„Wie Diebe in der Nacht“ – Was bleibt von Rumäniens Massenprotesten?

Hunderttausende Menschen protestierten in den vergangenen Wochen in Rumäniens Städten gegen Korruption und Vetternwirtschaft. Die Demonstrationen wurden entweder als progressive Bewegung oder als reaktionärer Protest dargestellt. Doch beide Erklärungsmuster greifen zu kurz.

Auslöser der Proteste war der Versuch der amtierenden Regierungskoalition, die Antikorruptionsgesetze zu lockern und das Strafrecht durch eine Eilverordnung zu ändern – ein dreister Versuch, einzelne Regierungsmitglieder und hohe Parteifunktionäre vor Strafverfolgung zu schützen. An vorderster Stelle: der Vorsitzende der Sozialdemokratischen Partei (PDS) Liviu Dragnea, der des Amtsmissbrauchs mit einem Schaden von 25.000 Euro beschuldigt wird. Um möglichst geringe öffentliche Aufmerksamkeit zu erregen, erließ die Regierung die Eilverordnung spät abends. „Wie Diebe in der Nacht“ (Noaptea, ca hotii) wurde daraufhin zur wichtigsten Parole der Protestbewegung.

Die Partei der alten Eliten

Die erst im Dezember gewählte Regierungskoalition wird von der PSD geführt. Anders als ihr Name nahelegt, ist die PSD aber keine klassische sozialdemokratische Partei. Sie vertritt in erster Linie konservative, nationalistische Positionen, ist besonders stark im ländlichen Raum und bildete nach 1989 wie keine andere Partei in Rumänien ein Sammelbecken für die alte Nomenklatura. Obwohl sich die PSD die Vertretung der Arbeiter*innen auf die Fahnen schreibt, forcierte sie im Zuge des Systemwechsels die Privatisierung staatlicher Unternehmen und die Durchsetzung einer neoliberalen kapitalistischen Marktwirtschaft. Von den eigenen Korruptionsskandalen versucht die PSD durch „Wahlgeschenke“ wie die kürzlich beschlossenen Lohn- und Pensionserhöhungen abzulenken.

Insgesamt bedeutete die Durchsetzung des Neoliberalismus für den Großteil der Bevölkerung mehr Armut. Gerade junge Menschen wanderten ins europäische Ausland aus. Zugleich entstand mit den zunehmenden Investitionen multinationaler Konzerne eine zumeist urbane, am Westen orientierte Mittelklasse. Diese tendiert dazu, sich von der PSD und ihrer Wähler*innenbasis abzugrenzen, die ihr als ungebildet, arm und rückständig gilt und zu den Transformationsverlierern gehört. Auch wenn es kaum verlässliche Informationen zu ihrer Zusammensetzung gibt, ist gerade diese neue Mittelklasse die treibende Kraft hinter der Protestbewegung.

Konflikte innerhalb der politischen Klasse

Es stehen sich jedoch nicht nur Regierung und Protestbewegung gegenüber. Der Konflikt verläuft auch innerhalb der politischen Klasse: zwischen der PSD-geführten Regierung einerseits und dem nationalliberalen Präsidenten Klaus Johannis (PNL) sowie nicht gewählten Behörden wie der Antikorruptionsbehörde (DNA) und dem Geheimdienst (SRI) andererseits. Präsident Johannis ist wichtigster Unterstützer der Proteste, Angehöriger der deutschen Minderheit und ehemaliger Gymnasiallehrer und Oberbürgermeister von Sibiu. Er wird in weiten Teilen der urbanen Mittelklasse als Verteidiger von europäischen Werte und Rechtsstaatlichkeit gesehen. In dieser Situation kämpft die PSD darum, ihre weit verzweigten, in der Phase des Systemwechsels aufgebauten Klientel- und Korruptionsnetzwerke zu verteidigen.

Progressive Perspektiven?

Die Eilverordnung war der Auslöser, der die Menschen in Rumänien wie kein anderes Ereignis seit 1989 auf die Straße brachte. Die Beweggründe für die Proteste liegen allerdings tiefer: weit verbreitete Armut, Perspektivlosigkeit und Unzufriedenheit mit einem korrupten Staatsapparat, der von neoliberalen Politikern aller Couleur getragen wird. Mit Blick auf den Auslöser waren die Proteste erfolgreich: die Aufweichung der Antikorruptionsgesetze wurde zurückgenommen. Doch damit hat die Protestbewegung ihre zentrale verbindende Forderung und somit insgesamt an Dynamik verloren. Auch wenn nun Teile den Rücktritt der Regierung fordern, fehlen darüber hinausweisende, geschweige denn progressive Perspektiven.

Alina Brad ist Politikwissenschaftlerin, forscht zu internationaler Umwelt- und Ressourcenpolitik und kennt die Region aus mehrjährigen Aufenthalten.

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