Wiener Lebensqualität, so ein Schmäh!

Alle Jahre wieder erscheint eine Studie, die Wien zur lebenswertesten Stadt der Welt erklärt. Mit dieser Studie kann die Stadtregierung ihre eigene Politik schönreden, und für die nächsten Wahlen die Werbetrommel rühren. Doch mit dieser Strategie wird sie nicht weit kommen. Ein Beitrag von Christoph Altenburger und Martin Konecny

Durchgeführt wird die Lebensqualitätsstudie von Mercer LLC, einem Beratungsunternehmen im Bereich Personalmanagment. Mercer ist eines dieser kapitalstarken Unternehmen, von denen eigentlich niemand genau weiß, was sie so machen. Kerngeschäfte liegen laut eigenen Angaben im Bereich Investment, Retirement oder Human Capital. Mit einem Wort: neoliberale Wirtschaftspolitik.

Mercer gibt klar Auskunft über die Gründe für das Topranking: „Spitzenreiter Wien punktet besonders bei der Verfügbarkeit von geeigneten Mietobjekten für Expatriates, der Auswahl an Theater- und Musikdarbietungen sowie Restaurants und dem Angebot von internationalen Schulen.“ Toll, denkt man sich, da wäre ich doch gern so ein Expatriate, also „mobile Schlüsselarbeitskraft“. Aber das sind die meisten von uns nicht. Expatriates sind nämlich die schicken Migrant_innen – also die, die nicht als Letztere bezeichnet werden, weil sie in gut bezahlten Managementpositionen oder repräsentativen diplomatischen Funktionen hier unterwegs sind. Auch für die autochthonen Eliten mag die Sache ähnlich aussehen. Ein Penthouse mit Multikultiflair im Yppenviertel, der Abend in der Josefstadt oder der Staatsoper, Essen im „Steirereck“ – im Ranking der besten Restaurants der Welt immerhin Platz 16 – und die Kinder im Lycée.

Kritik an der Studie findet kaum Erwähnung. Der „Standard“ schreibt dazu: „Gegenstimmen üben indes Kritik an der Liste, weil sie vermeintlich nur die Lebensqualität für Top-Manager misst. Tatsächlich werden die Städte anhand von 39 Faktoren in 10 Kategorien verglichen, die zumeist die Lebensqualität alle Bewohner betreffen“. Nun, lieber „Standard“, die medizinische Versorgung betrifft tatsächlich alle Bewohner_innen. Nur liegt ein wesentlicher Unterschied zwischen einer Behandlung auf der Basis einer privaten Versicherung und dem stundenlangen Ausharren in den Warteschlangen des AKH. Der Knackpunkt ist weniger die Frage, ob die erfragten Kategorien alle Bewohner_innen „betreffen“, sondern wer überhaupt befragt wird. Glaubt jemand ernsthaft, dass das Ergebnis dasselbe wäre, wenn Arbeiter_innen in Simmering oder Pfleger_innen im AKH befragt werden würden? Es mag höchst schmeichelhaft sein, dass die Kund_innen von Mercer mit der Mietpreissituation in Wien zufrieden sind – gilt das aber gleichfalls für die von der Grätzelaufwertung Vertriebenen im Stuwerviertel? Fühlt sich der Obdachlose in der Gruft, dem das Betteln verboten ist, ebenso sicher wie der Personalmanagement Assistent einer Personalberatung? Fahren die den Asphalt am Kagraner Platz bestaunenden Kids ebenso häufig Fahrrad auf der Mariahilferstraße wie die Leiterin einer Bankfiliale?

Klar doch, die SPÖ Wien hat Angst vor den nächsten Wahlen. Wenig verwunderlich feiern Michael Häupl und seine Stellvertreterin Renate Brauner die Studie ab und meinen: „Andererseits ist es vor allem auch ein der Auftrag für uns, diesen erfolgreichen Wiener Weg hin zu einer pulsierenden, lebenswerten und sozial gerechten Metropole auch künftig fortzusetzen.” Habt ihr eigentlich noch einen Genierer, ist das Ziel eurer Politik ernsthaft die Lebensqualität von Top-Manager_innen?

Die Lebensqualität der Vielen

Sicher, Wien ist eine tolle und lebenswerte Stadt, auch für Menschen die keine „Expats“ sind. Auch für die breite Mehrheit gibt es Lebensqualität, öffentliche Kindergärten, gemeindeeigene Schwimmbäder, die Alte und Neue Donau, den Prater, die prächtigen Gemeindebauten, die alten Beisln und vor allem die Menschen, die in ihrem Zusammenleben diesen Dingen erst eine Bedeutung geben. Und ja, dass hier vieles noch besser ist als in anderen vergleichbaren Städten, ist zu einem guten Teil auch die Errungenschaft des „Roten Wien“. Es wurde erkämpft von den berühmten „Arbeiter_innen von Wien“. Aber auch diese Errungenschaften werden in Public-Private-Partnerships, Gentrifzierung und der repressiven Gestaltung des öffentlichen Raums zurückgebaut. Es gilt die Errungenschaften der Vergangenheit zu verteidigen, aber auch, über sie hinaus zu gehen. Der internationale Vergleich hilft hier nicht weiter, das Wissen, dass es woanders noch schlechter ist, motiviert nur die Konservativen und die Ängstlichsten.

Das Gute Leben müssen wir uns erst gemeinsam erkämpfen, auch gegen Expats und Döblinger Regimenter.

Christoph Altenburger ist Redakteur bei mosaik, studiert Deutsch, Philosophie & Psychologie auf Lehramt. Er ist aktiv im Verband Sozialistischer Student_innen und arbeitet für diesen in Österreichischen Hochschüler_innenschaft. Er unterstützt die Offensive gegen Rechts seit ihrer Gründung.

Martin Konecny ist Redakteur bei mosaik, Politikwissenschafter und arbeitet wissenschaftlich wie politisch hauptsächlich zur Eurokrise und ihrer autoritären Bearbeitung. Derzeit beschäftigen ihn vor allem die Perspektiven der griechischen Linken.

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