Die Klimakrise rückt Fragen von Wassergerechtigkeit auch in Europa zunehmend in den Vordergrund. Fabian Hattendorf war bei den aktuellen Kämpfen der Klimabewegung in Frankreich. Er fragt, was wir von den „Aufständen der Erde“ lernen können.
*** Dieser Beitrag ist der vierte Artikel im Rahmen der Reihe mosaik strategy summer. Von Ende Juli bis Ende September veröffentlicht mosaik jede Woche einen Artikel zu strategischen Fragen linker/emanzipatorischer Bewegungen und Kämpfe. ***
Einen Monat ist es her, dass die französische Klimabewegung in Westfrankreich zu großen Protesten für Wassergerechtigkeit mobilisiert hat. 6.000 Menschen haben sich knapp eine Woche lang im Poitou versammelt, einer Region, die durch die Klimakrise stark von Wassermangel betroffen ist. Gegenstand der Kritik sind die riesigen künstlichen Wasserbecken (bassines), die die lokale intensive Landwirtschaft aufrechterhalten sollen. Sie werden im Winter aus dem Grundwasser gespeist, um die Bewässerung auch während trockener Sommer gewährleisten zu können.
Die Kritik an dieser Methode: Nur 5% der Landwirt*innen – die meisten davon Großbauern – profitieren von den Wasserbecken. Sie können damit weiterhin ihre wasserintensive Produktion, vor allem von Mais, für den französischen Export betreiben. Sie tun das in einer Region, die von ihren natürlichen Gegebenheiten viel besser für Obst- und Gemüseanbau und Tierhaltung geeignet wäre. Gleichzeitig sinkt der Grundwasserspiegel für die restlichen 95% der Landwirt*innen. Das riskiert langfristig die Wettbewerbsfähigkeit der Kleinbäuer*innen und den sicheren Zugang zu Wasser für die gesamte lokale Bevölkerung.
Aufstände der Erde
Schon seit Jahren protestieren die lokale Initiative „Bassines non merci“ (Wasserbecken nein danke) und die linke Landwirtschaftsgewerkschaft „Conféderation paysanne“ (Bäuerliche Konföderation) gegen die Wasserbecken. Sie konnten den Bau einiger Wasserbecken dadurch verzögern. Doch trotzdem planen die staatlichen Behörden immer mehr Wasserbecken. Deshalb luden die beiden Gruppen die Organisation „Soulèvements de la Terre“ (SDLT – dt.: Aufstände der Erde) ein. Die Organisation ist ein frankreichweiter Zusammenschluss von Basisgruppen, die – ähnlich wie Ende Gelände in Deutschland – große Aktionen zivilen Ungehorsams organisieren. Zu tausenden blockieren sie Wasserbecken und „entwaffnen“ sie, indem sie die Plastikfolien an ihrem Boden zerschneiden oder die Wasserpumpen demontieren.
Landesweit bekannt wurden die Aktionen von SDLT im März 2023, weil die Polizei die rund 30.000 Protesierenden in der Gemeinde Sainte-Soline, ebenfalls im Poitou, gleich einem militärischen Kommando angriff. Dabei gab es viele Schwerverletzte. Ein Teilnehmer der Demonstration lag mehrere Monate im Koma. Die französische Zivilgesellschaft, aber auch die französische Menschenrechtsliga und die UNO kritisierten den Polizeieinsatz scharf. Der französische Premierminister Emmanuel Macron reagierte darauf mit einer Medienkampagne, die zum Ziel hatte, die vermeintliche Gewaltbereitschaft von SDLT in den Vordergrund zu rücken. Er forderte sogar das Verbot der Organisation, scheiterte aber aufgrund großer Gegenproteste.
Unterstützung in lokalen Kämpfen
In der deutschsprachigen Klimagerechtigkeitsbewegung wird sich zunehmend als Vorbild auf SDLT bezogen: Zum Beispiel bei den Protesten für Wassergerechtigkeit in Brandenburg von Bürgerinitiativen und Klimabewegung gegen den Ausbau der Tesla-Fabrik in Grünheide, aber auch von der Interventionistischen Linken im Strategieartikel auf mosaik. Positiv wird dabei benannt, dass SDLT nur auf Einladung lokaler Initiativen hin ihre Aktionen plant. Sie haben also den Anspruch, eine Unterstützer*innenrolle in lokalen Kämpfen einzunehmen. Dieser Aspekt ist mit Blick auf die aktuellen Diskussionen um Organizing in der deutschsprachigen Klimabewegung – ein Politikansatz, der Betroffene der Klimakrise oder sozial-ökologischen Transformation systematisch zum handelnden Subjekt macht – besonders interessant. Wie also gestaltet sich das Verhältnis der Proteste zwischen lokaler Bevölkerung, insbesondere der betroffenen Kleinbäuer*innen und der Klimabewegung in der Praxis? Und kann SDLT schlussendlich ihrem Anspruch gerecht werden, lokale Gruppen zu unterstützen, ohne stellvertretend für sie zu sprechen?
Klimacamp und Demonstrationen
Um diese Frage zu beantworten, braucht es zunächst einen Blick auf die Proteste vor einem Monat. 6.000 Menschen versammelten sich zu einem Klimacamp in der Gemeinde Melle. Von dort aus starteten an zwei Tagen große Demonstrationen, die von der Polizei allerdings untersagt worden waren. Das Ziel: Den Bau und Betrieb der riesigen Wasserbecken und das System der intensiven Landwirtschaft zu stören. Auch wenn die ursprünglichen Aktionsziele nicht erreicht wurden, konnten zumindest die Demonstrationen trotz massiver Polizeipräsenz stattfinden. Die Demonstration am Freitag musste allerdings frühzeitig abgebrochen werden, weil die Polizei mit einer Tränengasgranate ein ganzes Ackerfeld in Brand setzte.
Die Wasserbecken als erfolgreicher Kristallisationspunkt…
In den französischen Medien wurden die diesjährigen Aktionen der Klimaaktivist*innen mit viel Sorge um gewaltvolle Ausschreitungen erwartet. Der französische Innenminister Gérald Darmanin eskalierte einige Tage vor den Aktionen präventiv. Er sprach von mindestens tausend gewaltbereiten Linken, auf die sich die Polizei mit allen Mitteln vorbereite. Trotzdem fiel die Berichterstattung recht positiv aus, sicherlich auch, weil die Auseinandersetzungen mit der Polizei diesmal weniger heftig waren. Die kurzfristige Bilanz der Proteste fällt vor diesem Hintergrund positiv aus: Es ist beachtlich, was die Akteur*innen vor Ort in den letzten sieben Jahren aufgebaut haben. Durch die Kombination aus lokalen Protesten, massenhaften Aktionen zivilen Ungehorsams, Sabotage und professionelle Medienarbeit ist es ihnen gelungen, die Wasserbecken ausgehend von einem lokalen Kampf als Kristallisationspunkt für Fragen der Wassergerechtigkeit und landwirtschaftlicher Produktion insgesamt in ganz Frankreich zuzuspitzen. Ihr Ziel ist es, somit einen Baustopp über die geplanten Wasserbecken zu erzwingen.
…mit zu geringer lokaler Verankerung
Allerdings schaffen es die Akteur*innen letztlich doch nicht, den Konflikt für die Menge an Kleinbäuer*innen als Klassenkonflikt darzustellen. Soll heißen: Die meisten Kleinbäuer*innen fühlen sich durch die Proteste nicht angesprochen. Obwohl sie es sind, die Grund hätten, am lautesten gegen die Wasserbecken zu protestieren. Dass das so ist, hängt mit der Wahl der Aktionsform – aktionistisch – und der Kommunikation zusammen, die stark auf Umweltaspekte (Wasser) und weniger auf soziale Aspekte fokussiert. Wenn sie das tut, wendet sie einen typischen linken Sprech an. Oft ist beispielsweise vom agro-industriellen Komplex und neokolonialer Ausbeutung die Rede. Ein Landwirt, der selbst auf Bewässerungsanlagen zurückgreift, erzählt, dass er die Proteste kritisch sieht. In seinen Augen kommen die Ökos aus den Städten, um den Landwirt*innen in der Region zu erklären, wie sie ihre Böden bestellen müssten.
Diesem Bild – das natürlich viel von einschlägiger Berichterstattung und der konservativen Landwirtschaftsgewerkschaft FNSEA geprägt ist – liegt ein wahrer Kern zugrunde: Wer da auf dem Protestcamp zusammenkam und gegen die Wasserbecken in Aktion zog, war am Ende ein linkes, größtenteils junges und (vor allem für französische Verhältnisse) sehr weißes Publikum. Das handelnde Subjekt sind kaum die betroffenen Kleinbäuer*innen oder die von Wassermangel betroffene lokale Bevölkerung. Sowohl die linke Landwirtschaftsgewerkschaft als auch genuin landwirtschaftliche Forderungen (z.B. Transparenz über Zugriff auf die Wasserbecken, Anpassung der Förderrichtlinien, Reform der europäischen Agrarpolitik…) waren nicht sehr präsent. Höhepunkt war in dieser Hinsicht die Demonstration am Samstag in La Rochelle, wo einige Kleinbäuer*innen mit ihren Traktoren die Blockade und Demo mitanführten. Insgesamt wirkt die inhaltlich sehr richtige Kritik am landwirtschaftlichen Modell der Region durch den mangelnden Rückhalt unter den Kleinbäuer*innen am Ende etwas abgehoben.
Was bleibt vom Kampf um Wassergerechtigkeit?
Zwei Wochen nach dem Klimacamp in Melle bleibt ein flaues Gefühl im Magen. Ist die Bewegung durch die Aktionen wirklich langfristig stärker geworden? Kurzfristig mögen die direkten Aktionen von SDLT und Co. einen Aufschrei produzieren und eventuell sogar einen Baustopp ermöglichen. Mittel- und langfristig aber scheint die Klimabewegung mit SDLT auch in Frankreich den Fehler zu machen, eine Abkürzung zu wählen, die die Betroffenen nicht genügend berücksichtigt. Dadurch sind es wieder viele übliche Verdächtige, die aktiv sind, ohne dass die Machtressourcen der Betroffenen ausreichend ins Feld geführt werden können.
Um das kapitalistische landwirtschaftliche Modell mit all seinen ökologischen Rissen und sozialen Verwerfungen umzukrempeln, führt an den Kleinbäuer*innen kein Weg vorbei. Die Bauernproteste in Westeuropa im letzten Winter haben eines sehr deutlich gezeigt: Es sind die Kleinbäuer*innen, die sowohl die strukturelle Macht besitzen, um die landwirtschaftliche Produktion zu erschüttern, als auch die Protestmittel (Traktoren!) und Diskurshoheit, um ihren Forderungen Nachdruck zu verleihen. Außerdem haben sie das Wissen, wie eine ökologisch und sozial gerechte Landwirtschaft aussehen kann.
Bündnisse auf Augenhöhe als Mammutaufgabe
Es bleibt eine Mammutaufgabe, starke Bündnisse auf Augenhöhe zwischen der Klimabewegung und Kleinbäuer*innen aufzubauen und kurzfristig mag Vieles dagegensprechen. Zu weit liegen beide Gruppen derzeit auseinander. Langfristig aber muss die Klimabewegung in Frankreich wie in Österreich diese Herausforderung annehmen, um aus der Defensive zu kommen, in der sie sich angesichts des Vertrauensverlusts in der Bevölkerung und des fossilen Backlashs befindet. Ein wichtiger Schritt sind deshalb erste erfolgreiche Allianzen zwischen Beschäftigten und der Klimabewegung. Die Kooperation „Wir fahren gemeinsam“ mit Busfahrer*innen und der Gewerkschaft vida bieten einen ersten Orientierungspunkt, wie das auch in Österreich gelingen kann.
Ihr wollt die bisherigen Artikel des mosaik strategy summer nachlesen? In „mosaik – Politik weiterhin neu zusammensetzen“ erfahrt ihr mehr über die Geschichte des Projekts mosaik und was sie für heute bedeutet. Eine Reflexion der Praxis der Interventionistischen Linken lest ihr in „Sind wir hier noch genau richtig? – Die Interventionistische Linke im Umbruch“. Und HIER erfahrt ihr ob und wie ein Wahlkampf ohne Partei funktionieren kann.
Titelbild: Soulèvements de la Terre