Er verachtet Frauen, ist kriminell und fremd. Er ist einer von vielen, die zu uns gekommen sind und unsere Regeln nicht akzeptieren. Er gehört zur Gruppe der Nordafrikaner, der Syrer, der Flüchtlinge, einer Gruppe die sich – so sagen sie – nicht anpassen will, „integrationsunwillig“ ist. Mit der Silvesternacht und der darauf folgenden Medienberichterstattung wurde der konstruierte „arabische“ oder „nordafrikanische“ Mann ein weiteres Mal neu erfunden. Er gehört einer als homogen verstandenen Gruppe an, über die nicht erst seit diesen Vorfällen abwertend berichtet wird. Jeder scheint ihn zu kennen, den arabisch, den südländisch aussehenden Mann. Und so auch sein Gegenstück: Die unterdrückte Frau, die ihm angeblich nur als Sexobjekt dienen soll.
Seit Köln hat sich das gesellschaftliche und politische Klima gewandelt. Österreich, Deutschland und Schweden haben 2015 innerhalb der EU die meisten Flüchtlinge aufgenommen. Jetzt scheint sich der Kurs jedoch endgültig zu ändern. Mehrere EU-Staaten verschärfen Asylgesetze, animieren zu Rückführungen oder setzen Obergrenzen fest. Die Geschehnisse rund um Köln werden von der Politik missbraucht. Dabei ist Köln nicht nur eine Geschichte über reale Überfälle, sondern über das Kippen der öffentlichen Stimmung.
Kursänderung
Der Rassismus wird wieder salonfähig, denn schließlich geht es um „unsere“ Frauen, „unsere“ Werte, „unsere“ Gesellschaft. Niemandem scheint aufzufallen, dass die Gleichsetzung von Aussehen, Nationalität, Sexismus und Religion nicht korrekt, sondern einfach diskriminierend ist. Stattdessen stellt sich immer mehr die Frage: Waren es nicht vielleicht zu viele Flüchtlinge, die wir aufgenommen haben?
Immer mehr neue Maßnahmen wurden innerhalb kurzer Zeit durchgewunken. Österreich muss unattraktiv werden, meinte Innenministerium Johanna Mikl-Leitner im Zuge der Debatten rund um Obergrenzen. Obergrenzen, durch die ein Richtwert beschlossen wurde, der nicht überschritten werden darf und der bestimmt, dass dieses Jahr nicht mehr als 35.700 Flüchtlinge aufgenommen werden. Wie das genau aussehen soll, darüber scheinen sich nicht einmal die Partei- und RegierungskollegInnen einig zu sein.
Schweden und Deutschland machen ebenfalls mit. Deutschland hat ein Asylpaket ausgearbeitet und wird nun die Familienzusammenführung erschweren. Schweden möchte 80.000 Flüchtlinge abschieben, Österreich 50.000. Die EU-Staaten revidieren ihre Willkommenskultur. Alles im Schatten der Silvesternacht, begründet mit einer angeblichen neuen Gefahr, ausgehend vom ominösen geflüchteten Mann. Was auf Köln gefolgt ist, ist ein Wettlauf um die schlechteren Bedingungen: Wer wird unattraktiver? Wer schiebt am effektivsten ab? Auch auf Ebene der Bundesländer scheint ein Trend in Gang gekommen zu sein, was sich nicht zuletzt an den Überlegungen der blau-schwarzen Regierung in Oberösterreich zeigt, die Mindesticherung zu halbieren.
Die neuen Frauen-Freunde
Die Diskussion rund um die Geschehnisse von Köln zeigt vor allem eines: Erst wenn Gewalt an Frauen von “Fremden” ausgeübt wird, wird sie zum Thema. Dabei zeigen Statistiken, dass 33% aller Frauen in der EU seit ihrem 15. Lebensjahr körperliche und/oder sexuelle Gewalt erfahren haben. Häusliche Gewalt stellt nicht nur in Österreich ein großes Problem dar, das meist heruntergespielt wird. Doch erst jetzt tritt die sonst eher frauenfeindliche FPÖ als WahrerIn von Frauenrechten ein, obwohl sie sich noch vor kurzem erst der Verschärfung des Sexualstrafrechts widersetzte. Eine inkonsistente Haltung. Ähnliche Positionen nimmt auch die Wiener Polizei ein, wie die antifeministische Aussage von Polzeichef Pürstl, Frauen sollten nachts generell „in Begleitung unterwegs sein“, zeigt. Die Verantwortung für sexualisierte Gewalt wird so wiederum den Frauen zugeschoben.
Ein Geschenk für die Politik
Doch es gibt Fragen, die nach Köln kaum gestellt und wenn doch einmal, dann nicht beantwortet werden: Warum blieb die Polizei so lange tatenlos? Die Geschehnisse rund um Köln waren für rechte und liberale PolitikerInnen ein Geschenk, denn mit ihrer Hilfe fiel es leichter, ihre menschenverachtende Politik durchsetzen, ohne auf viel Kritik seitens der Bevölkerung zu stoßen. Ganz nach dem Motto, die Flüchtlinge seien doch selbst schuld, da sie sich nicht benehmen könnten. Die Vorkommnisse wurden dadurch missbraucht und feministische Anliegen instrumentalisiert, um Hetze gegen Schutzsuchende zu betreiben und die sogenannte Festung Europa zu schützen. Und scheinbar ist das auch gelungen. Eine Obergrenze für Todesopfer im Meer wird es nicht geben. Obwohl alleine im Jänner 344 Menschen in der Ägäis gestorben sind.
Magda Eckert lebt und engagiert sich politisch in Wien.