Die Wiener Linien wollen das „subjektive Sicherheitsgefühl“ in den öffentlichen Verkehrsmitteln erhöhen. Mittels einer Castingshow werden dafür Musiker_innen gesucht. Bezahlt sollen diese „U-Bahn-Stars“ jedoch nicht werden. Lisa Bolyos über Hintergründe und Misstöne.
Achtung, Arbeitssuchende: In der Sicherheitsabteilung der Wiener Linien laufen zwei Bewerbungsverfahren. Die Arbeitsgebiete umfassen klassische Security-Arbeit und das relativ neue Feld der subjektiven Sicherheitsmusik. Schlechter Scherz? Nein. Bis Anfang 2019 wollen die Wiener Linien ihr Sicherheitspersonal auf hundertzwanzig Mitarbeiter_innen ausbauen. Zusätzlich wollen sie die – wie mehrfach betont wurde: subjektive – Sicherheit durch musizierende „U-Bahn-Stars“ erhöhen. Bewerben kann sich dafür, wer Deutschkenntnisse vorweisen kann, keine ansteckenden Krankheiten hat und mit dem musikalischen Können Magistratsbeamt_innen zu überzeugen vermag.
Verhöhnte Straßenkünstler_innen
Ganz problemlos geht die Sache jedoch nicht über die Bühne: Berufsvertretungen beschwerten sich über den respektlosen Umgang mit den Werknutzungsrechten in den (inzwischen korrigierten) Teilnahmebedingungen; die inoffiziellen Interessensvertretungen der Verteidiger_innen des öffentlichen Raums sprechen über eine weitere Einhegung, die es zu verhindern gilt; und Straßenkünstler_innen selbst sehen sich durch Teilnahme- und Arbeitsbedingungen verhöhnt.
Kooperationspartner der Wiener Linien ist „Buskers“, der „Verein zur Förderung der Straßenkunst“, der sich auf die Fahnen schreibt, ein Sprachrohr für Straßenkünstler_innen zu sein. Auf seiner Facebook-Seite gab es so viele erzürnte Kommentare zu den „U-Bahn-Stars“, dass der Verein eingestehen musste, dass „einige Details noch Optimierungsbedarf haben“. Dennoch sei die Freude groß, „dass nun auch die Kultur- und Musikweltstadt Wien sich der Straßenkunst öffnet.“ Eine Farce angesichts der repressiven Auswirkungen, die die Wiener Straßenkunstverordnung auf das Ausüben des Gewerbes hat.
Wozu „U-Bahn-Stars“?
Wozu also die „U-Bahn-Stars“? Erstens, weil die Stadt permanent ihren Standort aufzuwerten hat und sich dazu modern geben muss. In diese spezifische und altbackene Idee der Modernisierung fallen etwa die wirtschaftlich desaströsen Neugestaltungen der Bahnhöfe oder die Professionalisierung der Durchsagen. Alles, was es zu sagen gibt, wird mit freundlich disziplinierender Stimme vom Band abgespielt; für jede potenzielle Konfliktsituation (Tauben, Bettler_innen, verstellte Türen) gibt es einen eigenen Track.
Zweitens, weil der Umgang mit Armut und prekärer Arbeit im öffentlichen und halböffentlichen Raum Stadt und Stadträtin Ulli Sima überfordert. Es fehlen politische Ideen und politischer Wille, mit steigender und sichtbarer werdender Armut und den damit einhergehenden Praktiken – Betteln, Straßenzeitungsverkauf, Musizieren, Aufenthalt im öffentlichen Raum ohne ersichtliches Konsuminteresse – solidarisch umzugehen.
Andere Musiker_innen werden vertrieben
Der zentrale Wunsch bleibt also die „Entschlurfung“, um einen Begriff aus der Polizeikommunikation der 1950er Jahre zu verwenden. Es geht um die soziale Säuberung des öffentlichen und halböffentlichen Raums. Bereits aktive U-Bahn-Musiker_innen, darunter ein hoher Anteil von Armutsmigrant_innen, werden vertrieben, um die freien Plätze mit offiziellen „U-Bahn-Stars“ nachzubesetzen.
Dass Kunst und Kultur zur Aufwertung von urbanem Raum verwendet werden, ist nichts Neues. Ebenso, dass Kulturschaffende sich, willentlich oder nicht, in den Dienst der ordnenden Behörden stellen. Jeder Stadtteil-Gentrifizierung geht Kulturarbeit voraus, jede legale Graffitiwand soll Ordnung schaffen im Chaos der Metropole. Aber eine Großstadt, die ohne Spontaneität, ohne Winkel für Verborgenes auskommen will, verdient den Namen Großstadt nicht. Dabei steht der unregulierte Raum noch nicht einmal für weniger Sicherheit. Eine U-Bahn-Station, in der sich aufgewärmt oder gebettelt wird, ist ebenso belebt und damit subjektiv sicher (und es gilt zusätzlich immer zu fragen: sicher für wen und vor wem?) wie die, in der jemand melancholische Schnulzen auf der Akustikgitarre schrammt.
Gratisarbeit für „subjektive Sicherheit“
Neu ist, dass Künstler_innen derart unzweideutig dazu eingeladen werden, dem aufgeblasenen Sicherheitsdiskurs der Stadt zuzuarbeiten – und dann noch unbezahlt. „Dass ein Verkehrsunternehmen Straßenmusikern Geld zahlt, gibt es nirgends auf der Welt“, schreiben die Wiener Linien als Reaktion auf den Unmut über die unbezahlten Auftritte. „Nirgends auf der Welt“, um diese kindliche Phrase zu wiederholen, findet man wohl eher ein Unternehmen, das sein Sicherheitspersonal – und wenn es auch aus Musiker_innen besteht – umsonst in den Dienst bittet. Der Musiker Ernst Molden sprach der Tageszeitung „Kurier“ gegenüber von einer „Demütigung der Musiker“, die sich vom Magistrat bewerten lassen müssten, um dann ohne Gage für die Gemeinde Wien aufzuspielen: „Entweder man öffnet die U-Bahn für Musiker, dann müssen alle spielen dürfen, oder die Gemeinde Wien engagiert Musiker, aber dann muss sie sie bezahlen.“
Bis zum 28. Mai kann man sich als gesunde deutschsprachige Gratismusiker_in bewerben, am 9. Juni wird zwischen 9 und 18 Uhr im U2/U5-Infocenter in der Station Volkstheater vorgespielt – hoffentlich störungsfrei! Zwischen 6. Juli und 6. August finden dann die Auftritte im Untergrund statt. Einen Monat Straßenmusik und dafür so ein Drama? Wie hat der Komponist der bis zum Abwinken auf den Straßen gespielten Kleinen Nachtmusik gesagt? Leckts mich am Arsch, g’schwindi, g’schwindi!
Lisa Bolyos ist Redakteurin bei der Straßenzeitung Augustin.