Zielpunkt: „Ein Schlag ins Gesicht”

Montag dieser Woche hat die Supermarkt-Kette Zielpunkt offiziell Insolvenz angemeldet, erst am 25. November wurden Öffentlichkeit, Betriebsrat und MitarbeiterInnen darüber informiert. Viel wird jetzt über die Betroffenen diskutiert, Mosaik lässt sie selbst zu Wort kommen.

Mehr als 2.700 FilialmitarbeiterInnen, etwa 80 Prozent von ihnen sind Frauen,  sowie 300 MitarbeiterInnen des Logistikzentrums stehen kurz vor Weihnachten vor der Arbeitslosigkeit. Und das für die MitarbeiterInnen völlig unerwartet.

Der Zeitpunkt der „Zielpunkt”-Insolvenz wirkt berechnend, die Gewerkschaft der Privatangestellten (GPA djp) ortet einen „Masterplan in der Hinterhand”. Denn so müssen nicht nur die Novembergehälter, sondern auch die Weihnachtsgelder nicht mehr ausgezahlt werden. Das ist rechtlich gedeckt, auch wenn es unmoralisch scheint. Denn das Insolvenzrecht sieht vor, dass keine GläubigerInnengruppe – also auch nicht die Angestellten, die ihren Lohn brauchen – bevorzugt zu behandeln sind. Zwar können die Beschäftigten darauf hoffen, ihre Gehälter später aus dem Insolvenz-Entgelt-Fonds ausbezahlt zu bekommen, aber das wird noch dauern. Mag sein, dass der Ausfall eines Monatsgehaltes für Eigentümer Pfeiffer und Co kein Problem ist, für viele der 2700 MitarbeiterInnen ist es auf Grund der schlechten Bezahlung im Handel aber eine große finanzielle Herausforderung.

Besonders skandalös ist der Immobilien-Deal, den Pfeiffer noch im November abgeschlossen hatte. Er kaufte das Unternehmen „Trei”, dem etwa 70 der 254 Filialen Zielpunkt-Immobilien gehörten. Pfeiffer sichert sich so die gutlaufenden Standorte, denn immerhin gehört dem „Familienunternehmen” auch die Supermarktkette Unimarkt mit 127 Standorten und ist zudem noch mit der Kette Nah & Frisch sowie verschiedenen Gastronomiebetrieben eng verstrickt.

Hinter dem Namen „Pfeiffer Handelsgruppe” verbirgt sich einer der reichsten Clans Österreichs. Gegründet 1862 als „Kolonialwarenhandel” in Urfahr, wird die Pfeiffer Handelsgruppe heute durch die Manager Erich Schönleitner und Markus Böhm gesteuert und beschäftigt inklusive Zielpunkt etwa 6.700 MitarbeiterInnen und setzte im vergangenen Jahr 1,3 Milliarden Euro um. Georg Pfeiffer und seine Familie zählen mittlerweile zu den reichsten ÖsterreicherInnen. Das Vermögen der Pfeiffer Familie wird derzeit auf 770 Millionen Euro geschätzt. Sie sind damit auf Platz 43 der 100 reichsten ÖsterreicherInnen (Stand Juni 2015). Medial kolportiert wurde, dass zur Rettung von Zielpunkt 60 Millionen Euro bis 2018 investiert hätten werden müssten. Bei dem Privatvermögen von 770 Millionen Euro fragen sich MitarbeiterInnen,  GewerkschafterInnen und die Öffentlichkeit zu Recht, was hinter der Zielpunktpleite steckt.

Die beiden mosaik-Redakteurinnen Ines Mahmoud und Hanna Lichtenberger haben mit drei Mitarbeiterinnen über ihren Ärger, die Wut und Enttäuschung gesprochen und darüber, wie es nun für sie weitergehen kann.

mosaik: Wie habt ihr von der Pleite erfahren?

Sonja: Kann ich Dir sagen, wie ich das erfahren hab. Durch’s Internet. Niemand hat uns etwas gesagt. Wir haben das erst durch die Nachrichten erfahren. Es war wie ein Schlag ins Gesicht. Weißt Du, ich stell mich manchmal 11 Stunden hier rein. Eigentlich für nix und dann muss man dem Geld nachrennen.

Ingrid: Ich habe es auch aus den Nachrichten erfahren. Ich verstehe nicht, warum wir so kurzfristig davon erfahren haben. Es muss sich doch abgezeichnet haben, dass die Pleite bevorsteht. Wieso hat man uns nicht die Chance gegeben uns ein paar Wochen oder Monate auf diese Situation vorzubereiten?

Azra: Eigentlich aus der Zeitung, es war glaub ich 16 Uhr. Es kam überraschend für uns. Wir waren hier (in der Filiale). Dann hat es angefangen – ein Kollege hat uns eine SMS geschickt und zwar hat er das vom ORF 1 Teletext fotografiert glaube ich, und so haben wir das erfahren. Nicht früher.

mosaik: Was bedeutet das für dich?

Sonja: Es ist ein richtiger Schlag ins Gesicht. Was heißt ins Gesicht – in den Magen eigentlich. Also ein Schlag da rein und ein Messer hinten in den Buckel. Alles zusammen. Ich hab eh was gepostet auf Facebook. Das hat 25 ‘gefällt mir’ (Bild mit mehreren Vögeln, die auf unterschiedlich hohen Stangen sitzen mit der Aufschrift „desto weiter du unten sitzt desto mehr wirst du von oben beschissen“, Anm.). Da hab ich geschrieben: „So viel Kommentar darf ich mir glaub ich leisten“. Aber ja, was soll’s. Wenn sie es jetzt übernehmen, dann geht das genauso nahtlos weiter. Hat das nicht auch mit Betrug oder so zu tun?

Ingrid: Ich bin 56 Jahre alt, wer wird mich denn übernehmen? Aber auch für die jüngeren Kolleginnen mit kleinen Kindern ist es hart. Denn bei dem, was wir verdienen ist es praktisch unmöglich, einen Monat auf das Geld verzichten zu müssen. Dass auch noch das Weihnachtsgeld nicht rechtzeitig ausbezahlt wird, ist eine Frechheit. Da werden die Feiertage ein bisschen dünner ausfallen. Auch wenn wir gesagt bekommen haben, dass das Geld trotzdem irgendwann kommt, weiß keine von uns, wann wir wieder einen Job finden. Da müssen wir uns das gut einteilen

Azra: Ich muss mir jetzt viele Fragen stellen und mich sehr schnell umschauen, weil ich auch eine Studentin bin. Ich muss rasch etwas finden, falls ich nicht weiter verkaufen kann. Also es steht alles offen.

mosaik: Wer ist verantwortlich dafür, dass das Unternehmen jetzt pleite ist?

Sonja: Die da oben, die haben uns nichts gesagt. Ich finde das schon eine Frechheit. Auch, dass der Pfeiffer am Vortag noch dieses Immobiliengeschäft abgewickelt hat. Wissen Sie, wenn er uns wenigstens im Sommer vorher das gesagt hätte: „Leute, es geht bergab. Sucht’s euch schon mal was”. Aber so weiß keiner, wird das jetzt übernommen oder wird das jetzt nicht übernommen, wird jetzt zugesperrt oder nicht? Und wenn, werden wir dann auch mit übernommen oder können wir sowieso ab 25. Dezember daheim bleiben? Also, ein bisschen schwierig.

Azra: Ja, ich weiß nicht. Jetzt ist es eh zu spät zu recherchieren, wer Schuld ist oder nicht. Hätten wir früher daran gedacht oder oben irgendjemand drüber nachgedacht, dass man etwas unternimmt. Aber jetzt ist es zu spät jemanden zu beschuldigen.

mosaik: Die Eigentümerfamilie hat ja immer noch 770 Millionen Euro. Was hältst du davon, bzw. willst du ihnen etwas ausrichten?

Sonja: Also was ich ihm ausrichten würde, dem Herrn Pfeiffer: Ich wünsch ihm, dass er sich so einen Karpfen kauft, er ihm im Hals irgendwie stecken bleibt und er vor lauter Husten dann halb erstickt, sodass er sich noch am Christbaum am Lametta festhält, ausrutscht und auf die Gosch’n fällt. Das wär mein schönstes Weihnachtsgeschenk, ehrlich gesagt. Ob ich da noch ein Weihnachtsgeld bräuchte… Wegen der Schlagzeile würde ich auch wieder Zeitungen kaufen. Das kann man eigentlich so dem Pfeiffer ausrichten, ja.

Azra: Hm, ja, also ich gönne es ihnen. Wenn sie mir meinen Lohn auszahlen bin ich eigentlich zufrieden. Ob die EigentümerInnen etwas dafür können, ist eine andere Frage… Also ich hoffe, dass sich alles zu den Gunsten der MitarbeiterInnen aufklärt.

Ingrid: Wir haben uns immer gut um unsere Filiale gekümmert, geschaut, dass es immer schön und sauber ist für die KundInnen. Ich denke, dass unser Standort wohl eher nicht übernommen wird, weil sowohl eine Hofer-Filiale, als auch eine Billa-Filiale in unmittelbarer Nähe ist. Aber wir haben uns diesen Standort nicht ausgesucht. Ich will, dass die Familie Pfeiffer weiß, dass es für uns demütigend ist, dass wir jetzt auch noch den Ausverkauf organisieren müssen und zuschauen können, wie uns die Filiale ausgeräumt wird. Heute, Montag sind noch normale Waren gekommen, die Sonderangebote, die Spiele und Haushaltswaren kommen nicht mehr nach. Heute Vormittag gab es schon einen kleinen Ansturm, weil die ja um 50 Prozent runtergesetzt sind. Das sind die Körbe und Regale leer. Das schmerzt. Denn die zeigen, dass es für unsere Filiale keine Zukunft gibt.

mosaik: Welche Unterstützung braucht ihr?

Sonja: Ich hab eine Familie. Und Stromabrechnung war ja auch 500 Euro. Das ist auch die Hälfte von dem, was ich verdient habe. Also ich hab einen 1000er verdient, dafür dass ich hier einen Doppel-Job gemacht habe. Ich war ja Quereinsteigerin. Ich war davor ein paar Jahre bei der Post und dann hab ich da angefangen und ich hab gedacht ja, ich mach da den Postschalter und ich helf ihnen so ein bisschen bei den Regalen. Im Endeffekt hab ich dann einen Doppel-Job gemacht, also beides. Also ich war irgendwo hinten bei der Milch, da hat es geläutet damit ich wieder zur Post komm. Da bin ich den ganzen Tag nur spazieren gegangen. Dann hat es wieder geläutet und geheißen „na, wo ist sie denn überhaupt, die Blunzn von der Post?“ Das für 1000 Euro, ja… Das ist schon traurig. Also ich war eh nur ein Jahr da, aber da gibt es welche, die jahrelang 11 Stunden durchgehend da gearbeitet haben und nicht einmal g’scheit ausgezahlt bekommen. Und jetzt kriegen wir einen Arschtritt vor Weihnachten. Das ist schon eine Frechheit. Am 24., an Weihnachten ist scheinbar der letzte Tag hier. Wir müssen alle irgendwann einmal sterben. Und wenn’s einmal so weit ist – der Tod fragt dich nicht, wie viel du hast, was für einen Kontostand du hast, welche Titel du hast, wie viele Limousinen. Das fragt er dich alles nicht. Du bist tot, fertig. Da ist es egal ob du 770 Millionen am Konto hast oder ob du Pfeiffer oder sonst irgendwie heißt. Das ist dann egal. Wir kommen alle ins selbe Loch. Und deshalb: Die sollen mal am Teppich bleiben, alle. Wirklich.

Azra: Naja, ich weiß nicht. Also ich erwarte nur, dass die Eigentümer ein bisschen Verständnis zeigen. Nichts mehr. Ich hoffe, dass jeder einfach seinen Platz unter dieser Sonne hat. Also das heißt mit Zielpunkt oder ohne.

Ingrid: Ich hoffe, dass das fehlende Geld bald kommt und dass wir schnell wissen, wer übernommen wird. Wir haben jetzt bald Betriebsversammlung, ich hoffe, da wird man uns mehr sagen können. Ich hab am Sonntag diese Sendung im 2. angeschaut, der Gewerkschafter hat seine Sache nicht schlecht gemacht, aber ich weiß nicht, was die noch ausrichten können.

Die Arbeiterkammer Wien hat für Zielpunkt-MitarbeiterInnen eine eigene Mailadresse und eine Telefonhotline eingerichtet:
zielpunkt@akwien.at
Kontakt zur GPA-djp: Hotline 050301 – 21 000
Außerdem können sich MitarbeiterInnen an das  AK/ÖGB Insolvenzbüro wenden:
01/50165 Dw 360 (Mo – Do: 8:00 – 14:00)

Ines Mahmoud studiert Recht in London, ist Redakteurin bei mosaik und interessiert sich für die Bereiche Flucht, Migration und dekoloniale Bewegungen.

Hanna Lichtenberger ist mosaik-Redakteurin und aktiv in der Offensive gegen Rechts Burgenland.

*Sonja, Azra und Ingrid sind Zielpunkt-MitarbeiterInnen aus dem Raum Wien, Niederösterreich, Burgenland. In jedem Gespräch haben wir den MitarbeiterInnen absolute Anonymität zugesichert, denn es gibt die Angst, dass jene MitarbeiterInnen oder Filialen, die sich besonders gegen Ungerechtigkeiten wehren, nicht von anderen Supermarktketten übernommen werden.

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