Traiskirchen: Gespaltener Protest hilft nur Mikl-Leitner

Überfüllte Flüchtlingslager, Zeltstädte, HasspredigerInnen der FPÖ und eine kalkulierende Innenministerin, die Geflüchtete in Geiselhaft nimmt, um gegenüber der EU ein Faustpfand zu haben: Die – künstlich geschaffene – Asylkrise ist in aller Munde. Für eine Lösung müssen die verschiedenen Teile der Bewegung zusammenarbeiten, argumentieren Ramin Taghian und Philipp Metzger.

Es ist absurd: In einem der reichsten Länder der Welt sind die Möglichkeiten zur Versorgung notleidender Menschen reichlich vorhanden. Geld ist ja ausreichend da, etwa wenn Milliarden zur Rettung maroder Pleitebanken ausgegeben werden. Doch wenn es um die Versorgung und Unterbringung von einigen tausend Geflüchteten geht, sagt Mikl-Leitner „das Boot ist voll“ und behauptet, wir könnten uns das nicht leisten.

Nirgendwo wird diese verrückte Politik sichtbarer als in Traiskirchen. Schon seit Jahren ist die Stadt im Fokus der österreichischen Asylpolitik, ebenfalls seit Jahren wird von der dortigen Bevölkerung, von AktivistInnen der Flüchtlings-Solidaritätsbewegungen und auch von Traiskirchens Bürgermeister Andreas Babler darauf hingewiesen, dass das Erstaufnahmelager dort entlastet werden muss. Aktuell ist der Zustand untragbar – 4.300 Flüchtlinge werden im für 800 Menschen ausgelegten Lager zusammengepfercht, fast die Hälfte von ihnen ist obdachlos – aber er ist nicht ohne Alternativen. Wenn der politische Wille vorhanden wäre, könnte diese unmenschliche Situation schnell und unbürokratisch geklärt werden. In Österreich gibt es zahlreiche mögliche Unterbringungsmöglichkeiten, von leerstehenden Wohnungen bis zu aufgelassenen Kasernen. Auch aus der Bevölkerung kommen immer wieder Wohnangebote an das Innenministerium zur Unterbringung von Flüchtlingen. Doch die Innenministerin kalkuliert zur Freude der blauen Hassprediger anders.

Vielfältige Kämpfe

Proteste gegen diese untragbare und sich verschärfende Situation sind notwendig und finden auch immer wieder statt. Nicht nur von solidarischen Menschen, die sich dafür schämen, wie „ihr“ Staat mit Menschen umgeht, die Schutz vor Krieg und Verfolgung suchen. Auch die Geflüchteten selbst wehren sich gegen die unmenschlichen Bedingungen, in denen sie gehalten werden. Dadurch können Geflüchtete ihre eigenen Anliegen selbstbewusst in die Öffentlichkeit tragen, um auf die verheerenden Zustände im Erstaufnahmelager Traiskirchen hinzuweisen und die Asylpolitik in Österreich anzuprangern – wie  schon im Herbst 2012, als Flüchtlinge einen Protestmarsch nach Wien organisierten und die Votivkirche besetzten. Auch die breit organisierte Kundgebung zahlreicher zivilgesellschaftlicher Organisationen, einschließlich der Caritas, die im April auf die Flüchtlingskatastrophe im Mittelmeer mit Tausenden von Ertrunkenen hingewiesen hat, hat die große Empörung angesichts einer menscheinfeindlichen EU-Politik zum Ausdruck gebracht. Und nicht zuletzt war die vom Traiskirchner Bürgermeister Andreas Babler organisierte Demonstration vor dem Innenministerium ein wichtiger Schritt, um auf die Überlastung des Erstaufnahmelagers und der Stadt hinzuweisen.
Gleichzeitig haben die BürgerInnen Traiskirchens in den letzten Monaten der FPÖ-Hetze eine Absage erteilt und sich nicht gegen die Geflüchteten aufbringen lassen, sondern der Politik die Schuld für die belastende Situation gegeben. Statt rassistischer Pöbeleien war das Mitgefühl mit den Geflüchteten in der Stadt überwiegend: Es wurden Spendenaktionen organisiert sowie versucht durch Essensausgaben die unzureichende Verpflegung im Lager zu kompensieren.

Getrennte Kämpfe helfen Mikl-Leitner

In der letzten Woche gab es von Seiten der Geflüchteten, unterstützt von antirassistischen AktivistInnen, Demonstrationen in Traiskirchen, um noch einmal auf die unerträgliche Situation im Lager hinzuweisen und um ihren Rechten Ausdruck zu verleihen. Angesichts der unmenschlichen Zustände im Flüchtlingslager ist das nur verständlich und absolut legitim. Leider haben die verschiedenen Bewegungen, die sich gegen die menschenverachtende Asylpolitik von Bundesregierung und EU richten, an dieser Stelle nicht zusammen gefunden, obwohl doch eigentlich ein gemeinsames Interesse an der Lösung der vom Innenministerium zu verantwortenden Krise besteht. Offenbar hat es im Vorhinein zu wenig gemeinsame Gespräche gegeben, wodurch es zu vielen Missverständnissen gekommen ist und aneinander vorbei agiert wurde. Der Konflikt um die Demonstrationen in Traiskirchen hat Gräben unnötig vertieft. Diese Verstimmungen müssen bearbeitet werden: Man darf und muss nicht bei der aktuellen Konfrontationsstellung stehen bleiben. Denn die Spaltung der Bewegungen ist der größte Trumpf der Innenministerin und Wasser auf den Mühlen der blauen Hassprediger, die versuchen aus jeder Krisensituation politisches Kleingeld zu machen.

Was hindert uns?

Tatsächlich gäbe es aktuell eine zuvor kaum existierende Chance. Im ganzen Land organisieren sich BürgerInnen in Initiativen zur unmittelbaren Unterstützung von Geflüchteten. Selten gab es in der jüngeren Vergangenheit so viel gelebte Solidarität mit notleidenden Menschen. In Traiskirchen, dem zentralen Knotenpunkt der heimischen Asyldebatte, kann in diesem Sinne repräsentativ eine neue Qualität des solidarischen Protests geschaffen werden. Wenn Geflüchtete, antirassistische AktivistInnen und TraiskirchnerInnen gemeinsam agieren, kann das eine neue Ebene der Auseinandersetzung um eine gerechte und solidarische Asylpolitik in Österreich herstellen. Bisher haben diese Akteure ihren Unmut tendenziell separat voneinander geäußert, doch die Interessen sind eigentlich näher als man denkt. Geflüchtete wünschen sich eine menschenwürdige Unterbringung und Versorgung, die in Massenlagern wie in Traiskirchen einfach nicht gewährleistet werden kann. Antirassistische AktivistInnen verweisen auf die rassistischen Strukturen in der Innenpolitik sowie auf EU-Ebene, in der Geflüchtete nur als Gefahr wahrgenommen werden. Demgegenüber argumentieren sie für eine grenzenlose Solidarität, in der die Interessen von Geflüchteten ins  Zentrum gerückt werden. Ebenso haben die Traiskirchner BürgerInnen den berechtigten Wunsch, den Protest gegen die Situation in ihrer Stadt zum Innenministerium zu tragen um für eine Entlastung der Stadt sowie für ein würdevolles Leben der Geflüchteten zu kämpfen.

Eine gemeinsame Demonstration aller Betroffenen sowie der breiteren Gesellschaft für eine andere Asylpolitik und einer besseren Aufteilung der Geflüchteten vor dem Innenministerium in Wien wäre ein starkes Zeichen und würde auch die Hauptverantwortlichen direkt benennen. Doch auch Demonstrationen in Traiskirchen sind wichtige Signale. Einerseits da es für die Geflüchteten tatsächlich kaum möglich ist, nach Wien zu reisen, andererseits weil dadurch auch der direkte Kontakt und damit der Zusammenhalt zwischen TraiskirchnerInnen und Geflüchteten ermöglicht werden kann. Auch dies könnte zu einem österreichischen Vorzeigebeispiel des Umgangs miteinander werden, in dem gemeinsame Interessen erkannt und die richtigen GegnerInnen benannt werden – in diesem Fall vor allem eine unwillige Innenministerin und Landeshauptleute, die mehr auf billige Wahlstimmen als auf ein besseres Zusammenleben aller Menschen in Österreich Wert legen.
Den gemeinsamen Protest auf die Straße zu bringen könnte eine immense Kraft entwickeln. Was wäre nicht alles möglich: eine starke erfolgreiche Bewegung die das Gemeinsame vor das Trennende stellt. Was soll uns nur daran hindern?

Philipp Metzger ist Politikwissenschaftler, aktiv bei Blockupy und Redakteur von mosaik.

Ramin Taghian ist Historiker, arbeitet als Flüchtlingsbetreuer bei der Caritas und ist Redakteur von mosaik.

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