Warum die Westbahn verstaatlicht gehört

Wie der Kurier berichtet, verlangt die private Westbahn von den ÖBB Entschädigungszahlungen. Die Begründung: Unannehmlichkeiten durch die Anwesenheit von Flüchtlingen auf den Bahnhöfen. Dieses Beispiel zeigt, warum eine private Bahn keinen Platz auf unseren Gleisen haben sollte.

Seit vielen Monaten kommen zahlreiche Flüchtlinge in Österreich an. Viele von ihnen wollen in andere europäische Länder weiterreisen. Die Bahnhöfe haben sich in dieser Situation von Einkaufszentren mit angeschlossenen Gleisen in sozial bewegte Zentren entwickelt. Tausende Menschen helfen den Flüchtlingen in ihrer Bewegung, beeindruckende selbstorganiserte Strukturen sind entstanden. Die Österreichischen Bundesbahnen bemühen sich zumindest phasenweise redlich darum, dass die Flüchtenden ihr Ziel erreichen – unentgeltlich. ÖBB-MitarbeiterInnen schieben Überstunden und bleiben zum Teil danach freiwillig um weiterzuhelfen.

In dieser Situation fordert nun Österreichs größte Privatbahn, die „Westbahn“, das aus ihrer Sicht einzig Logische. Sie möchte bis auf weiteres keine Gebühren mehr für die Benützung der Bahnhöfe bezahlen.

Kapitalismus in der Praxis

Was empörend klingt, ist aber tatsächlich wenig überraschend. Die Westbahn ist ein privates, profitorientiertes Unternehmen. Es gehört zu etwa 50 Prozent dem Industriellen Hans-Peter Haselsteiner. Einem menschenfreundlichen Liberalen, der auch die NEOS, die vermeintlich neue Kraft gegen Strache, kräftig mitfinanziert. Weiters beteiligt sind die französischen Staatsbahnen. Und Haselsteiner, als guter Liberaler, und seine Westbahn wissen: Menschlichkeit ist schön und gut, aber was zählt ist der Profit. Herr Haselsteiner muss uns deswegen nicht besonders sympathisch sein, aber sein Unternehmen agiert entsprechend der ihm zugrundeliegenden Logik.

Warum dann Liberalisierung?

Seit der europäischen Liberalisierung der Bahn  sind die ÖBB gezwungen, ihre Gleise auch für den Betrieb privater Anbieter zur Verfügung zu stellen. So sollte Wettbewerb im Bahnverkehr entstehen und die Westbahn stieg ins Geschäft ein. Die BefürworterInnen dieser Liberalisierung werden nun argumentieren, dass die Westbahn zwar nicht besonders nett agiert, aber uns als KundInnen doch viele Vorteile bringt. Dadurch, dass nun Westbahn und ÖBB auf der selben Strecke konkurrieren, sollen die Preise sinken und das Service besser werden. Doch diese Behauptung hält der Realität nicht stand. Zunächst gibt es nicht nur KundInnen, sondern auch Beschäftigte. Will ein Unternehmen also billiger sein, geschieht das meistens auf dem Rücken derer, die dort arbeiten. Die Folgen des Preisdrucks sind auch bei der ÖBB sichtbar, wo im Catering seit kurzem Beschäftigte mit ungarischen Verträgen zu Dumpinglöhnen angestellt sind. Aber selbst das Argument, dass es für KundInnen billiger wird hält nicht. Tatsächlich bekämpft die Westbahn juristisch niedrige Ticketpreise der ÖBB. Die Konkurrenz auf der Weststrecke erschwert es der ÖBB außerdem, weniger profitable Strecken querzufinanzieren. Sogenannte Nebenstrecken werden geschlossen, Haltestellen aufgelassen. Das nimmt vielen Menschen ihr Recht auf Mobilität – oder zwingt sie zur Nutzung teurer und unweltschädlicher Autos.

Tatsächlich ist der Personenverkehr der ÖBB nicht kostendeckend. Das ist auch gut so, denn die Frage wer die Kosten von Mobilität tragen soll, ist eine politische. Wieviel zahlt der/die EinzelneR fürs Ticket, wieviel stellen wir als Gesellschaft gemeinsam bereit, um funktionierende und leistbare Mobilität für möglichste viele Menschen zu gewährleisten? Auch das Service wird durch Konkurrenz kaum besser. Denn je mehr private Unternehmen auf den gleichen Schienen unterwegs sind, desto schwieriger wird es einen sinnvollen Gesamtfahrplan aufrechtzuerhalten. Wer schon einmal versucht hat, im komplett durchliberalisierten englischen Schienennetz Bahn zu fahren, kann davon ein Lied singen. Damit ist bereits ein entscheidender Grund gegen private Bahnunternehmen angesprochen. Wie in allen Netzindustrien (Bahn, Strom, Telekom) entsteht kein gesellschaftlicher Nutzen, wenn mehrere Unternehmen im selben Netz konkurrieren.

Der Ursprung der Liberalisierung

Dass wir uns überhaupt mit der Westbahn herumschlagen müssen, ist indirekt Ergebnis der EU-Integration. Ganz im Sinne des Binnenmarktes wurden Europas Gleise liberalisiert und die Staaten gezwungen, ihre Bahnunternehmen auszulagern – d.h. sie wie private Unternehmen zu führen. Während die Grenzen für Menschen nur dann offen sind, wenn sie den richtigen Pass haben und es den Herrschenden gerade günstig scheint, wurden sie für das Kapital ganz abgeschafft. Entstanden ist dabei aber nicht, wie von den BefürworterInnen behauptet, ein besser integriertes europäisches Bahnnetz. Ganz im Gegenteil: Entstanden ist ein immer stärker zerstückeltes Netz, in dem die verschiedenen staatlichen Bahnunternehmen keine Partner, sondern Konkurrenten sind. Mittlerweile wird das sogenannte Vierte Eisenbahnpaket vorbereitet, das die Segnungen des freien Marktes auch im Regionalverkehr wirksam werden lassen soll. Wir dürfen uns also nicht wundern, wenn bald diverse private Firmen auch auf Wiens S-Bahn-Linien unterwegs ist.

Für eine Bahn im Gemeineigentum

Was es aber tatsächlich braucht, ist eine Rücknahme der Liberalisierung der vergangenen 20 Jahre. Obwohl die ÖBB privatwirtschaftlich geführt wird, folgt sie dennoch nicht nur der Profitlogik. Diese Orientierung am öffentlichen Interesse gilt auszudehnen, etwa indem die Westbahn verstaatlicht wird und zukünftig nur noch eine demokratisierte ÖBB auf unseren Schienen unterwegs ist.

Für Gemeineigentum können ganz andere Prinzipien gelten als der Profit. Die Bahn kann dann ein Mittel zum sozialen Fortschritt sein. Als Gesellschaft müssen wir uns darauf einigen, was uns ein gutausgebauter öffentlicher Verkehr Wert ist. Eine Bahn im Eigentum und Auftrag der Gesellschaft kann vorbildliche Arbeitsbedingungen und Löhne als Ziel haben. Sie kann strukturschwache Gebiete stärken, ökologische Alternativen zur Straße bieten und noch vieles mehr. Manches davon war und ist die ÖBB noch. Um ihr volles Potential zu entwickeln, muss die ÖBB aber wirklich im Eigentum der Gesellschaft und unter ihrer demokratischen Kontrolle stehen.

Und wenn wir mit der Westbahn fertig sind, sollten wir uns als nächstes die Handynetze vornehmen. Wer vergleicht schon gerne 400 Tarifmodelle, die doch nur dafür da sind uns im Kleingedruckten übers Ohr zu hauen? Und wofür müssen überall Sendemasten konkurrierender Anbieter herumstehen? Vieles ließe sich nicht nur gerechter, sondern auch um ein vielfaches effizienter organisieren. Vielleicht werden dann auch Gratis-Smartphones für Flüchtlinge und andere Menschen in Not Realität

Martin Konecny ist Redakteur von mosaik, Politikwissenschafter und beschäftigt sich derzeit vor allem mit den Perspektiven der griechischen Linken.

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