Gestern hat das ungarische Parlament im Eilverfahren den umstrittenen Zusatz zum Hochschulgesetz beschlossen. Dieser zielt auf eine Schließung der renommierten Central European University (CEU). Csaba Jelinek spricht im Interview mit mosaik-Redakteurin Melanie Pichler über die „Lex CEU“ als Teil eines größeren Schachzugs der Regierung Orbán, die aktuellen Proteste gegen die Schließung und die Abwerbungsversuche anderer europäischer Länder.
Das ungarische Parlament hat das umstrittene Hochschulgesetz – als „Lex CEU“ bekannt geworden – im Eilverfahren beschlossen. Was heißt das für die CEU?
Die Lex CEU ist ein Zusatz zum aktuellen Hochschulgesetz. Es wurde am 4. April vom ungarischen Parlament angenommen, nur knapp eine Woche nachdem der Entwurf veröffentlicht wurde. Das Gesetz macht es für die CEU unmöglich, so zu funktionieren wie bisher. Das heißt, als Institution, die sowohl in den USA als auch in Ungarn akkreditiert ist, aber nur einen Campus in Ungarn hat. Die CEU benötigt nun einen Vertrag zwischen der ungarischen und der US-amerikanischen Regierung. Letztere hat aber laut US-Verfassung gar keine Hoheit, Verträge im Bildungsbereich zu unterschreiben. Aber jenseits dieser komplizierten rechtlichen Regelungen ist das Interesse der ungarischen Regierung offensichtlich: Sie wollen zeigen, dass sie tun und lassen können was sie wollen.
Das Gesetz erzwingt de facto die Schließung der CEU. Warum ist sie solch eine Bedrohung für die Regierung von Victor Orbán?
Die CEU ist immer für eine offene Gesellschaft eingetreten. Das steht im Widerspruch zu Orbáns Vision einer „illiberalen Demokatie“. Viele ProfessorInnen und StudentInnen haben die Regierung Orbán in der Vergangenheit kritisiert. Aber die Universität ist klein, hat weniger als 2000 Studierende und der Anteil der ungarischen Studierenden beträgt nur 15 bis 20 Prozent. In meinen Augen ist das Gesetz gegen die CEU aber Teil eines größeren Schachzugs der Regierung Orbán. 2018 wird es Wahlen geben und einige Fidesz PolitikerInnen sagen voraus, dass es die bisher schmutzigste Kampagne werden wird. Vor allem weil die größte Oppositionspartei, und eigentlich der einzige Herausforderer von Fidesz, die rechtsextreme Jobbik ist. Wir können also eine größere Welle an Maßnahmen erwarten, die zeigen, dass Fidesz innenpolitisch mindestens genauso radikal ist wie Jobbik.
Das Parlament hat das Gesetz im Eilverfahren angenommen. Warum diese Eile?
Ich denke, Fidesz hat nach der Veröffentlichung des Entwurfs nicht mit soviel Widerstand gerechnet – sowohl in Ungarn als auch international. Sie haben gemerkt, dass die offizielle Kommunikation der Geschichte nicht wirklich ausgearbeitet war. Selbst Victor Orbán konnte das Gesetz im öffentlich-rechtlichen Radio nicht verteidigen, ohne Lügen zu erzählen. Sie wollten es schnell hinter sich bringen.
Die Kritik der Regierung bezieht sich stark auf George Soros, der die CEU 1991 gegründet hat. Angriffe gegen Soros spielen oft mit antisemitischen Anspielungen auf den „jüdischen Finanzier“. Welche Rolle spielt Antisemitismus in der Kampagne gegen die CEU?
Aus meiner Sicht spielt Antisemitismus keine zentrale Rolle in dieser Geschichte. Implizit vielleicht, wenn von „globalen Schattenmächten“ gesprochen wird. Aber offen wird Soros eher als gieriger liberaler Multi-Milliardär eingestuft, der gegen die „nationalen Interessen“ der Ungarn ist, indem er „alle finanziert“, die gegen die Regierung auftreten. Fidesz war bisher vorsichtig, offen rassistisch aufzutreten. Interessant ist die offen rassistische und antisemitische Partei Jobbik, die kürzlich in Richtung politische Mitte geschwenkt ist. Ein Zeichen dieses Schwenks ist, dass sie in diesem Fall sogar gegen die Annahme des neuen Gesetzes argumentiert hat.
Auch international regt sich Protest gegen die Schließung der CEU. Was passiert in Ungarn und an der CEU selbst? Gibt es eine Chance, dass die Schließung verhindert werden kann?
Am Sonntag, den 2. April, gab es einen riesigen Marsch durch das Stadtzentrum von Budapest mit geschätzten 10.000 TeilnehmerInnen. Gestern, nach der Annahme des Gesetzes, bildete sich eine „lebende Kette“ von 5.000 Menschen rund um die Universität. Danach zog ein spontaner Marsch zum Parlament, wo sie aber von der Polizei davon abgehalten wurden, in das Gebäude zu gelangen. Beide friedlichen Demonstrationen wurden von einer neu gegründeten informellen Gruppe organisiert, die sich „Freedom of Education“ nennt. Deren Mitglieder bestehen sowohl aus CEU als auch aus nicht-CEU StudentInnen und Lehrkräften. In beiden Fällen war die Zahl der TeilnehmerInnen spektakulär und viel mehr als erwartet. Das ist offensichtlich ein wichtiges Instrument, um Druck auf die Regierung auszuüben und die Sache innerhalb und außerhalb Ungarns sichtbar zu machen. Um die Schließung zu verhindern, braucht es aber viel mehr: politische Verhandlungen in den USA und in Ungarn sowie rechtliche Innovationen, um das CEU-Modell an die veränderten Rahmenbedingungen anzupassen.
Die internationale Aufmerksamkeit konzentriert sich hauptsächlich auf die Auswirkungen des Gesetzes für die angesehene CEU. Gibt es darüber hinaus Änderungen für den Hochschulbereich?
Die Lex CEU bezieht sich in erster Linie auf die CEU. Der Zusatz regelt aber alle 28 „ausländischen“ Universitäten in Ungarn, angeblich um „fake“ oder „betrügerische“ Universitäten zu schließen. Aber die weitreichenden Reformen des ungarischen Hochschulsektors sind bereits in den letzten Jahren vollzogen worden: Das Geld für die Hochschulen wurde halbiert und die Autonomie der Universitäten beschnitten. Als private Universität war die CEU damals nicht betroffen, aber die Reformen haben erheblichen Widerstand ausgelöst. Einige Widerstandsgruppen, die zu dieser Zeit gegründet wurden – z.B. das Netzwerk von AkademikerInnen (Oktatói Hálózat) – sind jetzt aktiv an den Solidaritätsaktionen mit der CEU beteiligt.
Einige europäische Länder, darunter Österreich, haben Interesse bekundet, der CEU eine neue Heimat zu geben. Ist das aus deiner Sicht eine Lösung und was würde das für Budapest als Universitätsstandort bedeuten?
Ich fände es sehr schade, wenn das die Lösung wäre. Es wäre ein ernsthafter Verlust für die wissenschaftliche Landschaft in Ungarn. Es gibt auch ernsthafte materielle Argumente gegen einen Ortswechsel: Der neue Campus ist derzeit in Bau (mit Gesamtkosten von 34 Millionen Euro) und ein neues Gebäude ist gerade fertig geworden. Die Umsiedelung der MitarbeiterInnen, Lehrkräfte und Studierenden wäre außerdem extrem kompliziert. Aber ich denke, noch ist nicht alles verloren. Die CEU wird einen Weg finden, um weiterzumachen. Auch wenn das bedeutet, das existierende rechtliche Modell zu überdenken.
Csaba Jelinek ist Doktorand am Institut für Soziologie und Sozialanthropologie an der Central European University.