum über das letzte Angebot der Gläubiger_innen an. Wie ist es dazu gekommen?
Theodoros Paraskevopoulos: Die griechische Regierung konnte den Vorschlag der Institutionen aus zwei Gründen nicht annehmen. Der erste betrifft die Form: Am Montag hatte die Regierung einen Vorschlag vorgelegt, der positiv aufgenommen und von vielen Seiten gelobt wurde. Es sah so aus, als würde es schnell zu einer Einigung kommen. Am Donnerstag wurde der Vorschlag aber abgelehnt. Stattdessen wurde ein Ultimatum übermittelt. Kein unabhängiger Staat kann ein Ultimatum annehmen.
Und der zweite Grund?
Theodoros Paraskevopoulos: Das ist der Inhalt dieses Ultimatums. Die griechische Regierung sollte sich verpflichten, bestimmte arbeitsrechtliche Maßnahmen nicht umzusetzen – etwa die Wiedereinführung von Kollektivverträgen. Auch der Vorschlag der Regierung, bei den vereinbarten Privatisierungen müsse der Käufer das griechische Arbeitsrecht einhalten, wurde abgelehnt. Der Investor sollte machen können, was er will. Außerdem wollten sie, dass die Erlöse voll und ganz zur Tilgung der Schulden verwendet werden. Die Regierung wollte einen Teil für öffentliche Investitionen und die sozialen Sicherungssysteme verwenden. Außerdem waren weitere Kürzungen bei den Pensionen enthalten. Der letzte Punkt betrifft die Mehrwertsteuer. Wir haben einen niedrigeren Steuersatz für die griechischen Inseln, weil der Transport von Alltagsgütern dorthin so teuer ist. Das ist gängige Praxis in der EU, aber die Gläubiger wollen ihn abschaffen. Die Regierung hat große Abweichungen von ihrem Wahlprogramm akzeptiert, um zu einer Einigung zu kommen. Das wäre eine schmerzhafte, aber tragfähige Einigung gewesen. Dazu ist es nicht gekommen.
Wie war der Verhandlungsstand in der Frage der griechischen Staatsschulden, die seit dem Troika-Programm weiter gestiegen sind?
Theodoros Paraskevopoulos: Die Schulden betragen heute 350 Milliarden und können nicht bedient werden. Die Regierung wollte erreichen, dass die Frage geregelt wird. Das muss nicht unbedingt ein Schuldenschnitt sein. Wir würden auch einer langen Streckung und einer Festverzinsung auf dem heutigen Niveau zustimmen. Der Zinssatz hängt aktuell vom Zinssatz der Europäischen Zentralbank (EZB) ab. Der wird über kurz oder lang erhöht werden. Eine Festverzinsung wäre für uns sehr wichtig, damit wir wissen, was in den nächsten Jahren auf uns zukommt. Auch hier gab es kein Entgegenkommen. All das konnte die griechische Regierung nicht annehmen.
Warum sollte die Gegenseite die Verhandlungen in letzter Minute platzen lassen?
Ich bin der Meinung, dass die Ablehnung aus politischen Gründen passiert ist, nicht aus wirtschaftlichen. Das ist reine Machtpolitik. Jetzt wird nächsten Sonntag ein Referendum stattfinden. Wir empfehlen ein Nein zu den Vorschlägen. Aber sollten unsere Partner sich noch auf einen vernünftigen, annehmbaren Vorschlag einigen, können wir auch ein Ja empfehlen.
Gibt es Signale in diese Richtung?
Theodoros Paraskevopoulos: Nein. Es gibt Gespräche und Kontakte, aber keinen konkreten neuen Vorschlag.***
Wie ist die Stimmung im Land? Die Opposition tritt vehement dafür ein, dem Vorschlag zuzustimmen…
Theodoros Paraskevopoulos: Nicht ganz. Keine Partei im Parlament hat den Vorschlag der EU gebilligt, keine. Deswegen sagen sie, es ginge in Wahrheit um den Verbleib im Euro. Ich halte es für schädlich für die EU, das Referendum so hinzustellen, dass ein Ja zum Vorschlag der Regierung ein Nein zum Euro wäre. Wir rechnen damit, dass wir die Volksabstimmung mit über 60 Prozent klar gewinnen.
Der Druck von europäischer Seite ist in Griechenland konkret spürbar. Am 30. Juni läuft das Troika-Programm aus, in dessen Rahmen verhandelt wurde. Die Euro-Finanzminister_innen haben das Ansuchen abgelehnt, es formal bis nach dem Referendum zu verlängern. Darauf hat die EZB reagiert: Bis 30. Juni erhält sie die Liquidität der griechischen Banken aufrecht, erhöht sie aber nicht weiter. Als Folge müssen die Banken vorerst geschlossen bleiben, es gibt Abhebelimits von 60 Euro am Tag. Was wird nach dem 30. Juni sein? Kann die EZB die Banken am Leben erhalten, will sie das?
Theodoros Paraskevopoulos: Sie ist sogar dazu verpflichtet. Die Aufgabe einer Zentralbank ist es, das Bankensystem aufrechtzuerhalten. Wenn sie das nicht täte, würde sie gegen ihre eigenen Statuten verstoßen. Allerdings sind wir es leider gewohnt, dass europäische Institutionen gegen europäisches Recht verstoßen. Ich kann also nicht sagen, was die EZB tun wird. Es wäre ein weiteres Aufreißen eines Grabens, den wir nicht aufreißen sollten.
Der Druck von europäischer Ebene kann als Teil einer Angstkampagne verstanden werden, um die Bevölkerung dazu zu bringen, mit Ja zu stimmen. Die griechische Opposition stimmt ein. Ex-Premierminister und Oppositionsführer Antonis Samaras hat gesagt: „Es geht nicht darum, ob wir morgen noch Geld haben – sondern ob wir morgen überhaupt noch existieren.“ Mit welchen Argumenten will die Regierung dieser Angstkampagne begegnen?
Theodoros Paraskevopoulos: Zuerst einmal: Der griechische Staat existiert seit 200 Jahren, auch ohne Hilfen. Aber unser wichtigstes Argument ist: Die Verhandlungen sind nicht abgebrochen. Wir dürfen uns von all diesem Geschrei keine Angst machen lassen. Die Frage lautet: Wollt ihr ein Programm, das laut Berechnungen der Financial Times die Wirtschaftsleistung um noch einmal 12,5 Prozent senkt? Oder wollen wir Nein sagen und versuchen, noch einmal mit unseren Partnern zu reden?
Einige der Partner_innen sagen aber: Ein Nein ist das Ende der Verhandlungen. Wie wollen Sie den Menschen die Unsicherheit davor nehmen, was danach passiert?
Theodoros Paraskevopoulos: Das können wir nicht. Wir können sie nur davon überzeugen, dass der andere Weg die Fortsetzung dessen ist, was bisher passiert ist: Arbeitslosigkeit, das Zusammenbrechen des Gesundheits- und Bildungssystems, die Minderung ihres Einkommens. Das ist der Weg, den man uns vorschlägt.
Wie lange können die Banken geschlossen bleiben? Das ist ja der Hauptgrund für die Angst und Unsicherheit.
Theodoros Paraskevopoulos: Nein, das ist nicht der Hauptgrund. Die Menschen können ja täglich bis zu 60 Euro abheben. Ich kenne nur wenige, die mehr als das am Tag zur Verfügung haben. Ausländische Karten sind von der Begrenzung ausgenommen, Touristen können also so viel abheben wie zu Hause. Auch die Unternehmen können ihre Rechnungen bezahlen. Zugleich wird so aber verhindert, dass noch mehr Geld ins Ausland abfließt. Das ist alles nicht sonderlich angenehm…
…aber Sie rechnen mit keiner tiefgehenden Beeinträchtigung der Wirtschaft?
Theodoros Paraskevopoulos: Im Moment nicht.
Wie lange ist diese Situation durchhaltbar?
Theodoros Paraskevopoulos: Das kann ich nicht sagen – aber eine Woche, bis zum Referendum, auf jeden Fall.
Wie auch immer das Referendum ausgeht: Es ist nicht auszuschließen, dass Griechenland aus dem Euro gedrängt wird. Welche Pläne haben Sie dafür?
Theodoros Paraskevopoulos: Ich kann mir nicht vorstellen, dass irgendwer in Europa diesen Versuch macht. Das hieße, Griechenland aus der Europäischen Union hinauszudrängen. Die wirtschafts- und finanzpolitischen Konsequenzen kennt man nicht, die außen- und sicherheitspolitischen auch nicht. Griechenland müsste sich danach umorientieren, ob es das will oder nicht. An dieser Frage hängt so viel, dass ich nicht glaube, dass jemand diesen Schritt wagen wird. Wie dem auch sei, Regierungen müssen Pläne für alle Fälle haben. Wir haben diese Pläne.
Können Sie mehr über diese Pläne sagen?
Theodoros Paraskevopoulos: Nein, das kann ich leider nicht.
***Hinweis der Redaktion: Das Interview wurde am Montagabend geführt. In der Nacht auf Dienstag machte Kommissionspräsident Jean-Claude Juncker griechischen Medien zufolge einen weiteren Einigungsversuch: Die Regierung solle bei der Volksabstimmung ein Ja zum Troika-Angebot empfehlen und dieses umsetzen. Im Gegenzug könnten die Staatsschulden im Oktober umstrukturiert werden. Weitere Details sind nicht bekannt, etwa ob Junckers Angebot mit den Euro-Finanzminister_innen abgestimmt war, die jede Einigung absegnen müssen. Bekannt ist aber, dass die griechische Regierung den Vorschlag umgehend als unzureichend zurückgewies.
Theodoros Paraskevopoulos studierte in Kiel Wirtschaftswissenschaften. Er war parlamentarischer Geschäftsführer von SYRIZA und ist heute ökonomischer Berater der Partei.
Valentin Schwarz ist mosaik-Redakteur, engagiert sich bei Attac und ist Teil von Griechenland entscheidet.