Wer aus Protest rechts wählt, schießt sich selbst ins Knie

Die Landtags- und Gemeinderatswahlen in Oberösterreich und Wien rücken in großen Schritten näher. Die Umfragewerte der FPÖ befinden sich bereits jetzt in schwindelerregenden Höhen. Höchste Zeit also, zwei Lehren aus zwei steirischen Wahlkämpfen (2012 und 2015) zu ziehen.

Überall verpulvern sie Millionen und Milliarden, die Leute hier leben von der Mindestpension – da soll uns das Wahlergebnis überraschen?“, mit diesen Worten kommentierte ein Wirt im Grazer ArbeiterInnenbezirk Gries den Ausgang der Gemeinderatswahl in der steirischen Landeshauptstadt im November 2012. Dieses Ergebnis einer sonst kaum über die Landesgrenzen hinweg beachteten Wahl war eine kleine Sensation über die selbst das türkische Staatsfernsehen und japanische Zeitungen berichteten: Der KPÖ Graz gelang es mit knapp 20 Prozent der Stimmen zweitstärkste Kraft in der zweitgrößten Stadt Österreichs zu werden.

Während bei vielen Menschen in Graz und weit darüber hinaus die Freude groß war, dass „die da Oben“ einen Denkzettel bekommen haben, reagierte das politische und mediale Establishment zerknirscht angesichts des Wahlausgangs: Wie kann eine Kommunistische Partei so viel Zuspruch erhalten? Noch dazu in Österreich, das im Herzen des kapitalistischen Europas liegt und in dem Proteststimmen traditionell nach rechts wandern? Die Erklärungen der führenden Medienunternehmen waren schnell bei der Hand: Die Grazer KPÖ mache biedere Klientelpolitik in den Gemeindewohnungen meinten die einen, andere erhoben indirekt den Vorwurf des Stimmenkaufs angesichts der beachtlichen Summen, die die kommunistischen MandatarInnen für sozial Bedürftige von ihren Politikergehältern spenden. Einig waren sich die KommentatorInnen darin, dass das Ergebnis nichts mit dem politischen Programm der KPÖ zu tun hat – oder höchstens dadurch zustande gekommen ist, dass die KommunistInnen tunlichst verschwiegen haben, dass sie KommunistInnen sind.

Tiefe Risse…

Tatsächlich sind die Gründe für diesen Wahlerfolg vielschichtig. Warum aber wurde von den bürgerlichen MeinungsmacherInnen so konsequent jeder Zusammenhang zwischen den alltäglichen Sorgen von MindestpensionistInnen, ArbeiterInnen, Studierenden, GastarbeiterInnenkindern oder Erwerbslosen und dem politischen Programm der Kommunistischen Partei, die eben deren soziale Interessen ins Zentrum ihrer Politik rückt, geleugnet? Die Antwort ist für die gesellschaftlichen Eliten und die von ihnen dominierten Medien ebenso unangenehm wie gefährlich: Es geht ein tiefer Riss durch unsere Gesellschaft!

Während die Milliardenvermögen der reichsten ÖsterreicherInnen von Jahr zu Jahr geradezu sprunghaft steigen, bedroht die tiefe gesellschaftliche Krise des kapitalistischen Systems den Lebensstandard immer größerer Teile der Gesellschaft. Die Angst um das finanzielle Auskommen, den Arbeitsplatz oder die Pension ergreift selbst weite Teile der Mittelschicht, zugleich wächst die Sorge um die Sicherheit unseres Gesundheitswesens oder des Bildungssystems. Über eine Million Menschen gelten im zweitreichsten Land der Europäischen Union offiziell als arm, für sie werden Lebensmitteleinkäufe, das Aufbringen der Miete oder notwendige Schulausgaben für ihre Kinder zum täglichen Kampf.

Nur selten hören wir davon in Tageszeitungen oder den Abendnachrichten, im Radio oder in den Hochglanz-Gazetten. Die veröffentlichte Meinung hat mit den Lebensrealitäten von Millionen Menschen in diesem Land kaum etwas zu tun: „Eher erfährt man etwas über die Körbchengröße einer Schauspielerin als über die Arbeitsbedingungen in deutschen Fabriken in aller Welt“, schreibt die linke Publizistin Jutta Ditfurth. Man kann das genau so gut auf Österreich umlegen. Mit vermeintlichen Sachzwänge werden stagnierende Löhne und steigende Mieten, Kürzungen bei der Familienbeihilfe und der Behindertenbetreuung, bei Universitätsbudgets oder der Entwicklungshilfe argumentiert. Kaum etwas hören wir hingegen von deren Auswirkungen auf die Menschen, die dadurch arbeitslos werden, wegen fehlender Betreuungsplätze an ihr Bett gefesselt sind oder ihre Wohnung nicht angemessen warm halten können. Und noch weniger davon, wie die steigenden Profite österreichischer Konzerne und Banken die Taschen ihrer Aktionäre füllen. In den „Seitenblicken“ dürfen wir dann einen Blick auf die Luxusyachten oder die Opernball-Logen der „Reichen und Schönen“ erhaschen – natürlich ohne zu fragen, wer denn diesen Reichtum erarbeitet hat.

…und der aufrechte Gang

Selbst unter diesen Bedingungen war der Erfolg der KPÖ in Graz alles andere als eine Selbstverständlichkeit: „Auf tausend Kriege kommen keine zehn Revolutionen. So schwer ist der aufrechte Gang“, formulierte der marxistische Philosoph Ernst Bloch einst. Aufrecht zu gehen bedeutet solidarisch mit anderen für die eigenen Interessen einzutreten, ohne dem Druck von oben nachzugeben. Wenn die Propaganda raffinierter, die Schulbildung schlechter und die Hetze lauter wird, wird der aufrechte Gang nicht einfacher. Es sind keine leichten Zeiten für linke Politik – trotz sich zuspitzender sozialer Widersprüche.

Dabei ist eine linke, also auf die Schaffung sozialer Gerechtigkeit abzielende, Politik im Interesse der breiten Mehrheit der Bevölkerung. Mit dem Erfolg der KPÖ in Graz rückte plötzlich bundesweit das Thema der ständig steigenden Mieten oder die Frage nach sozialem Wohnbau in den Mittelpunkt der öffentlichen Debatte. Manch halbherzige Versprechen gingen nun auch den regierenden Parteien über die Lippen, dass es dabei blieb ist das Resultat einer fehlenden österreichweiten Linkskraft und fehlender sozialer Bewegungen von unten, die Druck auf deren Umsetzung hätten machen können. Aber selbst die PR-Strategen der SPÖ erinnerten sich daran, warum einst Millionen ArbeiterInnen dieser Partei ihre Stimme gaben und plakatierten in der Folge auf feurigem Rot „Leistbares Wohnen“, „Sichere Arbeitsplätze“ oder die Forderung nach einer Vermögenssteuer. Während es bei der SPÖ erwartungsgemäß bei leeren Wahlversprechen blieb, konnte die KPÖ eine Reihe ihrer Vorschläge im Interesse der Grazer Bevölkerung umsetzen: Der langjährige Widerstand gegen die geplante Privatisierung der Gemeindewohnungen verhinderte eine drohende Explosion der Wohnkosten. Stattdessen wurde unter den kommunistischen WohnungsstadträtInnen Ernest Kaltenegger und Elke Kahr jede Gemeindewohnung mit Bad und WC ausgestattet sowie 500 neue Gemeindewohnungen errichtet – 500 weitere sind in Planung. Mit dem von der Grazer KPÖ ausverhandelten Stadtbudget für die Jahre 2015 und 2016 wurden die Kosten für die Öffi-Jahreskarte beinahe halbiert, ein Stopp bei Müll- und Kanalgebühren durchgesetzt und Personalabbau oder weitere Privatisierungen verhindert. Linke Politik nützt eben (fast) allen.

Wer aus Protest rechts wählt…

Szenenwechsel. Am Grazer Hauptplatz tritt wenige Tage vor den steirischen Landtagswahlen im Mai 2015 FPÖ-Chef Heinz-Christian Strache auf. Einige hundert Anhänger der Freiheitlichen Partei werden mit Schlager-Musik und Österreich-Fähnchen bei Laune gehalten, zwischendurch wird mit „HC, HC, HC!“-Gejohle die Stimmung aufgeheizt. Unter den Fähnchen-Schwenkenden sind nicht wenige Menschen auszumachen, die von bürgerlichen Medien gerne als „kleine Leute“ bezeichnet wurden, seit der neoliberalen Wende nennt man sie „Systemverlierer“. Etwas abseits von der Basis stehen die Parteifunktionäre, schneidig herausgeputzt mit gegeltem Scheitel, Sakko und Jeans. Nicht wenige tragen Narben im Gesicht, die deutschnationalen Burschenschafter haben die FPÖ seit Straches Machtübernahme fest im Griff und sie Schritt um Schritt noch weiter nach rechts geführt. Die dargebotenen „Lösungen“ sind einfach: Hier werden jene, die wenig haben, gegen die, die noch weniger haben, aufgehusst.

Der steirische FP-Chef Kunasek droht unverhohlen von der Bühne: „Die Linken”, meinte er in Richtung der hunderten GegendemonstrantInnen, werden keine Zeit mehr „zum Schreien” haben, wenn die FPÖ einmal an der Macht sei, dann werden sie „endlich einmal arbeiten” müssen. Wenige Tage später erreicht die Partei ein Plus von über 16 Prozent und schließt beinahe zu den vormaligen Großparteien auf. Damit sind weitere Dämme gebrochen: Rassistische Beschimpfungen in der Öffentlichkeit häufen sich, im Burgenland geht die SPÖ eine Koalition mit der FPÖ ein, während sich die Linzer „Sozialdemokraten“ in Stimmungsmache gegen ein Flüchtlingsheim versuchen.

…schießt sich selbst ins Knie.

Auch die ÖVP reagiert auf die Verschärfung des gesellschaftlichen Klimas, mit „Klassenkampf von oben“ und Stimmungsmache gegen die Ärmsten: Die Forderung nach schärferen Kontrollen bei der ohnehin streng kontrollierten Mindestsicherung wird zur Parteilinie erhoben. Der VP-Finanzminister und vielfache Millionär Schelling fordert eine Kürzung der Arbeitslosenunterstützung und regt eine Diskussion über Einführung des unsozialen deutschen Hartz-IV-Modells an. Jene, die wenig haben, gegen die, die noch weniger haben, aufzuhussen; das funktioniert – ganz „politisch korrekt“ – auch ohne Rassismus. Und wird zum Bumerang für viele, die meinten mit ihrer Stimme für die FPÖ ein Zeichen des „Protests“ zu setzen. Das alte römische Prinzip „Teile und Herrsche“ funktioniert auch im neoliberalen Kapitalismus blendend: Während Banken und Konzerne ungestört den größten Teil des Kuchens vernaschen, sorgen die rechten Parteien dafür, dass Arbeitende, Erwerbslose und MigrantInnen gegeneinander um Brösel streiten, anstatt gemeinsam für ihren Anteil am Kuchen zu kämpfen. Und solange das so bleibt, wachsen die Milliardenvermögen der Reichsten weiter…

Was daraus lernen?

Die beiden so unterschiedlichen Wahlausgänge und ihre Folgen sind über die Grenzen der Steiermark hinaus bedeutsam, veranschaulichen sie doch allgemeine politische Mechanismen: Erleben rechte Parteien einen Zulauf, verschärft sich das gesellschaftliche Klima im Interesse der Eliten und zum Nachteil der weniger Privilegierten (gleich welcher Herkunft!). Und es rücken die zentralen Fragen nach leistbarem Wohnen, höheren Löhnen oder einem funktionierendem Gesundheitssystem zugunsten rassistischer Stimmungsmache und Formen sozialer Diskriminierung in den Hintergrund.

Das gilt es gerade in der gegenwärtigen Flüchtlingskrise zu vermitteln. Eine humanitäre Lösung kann nur eng verbunden sein mit einer politischen und gesellschaftlichen Offensive von links und muss die konkrete Unterstützung für flüchtende Menschen mit politischen Forderungen verknüpfen: Besteuerung der Millionen- und Milliardenvermögen um soziale Absicherung für alle Menschen zu ermöglichen, eine Verkürzung der Arbeitszeit um die Rekorderwerbslosigkeit einzudämmen, Brechung der Konzernmacht und ihres erpresserischen und ruinösen Systems der globalen Ausbeutung und nicht zuletzt eine aktive Neutralitätspolitik und entschiedener Einsatz für eine Beendigung von Waffenexporten, militärischen Interventionen und Destabilisierung zur Durchsetzung wirtschaftlicher und geopolitischer Interessen.

Vor diesen großen Aufgaben stehen wir. Gehen wir sie an.

Robert Krotzer ist Gemeinderat der KPÖ Graz und stellvertretender Bundesvorsitzender der Kommunistischen Jugend Österreichs (KJÖ).

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