Warum Irmgard Griss Teil des Establishments ist

mosaik-Redakteur Franz Stephan Parteder über die Präsidentschaftskandidatin Irmgard Griss, ihre GeldgeberInnen und warum sie für progressive WählerInnen keine gute Wahl ist.

Bei der, im April anstehenden, Bundespräsidentschaftswahl tritt die ehemalige Präsidentin des Obersten Gerichtshofes Irmgard Griss als von den Parlamentsparteien unabhängige Kandidatin an. Der von ihr verantwortete Kommissionsbericht über das Debakel der Hypo Alpe-Adria hat sie einer breiten Öffentlichkeit sympathisch und als Gegengewicht zur Dominanz der etablierten Parteien wählbar gemacht. Auch für Linke? Das wohl nicht. Auch Oliver Pink weist in der „Presse“ auf die unleugbare Tatsache hin, dass „Irmgard Griss, die bürgerlich-liberale Anti-Establishment-Kandidatin (…) als ehemalige OGH-Präsidentin natürlich Teil des Establishments ist.“ Aber nicht nur das. Bei Griss’ Kandidatur dürfte es sich um eine durchdachte und geplante Operation eines Teils der österreichischen Großkapitals zur direkten Durchsetzung seiner Interessen auf dieser Ebene handeln. Nach der Etablierung der Retortenpartei NEOS im Parlament hält man es für möglich, in Konkurrenz und Auseinandersetzung mit ÖVP und SPÖ auch in den Kampf um das BundespräsidentInnenamt einzugreifen. Dass Irmgard Griss eine erfolgreiche Frau ist, spielt in diesen Kalkulationen keine kleine Rolle.

Ihre FördererInnen: Bartenstein, Andritz, AVL List, Steiermärkische Sparkasse

Wer mit der österreichischen Innenpolitik vertraut ist, der/die musste aufhorchen, als der frühere ÖVP-Minister, VP-Verbindungsmann zu Jörg Haider, Burschenschafter und Pharma-Unternehmer Martin Bartenstein seine Sympathie für die Kandidatur von Irmgard Griss erkennen ließ. Die erste Großspende von 100.000 Euro kam von Cattina Leitner, die mit Wolfgang Leitner, dem Vorstandsvorsitzenden des weltweit tätigen Andritz-Konzerns mit Hauptsitz in Graz verheiratet ist. Leitner wird vom Wirtschaftsmagazin trend mit einem geschätzten Vermögen von 1,36 Milliarden Euro auf Platz 18 der reichsten Österreicher(Innen) geführt. Er hat übrigens gemeinsam mit seinem Studienkollegen Martin Barteinstein das Pharma-Unternehmen Genericon gegründet.

Mittlerweile sind bereits über 500.000 Euro an Spenden zusammengekommen, wobei die Großspenden von UnternehmerInnen und ExponentInnen der juristischen Elite kommen, eine Kleinspende von 10 Euro von Hermes Phettberg ist auch dabei.

Diese Tatsachen machen es unumgänglich, Informationen über das familiäre Umfeld der Kandidatin einzuholen. Schließlich macht es einen Unterschied, ob das Staatsoberhaupt mit der Tochter eines Widerstandskämpfers und Emigranten verheiratet ist – wie Heinz Fischer – oder mit einem, im Establishment bestens vernetzten Rechtsanwalt, wie dies bei Erfolg Irmgard Griss’ der Fall wäre. Gunter Griss führt in Graz die Rechtsanwaltskanzlei Griss und Partner. Sein Tätigkeitsfeld liest sich wie folgt: „Dr. Gunter Griss fungiert als Aufsichtsrat verschiedener Unternehmen und ist ständiger Rechtsberater zahlreicher in- und ausländischer Gesellschaften aus Handel und Industrie, Banken- und Versicherungswirtschaft. Dr. Griss ist regelmäßig in internationalen Schiedsverfahren tätig – sowohl als Parteienvertreter als auch als Schiedsrichter.

Gunter Griss ist Aufsichtsratsvorsitzender der Steiermärkischen Bank und Sparkassen AG, die zur Erste Group gehört. Seine Stellvertreter im Aufsichtsrat sind übrigens Oswin Kois, ehemaliger Vorstandsvorsitzender des steirischen Energieunternehmens ESTAG und zuvor Büroleiter von SPÖ-Landeshauptmannstellvertreter Peter Schachner-Blazizek und Ilse Bartenstein, die Ehefrau von Martin Bartenstein. Weiters ist er Aufsichtsratsvorsitzender der AVL List GmbH, einem der weltweit führenden Unternehmen für die Entwicklung von Verbrennungsmotoren mit dem Sitz in Graz, und Vorstandsvorsitzender der List Privatstiftung, in der das Vermögen der Besitzerfamilie dieses Betriebes verwaltet wird.

Spurensuche: ihre Inhalte

Das Sein bestimmt das Bewusstsein. Deshalb ist nicht davon auszugehen, dass die Frau eines Rechtsanwaltes, für den internationale Schiedsgerichtsverfahren tägliche Praxis sind, etwas gegen das Handelsabkommen TTIP unternehmen wird. Ihre öffentlichen Aussagen zu TTIP gehen ganz deutlich in diese Richtung. Auch andere Positionen der, in öffentlichen Stellungnahmen sonst sehr vorsichtigen, Irmgard Griss gehen in eine Richtung, die für fortschrittliche Menschen nicht akzeptabel ist.

Die immerwährende Neutralität Österreichs stellt sie in Frage. Auf die Frage der Vorarlberger Nachrichten: „Soll die Neutralität weiterbestehen“ gab sie folgende Antwort: „Das weiß ich nicht“. Dafür positioniert sie sich in der Diskussion über die verschiedenen EU-Krisen eindeutig: Wie alle MainstreampolitikerInnen sieht sie die Lehre daraus „nicht in weniger, sondern in mehr Europa“. Dieser Stehsatz passt ausgezeichnet zu den aktuellen Versuchen, die Repressionsinstrumente der EU unter dem Vorwand von Terrorgefahr und Flüchtlingsströmen massiv auszubauen. Ihre Aussagen zu diesem Thema passen auch zur Agitation von Außenminister Kurz und der ÖVP. Bei einer Bundesregierung, die den Austritt Österreichs aus der EU im Programm habe, würde sie zurücktreten. Ihre Aussagen zu wirtschaftspolitischen Fragen lesen sich wie Paraphrasen auf die aktuellen Forderungen der Industriellenvereinigung.

Eine Bundespräsidentin Irmgard Griss würde darüber hinaus gut zu Versuchen passen, in Österreich eine rechtsbürgerliche Regierung unter Ausschluss der SPÖ zu installieren. Darauf deuten nicht nur ihre Aussagen zur möglichen Angelobung von Strache als Bundeskanzler hin. Auch ihre UnterstützerInnen aus den Reihen der steirischen ÖVP und Martin Bartenstein im Besonderen, die bei der Anbahnung von Schwarz-Blau 1999/2000 bedeutsam waren, zeugen davon.

Die sich abzeichnende Konstellation bei der Bundespräsidentschaftswahl im April 2016 macht auf schmerzliche Weise deutlich, wie fatal das Fehlen einer gesamtösterreichischen fortschrittlichen, sozialen und gesellschaftlich bereit verankerten Alternative auf politischer Ebene ist. Das Establishment macht sich nämlich schon seit langem Gedanken über die Erosion des Zuspruchs zu den traditionellen Volksparteien. Dabei will man sich den rechtspopulistischen Bewegungen nicht vollends ausliefern und bringt deshalb Retortenbabies wie die NEOS ans Tageslicht. Die Industriellenvereinigung hat jetzt mehrere Eisen im Feuer. Das Antreten von Irmgard Griss gehört zu dieser Operation.

SteirerInnen für die Steirerin?

Irmgard Griss ist im Bezirk Deutschlandsberg geboren und lebt in Graz. Es ist deutlich zu spüren, dass auch einflussreiche Medien und auch Teile der ÖVP Steiermark unter der Hand Stimmung für die steirische Kandidatin machen. Der frühere ÖVP-Landesrat Gerhard Hirschmann nahm im Februar in Graz am einem Podium zur Präsentation eines unkritischen Buches über Irmgard Griss teil. Nach Bartenstein erklärte auch der Grazer ÖVP-Stadtrat Hohensinner Griss für wählbar. Die Grazer „Kleine Zeitung“ ist eine sehr willige Tribüne für die Griss’ Wahlkampfaussagen, während über den offiziellen VP-Kandidaten Andreas Khol eher kritikwürdige Aspekte seines Antretens berichtet werden.

Deshalb sollten fortschrittliche Menschen in der Steiermark hellhörig werden. Eine Stimme für die steirische Kandidatin aus lokalpatriotischen Gründen wäre eine Stimme gegen die eigenen sozialen Interessen.

Niemand der aussichtsreichen Personen für das höchste Amt im Staate vertritt einen Kurs sozialen Wandels. Lediglich im Fall einer Stichwahl zwischen dem FP-Kandidaten Hofer und – angenommen – Griss, Hundstorfer oder Van der Bellen wäre es sinnvoll, eine Stimme gegen die weitere Rechtsentwicklung unseres Landes und gegen Rassismus abzugeben.

Franz Stephan Parteder war 19 Jahre lang Vorsitzender der KPÖ Steiermark.

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