Wohnen III: Direkte Aktion statt Warten auf Häupl 

Max Kasy fordert in seinem aktuellen mosaik-Beitrag eine Stadtpolitik, deren Ziel Verteilungsgerechtigkeit ist. Klar ist: Auch oder gerade in Wien wird diese nicht vom Himmel fallen, meint die Interventionstische Linke Wien.

Max Kasy argumentiert, dass stadtpolitischen AktivistInnen oftmals eine größere strategische Perspektive fehle. Um eine solche zu entwickeln, gilt es unserer Meinung nach allerdings, zentrale Dynamiken aktueller Stadtentwicklung mitzudenken, die in Kasys Beitrag ausgeblendet werden. Das betrifft insbesondere zwei von ihm angesprochene Punkte:

(i) Zum einen ist das Verständnis von Gentrifizierung in Kasys Text teils irreführend. Gentrifizierung beschränkt sich nicht auf den Zuzug von StudentInnen und KünstlerInnen in migrantisch geprägte Viertel mit günstigen Mietpreisen und den anschließenden Mietpreisanstieg. Die Entstehung städtischer Hotspots geschieht nicht zufällig, sondern wird vielmehr von Stadtregierungen aktiv forciert. So sollen Städte zu Unternehmensmarken aufgebaut und zahlungskräftiges Klientel angeworben werden. Die peinliche „Wien ahoi! Hamburg kommt“-Werbeaktion im letzten Jahr ist nur ein Beispiel dafür, wie auch Wien zunehmend versucht, auf dem Markt der hippen Weltstädte für BesserverdienerInnen mitzuspielen. Wer einmal in seinem Leben in Hamburg war, wird über die verzweifelte Suche nach vermarktbaren Ähnlichkeiten zwischen den beiden Städten (sie liegen am Wasser – ernsthaft?) geradezu lachen müssen. Auch, dass Immobilienfirmen gezielt in die Ansiedlung von Kunst- und Kulturprojekten investieren, um den Wert ihrer Immobilien zu steigern, ist schon lange kein Geheimnis mehr. Die aktuellen Entwicklungen im Stuwerviertel sind ein anschauliches Beispiel für diese Form der bewusst forcierten Aufwertung: Hier steht Verdrängung klar im Zusammenhang mit der aggressiven Vermarktungspolitik rund um die neue Wirtschaftsuniversität – und nicht etwa zufälligem Zuzug.

(ii) Zum anderen halten wir es für besonders problematisch, dass Kasy den Eindruck entstehen lässt, die gut ausgebildeten GentrifiziererInnen könnten im besten Fall für so etwas wie “soziale Integration” der ursprünglichen BewohnerInnen sorgen. Zunächst einmal ist dabei das zugrundeliegende Verständnis von Integration fragwürdig. Vor allem aber wird ein zentraler Aspekt von Gentrifizierung verkannt: Die Vorstellung, dass allein durch den Zuzug Besserverdienender plötzlich alle im Viertel von neuer Infrastruktur, besseren Bildungseinrichtungen etc. profitieren könnten, entspricht selten der Realität. Gesellschaftliche Exklusionsmechanismen werden nicht aufgehoben, ganz im Gegenteil: Die Aufwertung von Vierteln geht häufig mit einer sozialen Desintegration alteingesessener BewohnerInnen und zunehmender Segregation einher. Wir müssen uns mit dem Gedanken anfreunden, dass es soziale Bedürfnisse und Gemeinschaftszusammenhänge gibt, die anders aussehen, als wir uns das vorstellen und die uns nicht zugänglich sind. Fairtrade Café Latte und Bio-Beisl, so gern wir selbst vielleicht hingehen, stehen nicht bei allen ganz oben auf der Prioritätenliste. Günstige Nahversorgung oder das leistbare Wirtshaus ums Eck schon eher.

Wien wächst

Auch Kasys Erklärung für steigende Mieten verfehlt den entscheidenden Punkt. Wien gehört mit einem Zuzug von 25.000 Personen pro Jahr zu den am schnellsten wachsenden Metropolen Europas. Die Stadt Wien geht davon aus, dass bis 2043 mehr als 2.110.000 Menschen in Wien wohnen werden. Steigende Preise haben schon lange nicht mehr nur mit dem Geldbörsl der wohnungssuchenden ZuzüglerInnen zu tun, sondern auch damit, dass es schlicht zu wenig leistbaren Wohnraum gibt. Diese Entwicklung erlaubt EigentümerInnen, die Mietpreise hinaufzusetzen: Im Zeitraum von 2000 bis 2010 sind die Mieten wienweit um 37 Prozent gestiegen und im privaten Sektor sogar um 67 Prozent. Gleichzeitig stehen zahlreiche Wohnungen in Wien leer, weil die Immobilien ein Preissegment bedienen, das sich die wenigsten leisten können. Andere leerstehende Objekte dienen als reine Kapitalanlage. Besonders zynisch brachte es das Plakat der Immobilienfirma JP auf den Punkt. Sie warb mit dem Werbespruch: „You don’t have to live in these apartments to love Vienna. Owning them will do.“

Auch ist uns nicht bekannt, dass derzeit irgendwo in Wien die Mieten sinken würden. Und selbst wenn dem so wäre: Zuzug und Verdrängung sind kein Nullsummenspiel. Welchen Nutzen hat eine Familie aus der Leopoldstadt, wenn die Mieten in Aspern sinken? Oder gar in irgendeiner fernen Kleinstadt, aus der die Neu-WienerInnen weggezogen sind? Die Leopoldstädter Familie würde dort weder ihr soziales Umfeld noch die gleiche städtische Infrastruktur vorfinden. Ein „Recht auf Stadt“ bedeutet, dass alle das Recht haben, an der Infrastruktur und den sozialen Netzwerken teilzuhaben. Eine ins Nichts gebaute U-Bahnstation ist etwas anderes.

Stadtpolitik für wen?

Nun aber zur Frage nach einer strategischen Perspektive von Stadtentwicklung. Kasy hat durchaus Recht, wenn er anmerkt, dass manche stadtpolitischen Kämpfe Gefahr laufen, den Status Quo zu verteidigen, ohne die Frage nach konkreten Alternativen zu stellen. Stadtplanung heißt Veränderung. Altes verschwindet, Bestehendes wandelt sich und neue Strukturen entstehen. Die zentrale Frage ist allerdings, wie dabei die Weichen von staatlicher Seite gestellt werden. Städte stünden, wie Kasy richtigerweise betont, viele Instrumente zur Verfügung, um mehr Verteilungsgerechtigkeit zu erreichen: Leider hat auch die Stadt Wien in den letzten Jahren nichts in diese Richtung unternommen. Lieber ruht sie sich auf dem Mythos des Roten Wiens aus, während sozialer Wohnbau durch die Hintertür zugunsten von Mittelschichtsförderung ausgehöhlt wird.

Vor diesem Hintergrund läuft Kasys Kritik, dass direkte Aktionen zur Intervention in aktuelle Stadtentwicklungen die gesamt-städtische Entwicklung nicht im Auge haben, ins Leere. Niemand bestreitet, dass es eine andere Stadtplanung und Politik braucht. Die Stadtregierung Wiens hat sich allerdings in den letzten Jahren nicht als besonders gesprächsbereite Adressatin erwiesen. Anders als die aktuellen Werbeplakate suggerieren, wird eine andere Stadtpolitik aber nicht vom Himmel fallen, oder uns gar gönnerhaft in Form eines Schlüssels von Sonnenkönig Häupl überreicht werden.

Mitmachen statt warten: Direkte Aktion

Wir sind deshalb überzeugt, dass direkte, lokale Aktionen aus zweierlei Gründen sehr wohl sinnvoll sind.

(i) Erstens schaffen sie Öffentlichkeit für die Widersprüche und Fallstricke der aktuellen Stadtpolitik. Ob die versprochenen 2000 neuen Gemeindewohnungen nach der Wahl wirklich gebaut werden, wird sich zeigen. Derzeit sieht die Realität anders aus: Aktuell werden jährlich fast 1000 MieterInnen aus Gemeindewohnungen delogiert, weil sie die steigenden Mieten nicht mehr zahlen können; die Anzahl der Wohnungslosen hat sich seit 2006 verdoppelt; die Privatisierung des öffentlichen Raums wird von der SPÖ Wien zunehmend vorangetrieben. (etwa am Donaukanal, wo der Leopoldstädter SP-Bezirksvorsteher Karlheinz Hora – entgegen aller Stadtentwicklungspläne – versucht, den verbliebenen öffentlichen Raum zu kommerzialisieren.) Wer sehen will, wohin das führen kann, sollte beim nächsten Spaziergang durch den Prater bei der Kaiserwiese vorbeischauen, bzw. eigentlich bei dem, was davon nach der „Wiener Wiesn“ noch übrig ist.

(ii) Zweitens laden gelungene direkte Aktionen zum Mit-, Nach- und Selbstmachen ein. Die spanische Plattform der Hypothekenbetroffenen (PAH) ist dafür ein wunderbares Beispiel. Die AktivistInnen verhindern mit ihren Aktionen nicht nur unmittelbare Zwangsräumungen, sie machen gleichzeitig auf die staatlich geförderten, zynischen Geschäfte der beteiligten Banken aufmerksam. Die AktivistInnen der PAH verstehen sich zudem ganz hervorragend darauf, Wissen über Formen des juristischen und öffentlichen Widerstands sowie des zivilen Ungehorsams weiterzugeben. So schaffen sie Räume des Austausches und der Solidarität zwischen Betroffenen, die sich gegenseitig unterstützen und Erfahrungen austauschen. Und auch in Wien regt sich mittlerweile Widerstand gegen die zahlreichen Delogierungen (durchschnittlich sieben pro Tag!). Das Bündnis „Zwangsräumungen verhindern“ etwa hat bereits erreicht, dass das Thema Delogierungen in Wien eine größere Öffentlichkeit erreicht hat.

Für uns stellt sich somit nicht die Frage, ob eine andere Stadtplanung oder direkte Aktionen von Nöten sind. Wir meinen, es braucht beides. Nur wird Ersteres ohne Zweiteres nicht möglich sein. Anstatt darauf zu warten, dass die vermeintlichen StellvertreterInnen gerechtere Stadtpolitik machen, knüpfen direkte Aktionen an vorhandenen lokalen Potenzialen an – etwa den bereits existierenden Mieterbeiräten – oder verleihen bestehenden Forderungen und Initiativen, zum Beispiel der Leerstandsabgabe, zusätzlichen Druck.

Als Arbeitsgruppe Recht auf Stadt der Interventionistischen Linken Wien freuen wir uns über weitere Beiträge zur Frage, wie Wohnen in Wien und anderen österreichischen Städten, abseits paternalistischer Stadtpolitik, aussehen könnte.

Die Interventionistische Linke Wien existiert seit anderthalb Jahren. Eine ihrer Arbeitsgruppen beschäftigt sich mit dem Thema Recht auf Stadt. Gemeinsam mit anderen AktivistInnen arbeitet die iLWien derzeit an der Kampagne “Mietenwahnsinn Stoppen!“.

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