Antimuslimische Ressentiments als Bestseller

Politik, Gesellschaft, Medien und Islam sind mittlerweile ein berühmtes Quartett, das immer wieder die Gemüter erhitzt und die Emotionen hochkochen lässt. Spätestens seit dem Buch „Kulturkampf im Klassenzimmer“ von Susanne Wiesinger müssen wir hinterfragen, in welchem Licht wir bestimmte und dringende Probleme öffentlich diskutieren. Dabei spielt auch der Verlag von Wiesinger eine wichtige Rolle.

Es gibt zu viel Islam an den Schulen Wiens, muslimische Kinder spielen zu viel Playstation, muslimische Kinder sind nicht integriert. Die NMS-Lehrerin Susanne Wiesinger erzählt in ihrem neu erschienen Buch „Kulturkampf im Klassenzimmer“ über das Integrationsversagen an den Wiener Schulen und inwieweit dem Islam das zu zuschreiben ist. Als Lehrerin an einer sogenannten „Brennpunktschule“ in Wien-Favoriten beschreibt sie den Alltag mit ihren Schüler*innen und welche Hürden dabei aufkommen. Hauptansporn für dieses Buch ist ihre Sorge um ihre Schüler*innen. Sie sollen, wie die Autorin schreibt, nicht auf der Strecke bleiben. Wiesinger reißt immer wieder an, dass die Bildungspolitik schon lange nicht mehr der Realität entspricht.

Das Problem schlechthin

Kritik an dieser Stelle ist wichtig und gut, aber muss man dafür Schüler*innen stigmatisieren, insbesondere muslimische Kinder? Die Integrationsdebatten werden seit der “Islam-Kindergärten“-Studie auf dem Rücken von Kindern ausgetragen. Anstatt am Ansatz des Problems zu arbeiten, wird mit dem Islam als der Gefahr schlechthin argumentiert. Probleme gäbe es dabei genug: fehlende Inklusionsbestrebungen, Mangel an Fachkräften sowie schlechte Arbeitsbedingungen für Pädagog*innen. Es gerät außerdem außer Acht, dass Rassismus und strukturelle Diskriminierung an den Schulen Österreichs und in den Schulbüchern stattfinden. Bildung und Armut sind zudem stark von der sozioökonomischen Lage der eigenen Eltern abhängig. Sexismus, Armut und Bildungsdefizite sind Probleme, die sich durch die komplette Gesellschaft in Österreich ziehen. Wir müssen aufhören, diese nur an einer Bevölkerungsgruppe festzumachen.
 Auch wenn Susanne Wiesingers Ansatz vielleicht ein anderer war, der Grundton des Buches ist nicht der richtige Weg, um pädagogisch wertvolle Arbeit zu leisten.

Wiesinger in der Öffentlichkeit

Susanne Wiesinger kann aber auch anders. In einem Kurzinterview mit Sybille Hamann von SOS-Mitmensh fasst die NMS-Lehrerin und Autorin Wiesinger ganz sachlich und ohne Aufregung in zehn Punkten zusammen, welche Forderungen sie im Bildungsbereich für eine bessere Zusammenarbeit und bessere Zukunft für Schule, Lehrpersonal und Schüler*innen stellt. Ob sich die Autorin der Polemik in ihrem eigenen Buch bewusst ist, sie je nach Interviewanfrage von verschiedenen Medien ihre Rhetorik anpasst oder Anweisungen von ihrem Verlag selbst kommen, sei dahingestellt.

Klar ist aber, dass Wiesinger keine Erfahrung mit der Öffentlichkeit oder den Medien hat. Bei polarisierenden und sensiblen Themen wie Migration, Schule und Islam kann das schnell entgleisen. Viele Medien stürzen sich dann begeistert auf die scheinbar kontroversen Aussagen. Wenn an den Schulen der Migrationsanteil angestiegen ist, dann muss man überlegen, wie man den überforderten Lehrkräften unter die Arme greifen kann. Diversität im Klassenzimmer kann man nur mit Diversität im Lehrerzimmer entgegenwirken. Ansonsten schürt die Autorin nur weitere Ressentiments, wie das in „Kulturkampf im Klassenzimmer“ passiert. Wenn es um den Bildungsbereich geht, dann werden in der öffentlichen Debatte Schicht- und Klassenprobleme schnell auf die Religion zurückgeführt. Kindern und Jugendlichen wird damit jede Identität entzogen, weil sie nur auf ihr Muslim-Sein reduziert werden.

Gezielte Provokation?

Bemerkenswert ist aber auch der Verlag, in dem „Kulturkampf im Klassenzimmer“ veröffentlich wurde. Das Buch erschien im Verlag Edition QVV. Finanziert wird er von der Quo Vadis Veritas Privatstiftung von Redbull-Eigentümer Dietrich Mateschitz. Auch das Onlinemedium Addendum betreibt die Stiftung. In dem Zusammenhang ist Susanne Wiesinger erstmals im März 2018 auf Addendum medial aufgetreten, um über den vermeintlich wachsenden Einfluss des Islam an den Wiener Schulen zu reden. Nur einige Monate später veröffentlich sie zum selbigen Thema ein Buch.

Addendum beschreibt sich selbst als unabhängiges Medium, dass durch intensiver Recherche und Fakten, einen wesentlichen Beitrag für eine qualifizierte politische Debatte leisten möchte. Ähnlich wie Wiesinger betont das Onlineportal, dass es darum geht, unangenehme Wahrheiten ans Tageslicht zu bringen. Ähnlich wie Wiesinger dient der Islam dabei immer wieder als Schreckgespenst. Wir müssen uns stärker damit auseinandersetzen, wie und wann Probleme in Medien und Politik besprochen werden und unter welchen Gesichtspunkten diese thematisiert werden. Wenn es lediglich darum geht, bestsellerartig Vorurteile zu bekräftigen, dann haben wir ein ernstzunehmendes Problem in der österreichischen Gesellschaft. Denn damit wird jeder Boden für eine vernünftige und lösungsorientierte Diskussion entzogen.

Nour Khelifi (24) ist freie Journalistin, Kolumnistin und Content-Creator in Wien. Sie ist als freie Redakteurin u.a beim ORF, MO-Menschenrechtsmagazin und der Wiener Zeitung tätig. Für ihre Investigativ-Reportage „Inside Islam-Kindergärten“, für eine Differenzierung der Integrationsdebatte, wurde sie 2016 mit dem Leopold-Ungar Ehrenpreis ausgezeichnet.

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