Eine andere Wirtschaftspolitik – für Spanien und Europa

Am 20. Dezember finden in Spanien Parlamentswahlen statt. Eines der Hauptthemen ist die Wirtschaft, insbesondere die Frage, wie sich die nach wie vor über 20 Prozent liegende Arbeitslosenrate reduzieren lässt, gut bezahlte hochwertige Arbeitsplätze geschaffen werden können und wie der Sozialstaat nach Jahren der Austeritätspolitik wieder gestärkt werden kann. Auch wenn die letzten Umfragen für ein linkes Projekt nicht sehr vielversprechend sind, so kann mit dem Einzug von PODEMOS ins Parlament eine alternative Wirtschaftspolitik forciert werden.

Ein neues Entwicklungsmodell für Spanien ist unerlässlich. Im Mittelpunkt sollten die Schaffung qualitativer Arbeitsplätze, Produktivitätssteigerungen und die Sozialstaatsentwicklung sein. Das ist – wie bereits vor dem Platzen der Immobilienblase – keine ökonomisch-technische Frage, sondern vor allem eine politische. Zentral ist dabei die Demokratisierung der Wirtschaft, die wieder eine verstärkte Reinvestition der Gewinne erlauben würde.

Ein solches Projekt muss eine gesamtheitliche Antwort auf die leidvolle soziale Realität – insbesondere in Form von Arbeitslosigkeit, Ungleichheit und wachsender Armut – darstellen. Das Wahlergebnis wird entscheidend dafür sein, ob sich ein alternatives Entwicklungsmodell durchsetzen kann, das auf den folgenden sechs Eckpfeilern beruht.

6 Eckpfeiler eines neuen Produktivmodells

  1. Ein progressives Steuersystem, dessen Gesamtaufkommen zumindest den europäischen Durchschnitt erreicht. Mit einer Abgabenquote von nur 38,6 Prozent des Bruttoinlandsproduktes blieb Spanien 2014 weit hinter der Eurozone mit einer Quote 46,8 Prozent zurück, von den Ländern mit einem besser entwickelten Sozialstaat wie Österreich (50 Prozent) ganz zu schweigen. Dafür sind die Mittel der Finanzbehörden für den Kampf gegen Steuerhinterziehung ebenso zu erhöhen wie die effektiven Steuersätze auf Vermögen und hohe Einkommen von Personen ebenso wie von Unternehmen. Die Alternative, die die rechten Parteien im Wahlkampf vorschlagen, würde zu einer weiteren Runde an Sparpaketen und Privatisierungen öffentlicher Dienstleistungen führen, vor allem im Bildungs- und Gesundheitsbereich.
  2. Errichtung einer öffentlichen Bank, die ausreichend groß sein muss, um spürbar positive Effekte in der Gesamtwirtschaft auszulösen. Ihre Kreditvergabe muss sich vom privaten Sektor unterscheiden, indem verstärkt öffentliche Infrastruktur bzw. Einrichtungen und industriepolitisch relevante langfristige Unternehmensprojekte finanziert werden. Zudem müssen die Zugangsprobleme zu Wohnungs- und KMU-Krediten adressiert werden. Was die durch Rettungsaktionen bereits verstaatlichen Banken angeht – allen voran die mit europäischen Mitteln gestützte Bankia –, gilt es zu verhindern, dass diese neuerlich komplett privatisiert werden.
  3. Modernisierung der Arbeitsbeziehungen durch Rücknahme der Arbeitsmarktreformen bei gleichzeitiger Stärkung der ArbeitnehmerInnenrechte, Ausweitung der betrieblichen Mitbestimmung und verbesserte Zusammenführung von Produktivitäts- und Lohnentwicklung. Das Arbeitsrecht muss wieder den sozialen Dialog und die Kollektivvertragsverhandlungen unterstützen anstatt sie zu unterminieren, wie das in den letzten Jahren der Fall war.
  4. Neue Infrastruktur und Technologien sind durch eine ambitionierte Förderung von Forschung, Entwicklung und Innovation voranzutreiben. Der Umstieg auf das Transportmittel mit der höchsten Energieeffizienz – also die Bahn – ist ebenso zu fördern wie der Gütertransport per Frachtschiff sowie die Nahverkehrsmittel in den städtischen Zentren. Zudem ist eine moderne Produktionsinfrastruktur zu unterstützen, beispielsweise durch Glasfaserkabelnetze und Wasserentsalzungsanlagen.
    In Bezug auf die Energiepolitik müssen erneuerbare Energien unterstützt werden, sodass die Handelsbilanz verbessert und damit die Auslandsverschuldung reduziert werden kann. Es war nicht die Lohnentwicklung, die das außenwirtschaftliche Ungleichgewicht der spanischen Wirtschaft verursachte, sondern die hohe Energieabhängigkeit. Im Jahr 2013 betrugen die Öl- und Treibstoffimporte 5,5 Prozent des Bruttoinlandsproduktes.
  5. Eine Wohnpolitik, die verstärkt auf Vermietung abzielt. Dafür ist es notwendig, die SAREB (die spanische „bad bank“ für Immobilien) in eine öffentliche Wohnbaugesellschaft umzuwandeln, die einen Großteil ihres Immobilienbesitzes unter sozialen Gesichtspunkten vermietet. Um Personen zu unterstützen, die in Schwierigkeiten bei der Bedienung ihrer Hypothekarschulden kommen, ist eine öffentliche Einheit ähnlich der unter Roosevelt 1933 geschaffenen „Home Owners Loan Corporation“ zu gründen, die die Position der SchuldnerInnen stärken soll.
  6. Ein Notfallplan gegen Armut und soziale Ausgrenzung, bis die Arbeitslosigkeit sowie die Einkommen das Vorkrisenniveau wieder erreicht haben. Ein solcher Plan sollte vor allem ein gesetzlich garantiertes Mindesteinkommen, die Beseitigung der Kinderarmut und einen Abbau der Langzeitarbeitslosigkeit umfassen (bereits 3,5 Millionen Menschen sind mindestens ein Jahr arbeitslos).

Änderungen auf europäischer Ebene notwendig

Ob sich das Produktivmodell Spaniens ändern lässt, hängt wesentlich von der europäischen Ebene ab. Die notwendige Rückgewinnung demokratischer Spielräume wird nicht durch Rückschritte im europäischen Integrationsprozess möglich werden, sondern durch dessen Vertiefung. Um das Vertrauen der Menschen in die EU zurückzugewinnen, braucht es gerade eine Abkehr vom aktuellen wirtschaftspolitischen Kurs. Insbesondere braucht es auch auf dieser Ebene Maßnahmen zur Schaffung von Beschäftigung, beispielsweise durch den EGB-Plan für Investitionen und die Stärkung der Sozialstaates.

Die Krise hat auch gezeigt, dass der EU die notwendigen Institutionen und Werkzeuge fehlen, um die Krise zu bekämpfen. Diese strukturellen Probleme gilt es zu korrigieren, etwa durch eine koordinierte Lohnpolitik zur Stärkung der Einkommen, ein nennenswertes EU-Budget, eine europäische Steuerbehörde zur Vermeidung von Steuerdumping zwischen den Mitgliedsstaaten und einen Sozialpakt. Auch wenn die neuen Maßnahmen der Europäischen Zentralbank den Eurostaaten helfen, so bleiben sie unzureichend, um auf absehbare Zeit wieder das Beschäftigungs- und Wohlstandsniveau vor der Krise zu erreichen.

Es braucht einen Plan zur Restrukturierung und/oder Neuverhandlung der öffentlichen Schulden auf europäischer Ebene. Neben einer Verringerung der aktuell zu leistenden Zinszahlungen muss ein solcher Mechanismus auch eine Verteuerung bei der zukünftigen Schuldenaufnahme verhindern, die die wirtschaftliche Erholung erst recht gefährden würde. Eine Vergemeinschaftung der öffentlichen Schulden auf europäischer Ebene mittels Eurobonds oder durch die EZB im Ausmaß von bis zu 60 Prozent des BIP sowie die Koppelung der Zahlungen an die Wirtschaftsleistung könnte eine solche Teuerung verhindern. Auch sollte eine goldene Investitionsregel eingeführt werden. Das bedeutet, dass der auf öffentliche Investitionen zur Förderung der wirtschaftlichen Erholung zurückzuführende Teil der Neuverschuldung beim EU-Defizitverfahren herausgerechnet wird.

Angesichts der weit überdurchschnittlichen Arbeitslosigkeit und des unterentwickelten Wohlfahrtsstaats kommt Spanien für einen wirtschaftspolitischen Richtungswechsel eine besonders relevante Rolle in Europa zu.

Dieser Text wurde übersetzt und überarbeitet von Georg Feigl und ist angelehnt an das Schlusskapitel des gemeinsam mit Santiago Díaz de Sarralde herausgegebenen Buches „Una propuesta progresista para salir de la crisis“ („Ein progressiver Vorschlag aus der Krise“, PDF auf Spanisch).

Bruno Estrada, Ökonom in Madrid, arbeitet als wirtschaftspolitischer Berater des Vorsitzenden des größten spanischen Gewerkschaftsverbandes (Comisiones Obreras) und engagiert sich u.a. bei EconoNuestra, eine Art Schwesterorganisation des BEIGEWUM in Spanien, die große Schnittmengen mit Podemos aufweist.

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