Bei der Debatte um steigende Wohnkosten geht es um verstärkter Marktsteuerung oder demokratisch organisierter Bedarfsdeckung. Kein Wunder, dass konservative HardlinerInnen so feindselig auf die Ankündigung neuer Gemeindebauten reagieren. Der Lösung der Wohnungsfrage steht ein wachsender profitorientierter Wohnungssektor ebenso entgegen, wie die europäische Kürzungspolitik.
Spätestens mit der öffentlichkeitswirksamen Ankündigung der Wiener SPÖ wieder Gemeindebauten errichten zu wollen, ist das Thema Wohnen zum fixen Bestandteil des nahenden Wiener Wahlkampfes geworden – und das zu Recht. Denn die steigenden Wohnkosten schränken die finanziellen Spielräume für ArbeitnehmerInnen zunehmend ein. Eine Studie im Auftrag der Arbeiterkammer Wien zeigte 2013/14 den rasanten Anstieg der Wohnkostenentwicklung für junge ArbeitnehmerInnen: Wer vor fünf Jahren eine Wohnung bezogen hatte, musste rund 24% des Haushaltsnettoeinkommens für die reine Miete aufwenden. Wer vor drei bis vier Jahren eine Wohnung anmietete, musste schon 26% bezahlen und wer in den letzten beiden Jahren einen Mietvertrag abschloss, musste bereits 28% des Einkommens in die Miete stecken.
Wohnen als teures Gut
Schon 2012 hatte eine Untersuchung für den Zeitraum 2000 bis 2010 gezeigt, dass für diese Entwicklung in erster Linie die Preisanstiege im privaten Sektor verantwortlich sind. Während die Mieten im Genossenschafts- und Gemeindesektor ebenso wie die Gebühren für Wasser, Müll etc. im Schnitt in etwa im gleichen Ausmaß anstiegen wie Inflation und Medianeinkommen, zogen die privaten Mieten davon: Bei 21% Inflation zwischen 2000 und 2010 stiegen die privaten Hauptmietzinse um 58% an. Das Richtwertsystem des Mietrechtsgesetzes wird von privaten Vermietern weitgehend ausgetrickst.
Wirksame gesetzliche Mietzinsobergrenzen sind daher seit Jahren überfällig. Um diese zu verhindern, argumentiert die Immobilienwirtschaft u.a. damit, dass eine Mietpreisregulierung die Wohnbauleistung sinken lassen könnte, weil weniger private Neubauten errichtet würden. Tatsächlich ist der Neubau der dringend benötigten geförderten Wohnungen österreichweit zwischen 2010 und 2013 um 30% gesunken, während die Zahl der frei finanzierten Wohnungen (deren Mietpreise de facto nicht reguliert sind) im gleichen Zeitraum um 90% zunahm. Es vermietet und verkauft sich teurer, das macht den privaten Neubau attraktiv. Es liegt auf der Hand, dass dies ein Teil des Problems und nicht seine Lösung ist. Ebenso offenkundig scheint, dass der gelegentlich von FPÖ und ÖVP vorgetragene Vorstoß, Gemeindewohnungen zu verkaufen, sozial- und wirtschaftspolitischer Wahnsinn wäre.
Öffentlicher Wohnbau als politische Aufgabe
Eine wirksame Begrenzung der Mieten müsste tatsächlich eine zurückgehende private Bautätigkeit mit einer massiven Ausweitung der öffentlichen Wohnbauleistung kompensieren, also den bereits jetzt relativ starken gemeinnützigen Wohnbausektor bewusst stärken. Das zeigt auch die historische Erfahrung des „Roten Wien“, das mit seinem Wohnbauprogramm auf das Erliegen der privaten Bautätigkeit nach Einführung des Mieterschutzes reagierte.
Auch hier wird aber die schädliche Auswirkung der europaweiten Kürzungspolitik auf Österreichs ArbeitnehmerInnen konkret greifbar. Der zeitliche Zusammenhang zwischen dem Rückgang der Neubauleistung geförderter Wohnungen und der Budgetkürzungen ist wohl kein Zufall. Die budgetären Einschränkungen sind nicht nur mitverantwortlich für die verspätete Reaktion auf den steigenden Wohnungsbedarf, sie behindern auch eine erforderliche Ausweitung des öffentlichen Wohnbaus. Bis auf Wien, das seine geförderte Wohnbauleistung zuletzt wieder deutlich erhöht hat, brachte kein Bundesland die Mittel auf, um die Gelder der eher bescheidenen Wohnbauoffensive des Bundes abrufen zu können.
Wohnraum ist Lebensraum
Die Fragen leistbarerer Mieten und verfügbaren Wohnraums sind daher keine abstrakten „Fachfragen“. Sie haben nicht nur individuell brennende soziale Bedeutung (72% der von IFES befragten ArbeitnehmerInnen gaben an, sich aufgrund der neuen Wohnung in ihrer Lebensführung einschränken zu müssen), sie sind letztlich vor allem ein zu lange unterschätztes Feld konkreter sozialer Auseinandersetzungen. Den Widerspruch zwischen privater Profitwirtschaft und eines an der Deckung des gesellschaftlichen Bedarfs orientierten Wirtschaftens kann kaum lebensnäher als im Wohnbereich dargestellt werden. Auch wenn die gegenwärtigen Vorschläge für Gemeindebau neu oder 365-Euro-Wohnungen in ihrer Quantität eher symbolische Schritte darstellen, zeigen sie Alternativen auf. Der neue Fokus auf dieses politische Thema ist zudem eine Chance, Zusammenhänge sichtbar zu machen: Die Kürzungspolitik ist nicht nur ein Problem des Südens, sie spielt auch in Österreich bei so konkreten Fragen wie der Wohnraumbeschaffung eine täglich spürbare Rolle.
Ludwig Dvořák ist Jurist und gf. Chefredakteur der sozialdemokratischen Diskussionszeitschrift ZUKUNFT