Anfang November fand in Paris die 1. Weltjugendkonferenz statt. Unter dem Titel „Youth Writing History” trafen rund 300 Aktivist*innen aus mehr als 50 Ländern ein – darunter auch Flo und Zik aus Wien. Sie berichten, wer eigentlich mit dem Wort „Jugend” gemeint ist, warum sich bei über 90 verschiedenen Organisationen nicht immer alle einig sein können und wo die Grenze zwischen Solidarität und Romantisierung verläuft.
Es sind Parolen wie „Jin, Jiyan, Azadi” (kurdisch: Frau, Leben, Freiheit) und „El pueblo unido jamás será vencido” (spanisch: Das vereinte Volk wird niemals besiegt werden), die während der Eröffnung der 1. Weltjugendkonferenz durch den Saal der Kommunistischen Partei Frankreichs hallen. Es ist Freitagnachmittag. 36 Stunden zuvor haben wir uns auf den Weg gemacht, um die 516,74 Kilometer zwischen Wien und Paris zurückzulegen und dem Aufruf des Netzwerks Youth Writing History zu folgen. Andere haben dafür eine noch weitere Reise auf sich genommen: Im Raum sind Genoss*innen aller fünf Kontinente. Sie alle wollen unter dem Prinzip der Jugendautonomie und angesichts der uns umgebenden Krisen drei Tage lang Perspektiven eines revolutionären und alternativen Lebens diskutieren.
Wer ist hier jung?
Obwohl wir uns auf der Weltjugendkonferenz befinden, fühlen wir uns jung. Im Durchschnitt sind die Leute hier 25 und studieren. Auch deutlich ältere Genoss*innen sind angereist. Uns ist klar, dass Jugend in diesem Kontext nicht am physischen Alter festgemacht wird. Stimmen im Saal bestätigen uns: Jugend ist eine Einstellung, eine Sichtweise. Der jugendliche Geist zeichnet sich durch Aufgewecktheit, Kampfgeist und den Willen zur Veränderung aus. Je länger man sich diese Einstellung bewahrt, umso besser.
Doch darf diese Definition nicht darüber hinwegtäuschen, dass es ein Problem gibt, Jugendliche zu mobilisieren. Jugend endet nicht mit dem 18. Geburtstag. Aber wir wissen aus eigener Erfahrung, dass eine Politisierung weit vor der Uni nicht nur möglich, sondern auch notwendig ist. Eine Linke kann nicht ohne starke, junge Triebkraft funktionieren. Eine Triebkraft, die alte Strukturen und Ideen neu denkt. Wenn diese Triebkraft fehlt, sehen wir nicht nur ein Problem in unseren Strukturen, sondern auch ein gesellschaftliches Problem. Wir müssen also unsere Strukturen überarbeiten, um Raum für Jugendliche in unserer Organisierung zu schaffen.
Wie hältst du‘s mit dem Queerfeminismus?
Wenn wir „wir“ schreiben, führen wir uns vor Augen, in welch unterschiedlichen Kontexten sich die Gruppen vor Ort bewegen. Das haben die drei Tage besonders deutlich gemacht. Wenn verschiedene Bewegungen, Organisationen und damit auch Ideologien aufeinandertreffen, führt das zu Kontroversen. Etwa nach dem Panel „Young Women Writing History”. Hitzig stand dort zur Debatte, inwiefern queere Personen in feministische Freiheitskämpfe inkludiert werden und welche Rolle sie in der jetzigen Weltordnung spielen. Von Juan Pablo Gutiérrez, dem Vertreter der indigenen Gruppe Yupka aus Kolumbien, erfahren wir, dass es in seiner Community eine grundlegend andere Auffassung von Geschlecht gibt, in der – wie in anderen indigenen Kulturen – fünf oder mehr Genderidentitäten existieren. Er und einige andere Aktivist*innen, beispielsweise aus Deutschland und Spanien, argumentieren, dass der Kapitalismus davon profitiert, nur zwei Geschlechter zu haben, die in ihrer Rolle rein auf die Fortpflanzung beschränkt sind. Eine Verweigerung dieser binären Kategorien sehen sie als revolutionär.
Andere Stimmen unterstreichen, dass Auseinandersetzungen um geschlechtliche Vielfalt von kapitalistischer Seite genutzt werden, um Debatten in der Gesellschaft zu starten und zu spalten. Für sie haben queere Kämpfe eine nachgelagerte Bedeutung für revolutionäre Prozesse. Im Austausch – an dem mit der Delegierten der YJCR (Yekitîya Jinen Ciwan a Rojava – Vereinigung der Jungen Frauen in Rojava) auch Stimmen aus Kurdistan teilnahmen – konnte sich schließlich darauf geeinigt werden, dass queere Identitäten vom Kapitalismus und vor allem in seiner neoliberalen Ausprägung verwendet werden, um sich als progressiv darzustellen. Gleichzeitig wurde aber festgehalten, dass queere Menschen schon immer Teil unserer Gesellschaften waren, keine kapitalistische Erfindung. Alle Differenzen konnten nicht aus dem Weg geräumt werden. Aber gerade der Austausch verschiedener Sichtweisen, die sich aus unterschiedlichen Backgrounds entwickelt haben, ist doch das, was eine globale Bewegung ausmacht. Auch wenn man sich in Punkten widerspricht.
Durch Realismus die eigenen Kämpfe stärken?
Auch bei dem Workshop „Youth and Migratio” kommt es zu Kontroversen. Ein junger kurdischer Genosse, der seit vier Jahren in Europa lebt, spricht von den Problemen in Kurdistan, warum Menschen von dort weggehen und den Erfahrungen in Europa. Eine Kindheit und Jugend im Kriegsgebiet, ein Aufwachsen mit der ständigen Angst, von Bomben getötet zu werden. Nur einer der Gründe, warum manche Jugendliche die Region verlassen wollen.
In Europa angekommen, warten jedoch schon die nächsten Probleme, erzählt er – strukturelle Ausgrenzung wird Teil vom Alltag. Von diesen Eindrücken spricht die kurdische Freiheitsbewegung nicht so oft. Lieber berichtet man von Kampfgeist und Revolution. Schwierigkeiten und Herausforderungen werden weniger beleuchtet; die Elemente, die gefallen, oft romantisiert. Auch in der deutschsprachigen Linken wird das sichtbar und führt manchmal zu einer Überidentifizierung und kultureller Aneignung. Statt Motivation und Hoffnung aus anderen Kämpfen in die eigenen weiterzutragen, wird sich in die romantisierten Versionen der Freiheitskämpfe zurückgezogen.
Die Weltjugendkonferenz macht uns deutlich, dass das nicht die Lösung sein kann. Für eine Welt ohne Kapitalismus brauchen wir in allen ihren Teilen starke Bewegungen, die je nach Situation und Kontext unterschiedlich aufgebaut sind. Lebensweisen aus Rojava können nicht von heute auf morgen zu unseren werden, da wir hier in Österreich in einer völlig anderen Realität leben und unseren eigenen Weg finden müssen. Internationale Solidarität ist eine unserer stärksten Waffen, aber wir dürfen uns nicht hinter Solidaritätsarbeit verstecken und die politischen Ziele aus den Augen verlieren.
Fotos: © Youth Writing History