ALBA: Eine Alternative zur EU?

Seit 2010 die Eurokrise mit all ihren drastischen Folgen für (viele) BürgerInnen der Europäischen Union ausbrach, stellen sich wichtige Fragen: Wie könnte eine andere Zusammenarbeit in Europa aussehen? Worin müssten ihre Grundsätze bestehen? Über welche Institutionen sollte sie verfügen und wie sollten diese arbeiten? Welche Initiativen müsste sie starten, um nicht Hindernis, sondern Motor für (ökonomische) Alternativen zu sein? Antworten auf diese Fragen können die Erfahrungen regionaler Integration in Lateinamerika geben.

ALBA-TCP (Boliviarianische Allianz  für die Völker unseres Amerikas – Handelsvertrag der Völker) steht für den Versuch, staatliche Zusammenarbeit regional nach den Prinzipien der Solidarität und der Kooperation zu organisieren. Seit Auflösung des RGW, dem Rat für gegenseitige Wirtschaftshilfe unter Führung der Sowjetunion, im Jahr 1991 gab es keine vergleichbare internationale Kooperation. ALBA-TCP ist aktuell weltweit der einzige Integrationsprozess, der für die regionale Entwicklung nicht auf Freihandel und die unbeschränkte Beweglichkeit von Kapital setzt. Die Geschichte von ALBA-TCP ist durchaus erfolgreich, aber auch von einigen Herausforderungen gekennzeichnet.

Was ist ALBA-TCP?

ALBA-TCP ist ein Zusammenschluss von derzeit elf Staaten Lateinamerikas und der Karibik: Antigua und Barbuda, Bolivien, Dominica, Ecuador, Grenada, Kuba, Nicaragua, St. Kitts und Nevis, St. Lucia, St. Vincent und die Grenadinen und Venezuela. Ins Leben gerufen wurde dieses regionale Integrationsprojekt 2004/5 von Fidel Castro und Hugo Chávez, den damaligen Präsidenten von Kuba und Venezuela. Es war als Initiative gegen die (Gesamt-)Amerikanische Freihandelszone (FTAA bzw. ALCA) gedacht, die die USA durchsetzen wollten. Statt Kapital und Gütern auf dem ganzen Kontinent freien Umlauf zu gewähren, strebten die sozialistisch orientierten Staatschefs eine andere Form der Zusammenarbeit an. Im Zentrum sollten Gleichberechtigung, wechselseitige Ergänzung und Solidarität stehen. Außerdem waren sie nicht bereit, ihre staatliche Souveränität höher gestellten, supranationalen Institutionen unterzuordnen, wie das in der EU zum Beispiel mit der Europäischen Kommission der Fall ist. Fairer Handel statt Freihandel wurde als Ziel definiert. Festgeschrieben wurde dies im „Handelsvertrag der Völker“ (TCP), der mit Boliviens Beitritt 2006 unterzeichnet wurde. Ein weiteres Ziel war es, durch den Zusammenschluss das politische Gewicht und die Stärke gegenüber den USA zu erhöhen.

Organisatorischer Aufbau

Damit weitreichende Entscheidungen nicht auf supranationaler Ebene ohne Rückbindung zu den Bevölkerungen der einzelnen Länder getroffen werden, gibt es mehrere Maßnahmen: Das höchste Gremium ist der Rat der nationalen PräsidentInnen. Seine im Konsens getroffenen Entscheidungen setzt ein koordinierendes Sekretariat um. Darüber hinaus existieren Ministerräte für Sozialprogramme, Politik und Wirtschaft sowie – auf derselben Ebene – ein eigener Rat für die sozialen Bewegungen. So können organisierte BürgerInnen direkt Einfluss auf Entscheidungen in ALBA-TCP nehmen. Außerdem hat ALBA-TCP sogenannte „großnationale Projekte“ gestartet, die die Lebensbedingungen der Menschen verbessern sollen, zum Beispiel die Alphabetisierung von allen EinwohnerInnen des ALBA-TCP-Raumes. Viele der Projekte haben ihnen zugeordnete großnationale Unternehmen, die diese Ziele umsetzen.

Die großnationalen Unternehmen

Großnationale Unternehmen stehen im Besitz von zwei oder mehr ALBA-TCP-Staaten und operieren auch meist in mehreren Ländern. Sie arbeiten in verschiedensten Bereichen. So ist beispielsweise TELESUR ein gemeinsamer Fernsehsender und stellt ein Gegengewicht zu den vielen oppositionellen Medien in Privatbesitz dar. Neben den bereits erwähnten Bildungsprogrammen sind auch gemeinsame Projekte in den Bereichen Gesundheit, Infrastruktur, Energieversorgung, Finanzen und Investitionen, Ernährungssouveränität, Umweltschutz, Kulturförderung, Industrieentwicklung, Tourismus, fairer Handel und Sport geplant und zum Teil schon gestartet. Die großnationalen Unternehmen sollen in einigen der oben genannten Felder ein Gegengewicht zu den transnationalen Unternehmen herstellen und die ALBA-TCP-Gesellschaften mit wichtigen Gütern oder Dienstleistungen bedienen. Dabei wird auf strategische Zusammenarbeit geachtet: jedes Land gibt, was es beisteuern kann. Das ist im Falle von Venezuela beispielsweise oft Kapital, im Falle Kubas Knowhow beziehungsweise Dienstleistungen und bei den kleineren Ländern Rohstoffe oder Arbeitskraft.

Die ALBA-Bank und der SUCRE

Um unabhängiger von den internationalen Finanzinstitutionen (allen voran IWF und Weltbank) zu werden, hat sich der ALBA-TCP-Raum eine eigene Entwicklungsbank geschaffen. Diese kommt ohne die  –  sonst so gefürchteten – Vergabebedingungen für Kredite (z.B. Sparauflagen) aus. Kleine und mittlere Unternehmen, Kooperativen und kommunale Versorgungsprojekte können über die Homepage der ALBA-Bank um Unterstützung ansuchen. Außerdem wurde eine eigene Verrechnungswährung für den ALBA-TCP-Raum eingeführt. Der SUCRE hilft vor allem jenen ärmeren Ländern, die aufgrund von Fremdwährungsengpässen ihre Importe nicht ausreichend finanzieren konnten. Überdies können sie Produkte anderer ALBA-TCP-Länder auch durch barter bezahlen, das heißt durch den Tausch von Gütern oder Dienstleistungen gegen andere, ohne die Zwischenschaltung von Geld. Dadurch werden die Fremdwährungsreserven der Länder nicht so schnell aufgebraucht. Kuba bezahlt beispielsweise Teile des venezolanischen Erdöls durch Ärzteentsendungen in Venezuelas Gebiete mit Ärztemangel.

Fazit

ALBA-TCP kann allein aufgrund der völlig unterschiedlichen Entstehungsgeschichte nicht als hundertprozentiges Vorbild für alternative Formen der europäischen Integration dienen. Allerdings zeigt ALBA-TCP, dass regionale Integration auch auf anderen Grundlagen als Wettbewerb und freien Güter- und Kapitalflüssen aufgebaut sein kann. Im ALBA-TCP-Raum wird Wert darauf gelegt, dass schwächere Ökonomien von den stärkeren in ihrer Entwicklung unterstützt werden und ihre Außenabhängigkeit verringern können. Die Industrialisierungsprojekte zeigen erste Erfolge und die Einbindung der Zivilgesellschaft hat für die Herausbildung einer gegen-hegemonialen Macht zur neoliberalen Globalisierung gesorgt. Dennoch hängt das ALBA-TCP-Projekt stark von Venezuela ab und sieht nach den von den venezolanischen SozialistInnen im Dezember 2015 verlorenen Parlamentswahlen ernsthaften (Finanzierungs-)Problemen entgegen. Eine Umsetzung alternativer Integrationsformen im EU-Raum wäre in mancher Hinsicht einfacher, weil viel mehr Ressourcen vorhanden sind. Man müsste nur auf sie zugreifen.

Julia Eder hat Internationale Entwicklung und Romanistik/Spanisch studiert. Sie forscht zu Freihandelsverträgen und regionalen Integrationen in ihrer Auswirkung auf die betroffenen Gesellschaften.

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