Alexandra Strickner von attac hat vor wenigen Tagen einen Artikel auf mosaik-Blog veröffentlicht, in dem das drohende Inkrafttreten von TTIP und CETA zum Anlass genommen wird, in groben Zügen ein mögliches Alternativmodell zur globalisierten neoliberalen Wirtschaftsordnung zu skizzieren. Die „bestimmenden Werte dieses Wirtschaftssystems werden mit Solidarität, Komplementarität – die gegenseitige Ergänzung verschiedener Wirtschaftskreisläufe –, Vielfalt, Frieden und dem Wohlergehen aller Menschen“ benannt. Dagegen wäre freilich nichts einzuwenden – wenn nicht die konkreten Vorschläge für die Begründung einer solchen Ordnung einen mehr als schalen Nachgeschmack hinterließen.
Die Realisierung dieser Ordnung soll nämlich folgendermaßen von statten gehen:
„Handel und Handelspolitik sind in dieser Vision kein Mittel, um Wettbewerb und Profit für einige wenige zu ermöglichen. ‘Anders wirtschaften’ bedeutet im Gegenteil, dass sich Handelskreisläufe gegenseitig ergänzen. Was heißt das konkret? Statt lokalen Handel und regionale Wirtschaftskreisläufe zu zerstören, schützt und fördert ein gerechtes Welthandelssystem diese. Globaler Handel ist komplementär. Nicht die Abschaffung von Zöllen und sogenannten ‘Handelsbarrieren’ steht im Mittelpunkt von Handelspolitiken, sondern das Schaffen von Rahmenbedingungen, die widerstandsfähige lokale Wirtschaftsweisen unterstützen.“
Anderer Handel – eine Utopie?
Diese Ideen sind teilweise utopisch, teilweise, ganz ohne jede Polemik, im eigentlichen Wortsinn reaktionär. Zunächst: Wieso „utopisch“? Weil die Tatsache ignoriert wird, dass das Streben nach Profit der einzige Grund ist, weshalb Handel stattfindet und es, wenn Handel kein Mittel mehr ist, Profit zu ermöglichen, schlicht keinen Handel mehr geben wird. Wer soll denn aus welchem Grund noch den Handel organisieren, wenn dabei nichts zu gewinnen ist? Handel und kapitalistisches Wirtschaften bedingen einander und sind ohne einander nicht möglich. Wenn attac eine andere Handelspolitik fordert, wird der kapitalistische Rahmen der Wirtschaft damit grundsätzlich anerkannt. Die Wurzel allen Übels wird nicht im kapitalistischen System selbst gesucht, sondern in dessen Beherrschung durch multinationale Großkonzerne, denen man das Gegenmodell einer immer noch kapitalistischen Wirtschaft entgegensetzt, in der jedoch lokale KleinproduzentInnen im Mittelpunkt stehen. Der überregionale Handel soll in diesem Modell auf ein Minimum begrenzt sein. Das ist, nebenbei bemerkt, ziemlich genau die Vorstellung einer gerechten Wirtschaftsordnung, wie sie bei den ersten utopischen SozialistInnen und auch im jakobinischen Zentrum in der zweiten Hälfte des 18. Jahrhunderts vorherrschte. Schon damals aber blieb diese Idee unrealisierbar, obwohl der Stand der Produktivkräfte ihr zu diesem Zeitpunkt noch viel stärker entgegen kam. Im entfalteten hochtechnisierten globalen Kapitalismus des 21. Jahrhunderts, mit seiner weit fortgeschrittenen Konzentration, ist eine solche Vorstellung vollends absurd, denn KleinproduzentInnen werden in einem weiterbestehenden kapitalistischen System qua ökonomischer Logik tendenziell von den rationaler wirtschaftenden Großkonzernen mit ihren viel umfassenderen Ressourcen gefressen. Es gibt keinen statischen Kapitalismus. Entweder das Kapital expandiert und entwickelt sich weiter, oder es kollabiert. Wer den kapitalistischen Rahmen grundsätzlich anerkennt – das ist der Fall, wenn Strickner weiter für den Markt wirtschaftende ProduzentInnen annimmt – kann nicht gut damit hadern, dass die kleinen ProduzentInnen von den großen geschluckt werden. Diese Dynamik ist der ökonomischen Logik des Kapitalismus jedoch immanent.
Die Rolle des Zolls
Das im Artikel präsentierte Konzept nimmt diese Tatsache aber nicht so ohne weiteres hin. Es empfiehlt eine Maßregel, die uns zu einem zweiten Kritikpunkt führt: Wieso „reaktionär“? Nun, was im obigen Zitat vorgeschlagen wird, kann man kaum anders interpretieren, als eine etwas umständlich formulierte Forderung nach protektionistischen Schutzzöllen. Diese sollen wohl unterschiedslos überall auf der Welt verankert werden, um die Autonomie der einzelnen Wirtschaftsräume mehr oder weniger als Selbstzweck zu erhalten, indem man durch Zollbarrieren den Weltmarkt abschafft. Was war der ursprüngliche Zweck der Einführung von Schutzzöllen in sich industrialisierenden Staaten? Dazu Karl Marx: „Das Protektionssystem war ein Kunstmittel, Fabrikanten zu fabrizieren, unabhängige Arbeiter zu expropriieren, die nationalen Produktions- und Lebensmittel zu kapitalisieren, den Übergang aus der altertümlichen in die moderne Produktionsweise gewaltsam abzukürzen“ („Das Kapital“, Band 1, 3. Auflage, S.783). Der Schutzzoll hatte in der Frühphase der Industrialisierung also insofern eine historisch relativ fortschrittliche Bedeutung, als er den Übergang von vormodernen Gesellschaftssystemen in moderne, bürgerlich-kapitalistische beschleunigte. Heute aber hat sich das kapitalistische System überall durchgesetzt und hat der Schutzzoll eine durchwegs reaktionäre Funktion angenommen: Er sichert erstens einer bereits existierenden und gefestigten KapitalistInnenklasse durch Zollbarrieren das Monopol auf einen nationalen Markt, in dem sie die Masse der KonsumentInnen beliebig auspressen kann, weil diese nicht mehr auf billigere Importe ausweichen kann. Zweitens beschert sie der Staatskasse des bürgerlichen Staates durch die Zölle satte Mehreinnahmen, die von der Masse der VerbraucherInnen gezahlt werden. Die Wirkung ist de facto die einer drastisch angehobenen Mehrwertsteuer, die die KonsumentInnen umso härter trifft, je ärmer sie sind.
Kein Idyll glücklicher KleinproduzentInnen
Damit mag man vorübergehend vom Weltmark abgetrennte nationale Märkte schaffen, aber es ist nicht erkennbar, was daran progressiv sein soll. In diesen weiterhin kapitalistischen abgeschotteten Märkten wird sich aller Romantisierung von attac zum Trotz kein Idyll glücklicher KleinproduzentInnen einstellen. Es bildet sich im Gegenteil ein diesen nationalen Markt beherrschendes Monopolkapital, das die KleinproduzentInnen genauso auffrisst wie es zuvor multinationale KapitalistInnen getan haben. Zweitens wird sich, da das Kapital notwendig immer nach Expansion strebt und der vom Weltmarkt isolierte Binnenmarkt irgendwann aufgeteilt ist, dieses wirtschaftliche Expansionsstreben wieder nach außen richten, gegen die anderen protektionistischen Blöcke. Es ist dies das klassische Rezept für imperialistische Konkurrenzkämpfe bis hin zum imperialistischen Krieg.
Vorwärts statt zurück
Das Fazit? Man kann den Kapitalismus nicht in provinziell-behäbigem Rahmen einfrieren oder ihn gar auf ein viel primitiveres früheres Entwicklungsniveau zurückführen und auf diesem Niveau stabilisieren, wie attac es sich vorzustellen scheint. Der Kapitalismus ist heute global, und durch die künstliche Abschottung in nationalen Märkten hinter Zollmauern, wird seine globale Konkurrenz nur noch aggressivere und gefährlichere Formen annehmen. Die Antwort auf diesen globalen Kapitalismus muss ebenfalls eine globale sein, im Klartext: Internationalistischer Sozialismus, der das kapitalistische System revolutionär zu überwinden und durch ein neues sozialistisches Wirtschaftssystem zu ersetzen versucht, statt Illusionen über eine Bändigung des Kapitalismus durch seine künstliche Provinzialisierung und Verlangsamung.
Fabian Lehr studiert Philosophie, ist aktiv bei der Sozialistischen LinksPartei und betreibt den blog-proleter.