Das erste Jahr: Eine Zwischenbilanz des Widerstands gegen Schwarz-Blau

Auch wenn Schwarz-Blau noch fest im Sattel sitzt, gab es 2018 vielfältigen Widerstand gegen die Regierung. Valentin Schwarz und Camilo Molina wagen eine Zwischenbilanz.

Nach gut einem Jahr ist Schwarz-Blau mindestens so beliebt wie zu Amtsantritt. Doch Widerstand gab es vom ersten Tag an, an unterschiedlichen Orten und zu unterschiedlichen Themen. Unser Rückblick erhebt keinen Anspruch auf Vollständigkeit, sondern geht den Fragen nach: Was funktionierte, was nicht? Welche Erwartungen waren überzogen, was macht uns Hoffnung? Wir stoßen dabei auf altbekannte Probleme ebenso wie auf vielversprechende Ansätze. Lernen wir aus dem Widerstandsjahr 2018, um 2019 besser zu werden.

Enttäuschung nach 12-Stunden-Tags-Demo

Rund um die Nationalratswahl vertraten viele die These: Unter Schwarz-Blau werde es rasch zu einer Konfrontation zwischen Oben und Unten, zwischen den reichsten 5 Prozent und dem Rest der Gesellschaft kommen. Die Annahme schien sich zu bewahrheiten, als die Gewerkschaften Anfang Juli 100.000 Menschen gegen den 12-Stunden-Tag mobilisieren konnten. Auch die öffentliche Meinung wurde nachhaltig gewonnen.

Doch auf diese Erfolge folgten keine weiteren Kampfmaßnahmen. Die Gewerkschaften hätten das Gesetz wohl kaum verhindern, aber ihre Kampffähigkeit für die Zukunft stärken können. Stattdessen beschränkten sie sich auf Warnstreiks während der Kollektivvertrags-Verhandlungen. Das enttäuschte viele.

Überzogene Streik-Erwartungen

Tatsächlich war der 12-Stunden-Tag eine Chance, breiten Widerstand aufzubauen, wie sie so schnell nicht wiederkehren wird. Auch wenn er in manchen Branchen bereits zuvor möglich war, betrifft kaum ein Teil des schwarz-blauen Programms so große Teile der Bevölkerung auf so unmittelbare Weise. Ein vergleichbares Mobilisierungs-Potenzial hat allenfalls die angekündigte Mietrechts-Verschlechterung. Zugleich verkennt die Forderung, die Gewerkschaften mögen doch einen Generalstreik ausrufen, die gesellschaftliche Lage. Die arbeitende Bevölkerung beteiligt sich nur dann an einem Streik, wenn ihre Unzufriedenheit hoch und ihr Selbstbewusstsein groß ist.

Wie sich der gewerkschaftliche Widerstand weiter entwickeln wird, hängt auch davon ab, welche Bewegungen und Kämpfe sonst noch entstehen und den politischen Spielraum vergrößern. Wie die Gelbwesten in Frankreich zeigen, beginnt breiter Widerstand, der einer Regierung wirklich unangenehm wird, nicht zwingend bei den Gewerkschaften.

Kein SPÖ-Linksruck

Eine weitere Annahme, die wir in der mosaik-Redaktion vor einem Jahr diskutierten, lautete: Die SPÖ werde, wie schon unter Schwarz-Blau I, zumindest verbal nach links rücken. Diese These war falsch. Wie schon ihr Vorgänger distanzierte sich Pamela Rendi-Wagner von einer Politik à la Jeremy Corbyn, der die britische Labour Party erfolgreich neu ausgerichtet hat. Von einer Vermögens- und Erbschaftssteuer, jahrelang eine Kernforderung vor allem der Gewerkschaften, rückte sie explizit ab.

Auch der neue Bürgermeister Michael Ludwig positionierte Wien 2018 nicht als Gegenmodell zu Schwarz-Blau, sondern vor allem als Stadt der Verbote. Erst in der aktuellen Auseinandersetzung um die Mindestsicherung setzte sich die Wiener SPÖ, vor allem Stadtrat Peter Hacker, öffentlich gegen die Angriffe aus dem Bund zur Wehr.

Die größte Oppositionspartei kann die Regierung bislang kaum unter Druck setzen. Die SPÖ fügt sich weitgehend in das politische Klima ein, das Schwarz-Blau nützt, statt es ändern zu wollen.

Falsche Annahmen über die FPÖ

Nicht bewahrheitet hat sich auch die Erwartung, die FPÖ werde rasch an Zuspruch verlieren, wenn sie neoliberale Maßnahmen mitträgt. Ihre WählerInnen scheint es kaum zu stören, dass die Abschaffung der Notstandshilfe, Kürzungen in der Krankenversicherung oder beim AMS auch sie betreffen können.

Die stabilen blauen Umfragewerte zeigen unserer Ansicht nach: Die Annahme, es würde genügen, die FPÖ als „Partei der Reichen“ zu entlarven, verkennt die Ursachen ihres Erfolgs. Ihr Rezept ist die permanente rassistische und autoritäre Zuspitzung. Das tut sie nicht nur zur Ablenkung davon, dass sie eine Politik gegen die Interessen ihrer WählerInnen betreibt – sondern um neu zu definieren, was diese Menschen als ihre Interessen begreifen. Für viele lässt sich „soziale Gerechtigkeit“ heute mit dem FPÖ-Slogan „Unser Geld für unsere Leut“ auf den Punkt bringen. Im Wahlkampf plakatierte die FPÖ selbst „Fairness“, kritisierte eine Erbschaftssteuer als „unfair“ – und zwar mit Erfolg.

Mit ständig neuen Vorstößen und Provokationen arbeitet die FPÖ daran, die Grenzen des Akzeptablen zu verschieben, um dem Kern ihrer politischen Vorstellungen näherzukommen: der Entmenschlichung von Menschen, von denen sie die Nation „säubern“ will. Dafür muss die FPÖ demokratische Hindernisse aus dem Weg räumen. Der Putschversuch im Verfassungsschutz und die Angriffe auf die Pressefreiheit sind zwei aktuelle Beispiele.

Der unterschätzte Antifaschismus

Die Furcht vor einem Polizeistaat in blauen Händen und die Ablehnung rassistischer Eskalation hat 2018 wohl für den meisten Widerspruch gesorgt. Erste Bruchlinien im Regierungslager wurden sichtbar. Die Petition „Ausbildung statt Abschiebung“ unterstützen auch schwarze Parteigranden. In Vorarlberg protestierten etliche Gemeinden gegen die unmenschliche Abschiebepolitik der Regierung – darunter ÖVP- und sogar FPÖ-PolitikerInnen. Auch in Niederösterreich tut sich was.

Die Proteste in ÖVP-Kernländern, die überraschend stark besuchten Großdemos in Wien zu Beginn und am Ende des Jahres und das Wiederaufleben der Donnerstagsdemos bringen uns zu einer These: Gegen diese Regierung hat Antifaschismus ein größeres Mobilisierungspotenzial, als wir vielleicht annehmen. Die richtige Sprache und Protestformen vorausgesetzt, motiviert das Thema bis weit ins bürgerliche Lager hinein und kann die ÖVP in Widersprüche verwickeln – gerade wenn es gegen Politiker wie Herbert Kickl oder Gottfried Waldhäusl geht. Ein antifaschistischer Grundkonsens kann sogar knapp mehrheitsfähig sein, wie 2016 die Initiativen für Alexander Van der Bellen abseits der offiziellen Kampagne zeigten.

Um dieses Potenzial zu nutzen, gilt es aber, antifaschistischen Protest breiter anzulegen als das bisher oft der Fall ist – ohne Berührungsängste mit konservativen und religiösen Gruppen, die sich von linker Symbolik und Rhetorik nicht angesprochen fühlen.

Donnerstagsdemos: erfolgreicher als erwartet

Die Donnerstagsdemos haben sich mit wechselnden Themen und Kooperationen, erfrischenden Routen und originellem Auftreten als wöchentlicher Treffpunkt etabliert. Das von der Protestbewegung gegen Schwarz-Blau I übernommene Format ist damit erfolgreicher, als viele in der mosaik-Redaktion erwartet hätten.

Die Donnerstagsdemos bildeten einen ersten Anlaufpunkt für viele vereinzelte Personen, die sich gegen die autoritäre und rassistische Zuspitzung wenden („Nie wieder ist jetzt!“). Der Slogan „Wir sind jetzt zusammen!“ zeugt vom Verlangen, aus der Isolation herauszukommen. Zuletzt fanden die Donnerstagsdemos neben Wien auch in Graz, Linz, Innsbruck, Salzburg, Klagenfurt und St. Pölten statt. Ein nächster Schritt könnte sein, ergänzend zu den Demos Orte der Diskussion, Planung und Organisierung zu schaffen.

Selbstorganisation gegen Rassismus

Hauptziele der schwarz-blauen Politik sind MuslimInnen, Geflüchtete und MigrantInnen. Im Oktober führte eine rassistisch motivierte Polizeikontrolle in einem Wiener Park zur Gründung der Plattform #nichtmituns. Dort organisieren sich von Diskriminierung betroffene Menschen, darunter auch mosaik-RedakteurInnen. Initiativen dieser Art stehen weiterhin vor der Herausforderung, die Einschüchterung zu überwinden, die der rassistische Normalzustand in migrantischen Communities hervorruft.

Im Dezember schien das zu gelingen. Als Reaktion auf ein FPÖ-Video riefen MuslimInnen unter dem Motto #WirsindAli zur Teilnahme an der Demo vom 15. Dezember auf. Was ein Signal der Solidarität hätte sein können, wurde leider durch eine altbekannte Spaltungslinie zunichte gemacht. Teile der Wiener Linken warfen einem #WirsindAli-Organisator seine Ablehnung der kurdischen PKK vor. Es gelang nicht, die Differenzen im Sinn einer gemeinsamen Demo hintanzustellen. Der #WirsindAli-Block wurde mehrfach angefeindet und an den Rand der Demo verschoben. Wie uns Betroffene berichtet haben, unterschied sich dieser Ausschluss für sie kaum von alltäglichen Diskriminierungserfahrungen. Das Muster ist dasselbe wie bei den üblen Attacken eines alteingesessenen Asyl-Aktivisten gegen muslimische Kolleginnen zu Beginn des Jahres.

Das linke Problem mit MuslimInnen

Solange das Land über Kopftücher, Moschee-Schließungen und Doppelstaatsbürgerschaften diskutiert, ist es der Regierung ein Leichtes, in der Offensive zu bleiben. Leider tragen auch Linke zum Klima des Misstrauens gegenüber MuslimInnen und Menschen mit türkischen Wurzeln bei. Das verhindert eine tiefere Zusammenarbeit zwischen jenen, die von Schwarz-Blau am meisten betroffen sind, mit all jenen, die gegen Schwarz-Blau arbeiten. Doch wir haben einander als Verbündete bitter nötig.

Um diese Spaltung zu überwinden, müssen wir eine solidarische Haltung entwickeln und Rassismus als Problem für uns alle anerkennen. Das wäre ein wichtiger Schritt zu einer mittelfristigen Vision, die wir formulieren wollen: ein Zusammenkommen von muslimischen, migrantischen, feministischen, gewerkschaftlichen und klimapolitischen AktivistInnen auf Augenhöhe; gemeinsam gegen diese Regierung. Dann könnte ein neues Selbstbewusstsein entstehen: Wir sind mehr als nur eine Minderheit, die ein Zeichen setzt. Wir sind eine potenzielle Mehrheit, die die gegenwärtigen Zustände umwerfen könnte.

Frauen als Hoffnungsträgerinnen

Auch unter schwierigen Bedingungen können frauenpolitische Anliegen und Antisexismus zu breiten Bewegungen führen. Das zeigte sich zuletzt etwa in Polen, Irland oder den USA.

Auch in Österreich hat #metoo einiges bewirkt. Abseits medienwirksamer Fälle von Peter Pilz bis Efgani Dönmez kam es zu einer breiten, vor allem in den Sozialen Medien sichtbaren Ermächtigung. Deren Potenzial zeigte sich beispielsweise im achtbaren Ergebnis des Frauenvolksbegehrens. Widerstand formierte sich auch gegen schwarz-blaue Kürzungen, ob von Alleinerziehenden, feministischen Vereinen oder Medien. Sollte sich die Regierung beispielsweise zu einem Angriff auf die Fristenlösung entscheiden, könnte das eine große Mobilisierung entfachen.

Die schwarz-blaue Inszenierung stören

Frauen waren es auch, die 2018 die Inszenierung der Regierung am effektivsten störten. Sie protestierten im Dirndl bei Sebastian Kurz‘ PR-Wandertag gegen den 12-Stunden-Tag. Sie kaperten seine Klimarede und die Pressekonferenz des Verkehrsministers bei einem Treffen mit der Luftfahrtindustrie, um die Regierung mit ihrer desaströsen Klimapolitik zu konfrontieren. Kreativer Aktionismus dieser Art ist in Österreich selten – und hat gegen eine Regierung, der kaum etwas so wichtig ist wie ihre Selbstinszenierung, großes Potenzial.

Das könnte ein guter Anlass sein, um die Zusammenarbeit zwischen politischer und kultureller Linken zu verstärken. Das Signale-Festival im Dezember war ein erster Schritt in diese Richtung.

Warten auf die Überraschung?

Von den Arabischen Revolutionen zu den Indignad@s in Spanien, von Sanders bis Corbyn: Wichtige Verschiebungen der politischen Verhältnisse kommen oft spontan und unerwartet. Auch die österreichische Solidaritätsbewegung im „Sommer der Migration“ 2015 hatten viele für unmöglich gehalten. Solche Ausbrüche können auch eine Linke, die jahrzehntelang marginalisiert war, plötzlich nach vorne katapultieren.

Doch um die Gunst des Augenblicks nutzen zu können, brauchen wir funktionierende Organisationen mit den nötigen Ressourcen – und einen aufmerksamen, beständigen Blick auf jene Teile der Gesellschaft, die bereits Widerstand leisten. Umschwünge fangen immer bei denen an, die auch unter widrigen Umständen hartnäckig bleiben.

Die Frage einer Partei

Wenn es um die Frage geht, wie wir Schwarz-Blau überwinden können, können wir – bei aller Ernüchterung über die aktuelle Lage – die parlamentarische Ebene nicht ausblenden. Die gegenwärtige Stärke der Rechten ist auch die Unzulänglichkeit der politischen Alternativen.

In den letzten Jahren gab es zahlreiche Diskussionen über die Gründung einer Linkspartei, erfolglose Anläufe ebenso. Der Bedarf nach einer Partei, die das verstreute und ohnmächtige solidarische Lager in der Gesellschaft vertritt und durch kluge Parlamentsarbeit stärkt, besteht weiterhin. Die Erfahrungen der letzten Jahre zeigen unserer Meinung nach, dass diese Partei nicht entstehen wird, indem man sie einfach ausruft oder anlässlich anstehender Wahlen aufbaut. Am ehesten kann sie sich aus erfolgreich geführten Kämpfen entwickeln. Ansätze dafür gibt es, wie wir hoffentlich zeigen konnten, genug.

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