Jenseits des Waldhäusl-Sagers: Medien als Teil des systemischen Rassismus

Dem offenkundigen Rassismus in der Causa Waldhäusl begegnen wir schockiert. Doch der unauffälligere Alltagsrassismus im öffentlichen Diskurs hat nicht minder ernste Konsequenzen für Betroffene. Dejan Aleksic über die Ursprünge und Auswirkungen von systemischem Rassismus.

Ein FPÖ-Politiker macht eine Schulklasse vor laufender Kamera rassistisch herunter. Drei Tage später werden Flugblätter und ein Transparent mit rechtsradikalen Parolen vor dem Gymnasium eben jener Schüler*innen angebracht. Blanke Gewalt, die sich zudem gegen Kinder (!) richtet. Die Geschehnisse sprechen für sich: Bizarre populistische Aussagen in Fernseh-Debatten haben in der Realität gefährliche Folgen.

Für die Causa Waldhäusl fordern sowohl politische als auch zivilgesellschaftliche Akteure jetzt Konsequenzen – vor allem den Entzug der Zuständigkeiten des betreffenden Politikers, der ironischerweise der NÖ-Landesrat für Integration ist. Doch nicht nur offen ausgesprochene Fremdenfeindlichkeit, wie im Fall des FPÖ-Politikers Gottfried Waldhäusl, führt zu Reproduktion von Diskriminierung und ferner Gewalt gegenüber Minderheiten. Das geschieht auch subtiler. Narrative, die auf den ersten Blick weniger bizarr und folgenreich erscheinen, spielen eine wichtige Rolle. Dazu gehört die mediale Berichtserstattung über das Thema „Migrationshintergrund“. Sie konstruiert jene brutale Realität (mit), die wir gerade bezeugen, wird aber ignoriert.

 „Nordmazedonier, geboren in Österreich“

Vor einigen Wochen bezeichnete beispielsweise der ORF Oberösterreich einen mutmaßlichen Täter als „Nordmazedonier aus dem Bezirk Perg, geboren in Österreich“. Derlei Bezeichnungen erzeugen einen unmittelbaren Zusammenhang zwischen Migrationshintergrund und gesetzeswidrigem Handeln. Der Eindruck: Ersteres verursacht automatisch zweiteres. Dadurch werden Menschen aufgrund persönlicher Merkmale marginalisiert. Denn wenn Menschen mit Migrationshintergrund als potenzielle Verbrecher*innen angesehen werden, führt das zu Diskriminierung bei der Suche nach Jobs, Wohnungen oder Ausbildungsplätzen. Allein ein „ausländisch“ klingender Name verringert momentan die Chancen, einen Job oder eine Wohnung zu bekommen.

„Würdige“ und „unwürdige“ Menschen

So werden künstlich symbolische Trennungen zwischen „würdigen“ und „unwürdigen“ Menschen erzeugt. Der Mechanismus liegt dem kapitalistischen System (weit über die Produktionsverhältnisse hinaus) seit seinen Anfängen zugrunde. Die Exklusion beruht dabei auf unterschiedlichen Merkmalen, häufig auch in Kombination. Verschiedene Formen von Diskriminierung, auch Mehrfachdiskriminierung genannt, betreffen vor allem Klasse, Geschlecht, Hautfarbe, sexuelle Orientierung, aber auch Herkunft, Staatsbürgerschaft oder Aufenthaltsstatus.

Nebenbei: Nicht immer kommt die Exklusion dem kapitalistischen System zugute. Die entstandenen sozialen Narrative entwickeln sich eigenständig weiter und haben eine eigene Dynamik, unabhängig von ihrer Funktion für das System. So kommt es beispielsweise aufgrund von strengen Immigrationspolitiken zum Arbeitskräftemangel in einigen Ländern, was einem System, dessen Aufrechterhaltung von Lohnarbeit abhängt, nicht unbedingt in die Hände spielt.

Für „unwürdig“ werden hier jedenfalls – in der Berichterstattung subtiler kommuniziert, jedoch genauso präsent wie in Waldhäusls Aussage – Menschen mit Migrationshintergrund erklärt. Darunter Nordmazedonier aus dem Bezirk Perg, geboren in Österreich, oder die in Wien geborenen Schüler*innen des Laaerberg Gymnasiums. Noch „unwürdiger“ sind Menschen, die nicht einmal in Österreich geboren sind oder keinen gültigen Aufenthaltstitel besitzen. Sie können sich höchstens eine Hoffnung machen: Sie dürfen Fahrradbot*innen, Paketzusteller*innen oder Erntehelfer*innen sein – und sollen sich dafür auch noch bedanken.

Rassismus in seinen Ursprüngen

Erkenntnisreich ist in diesem Kontext, an die Ursprünge des systemischen Rassismus während der Siedlerkolonisierung in Nordamerika zu erinnern. Selbstverständlich lassen sich die Folgen der Ausgrenzung für Betroffene mit den heutigen nicht vergleichen – die Welt ist heute weniger grausam, wenn auch bei weitem nicht gewaltfrei. Die Logik aber, die hinter dieser Unterdrückung steht, hat sich kaum verändert. Damals entstanden Unterdrückungsmechanismen, zusammen mit einem ideologischen Apparat, der zwischen den Kategorien „wir“ und „Fremde“ unterscheidet. Sie dienten der Etablierung des Kapitalismus und der Rechtfertigung der Ausbeutung der „Fremden“. Die europäische Elite drängte die damaligen Sklav*innen aus Afrika an den Rand der Gesellschaft, um sie auszubeuten.

Die Ein-Tropfen-Regel

Der dafür offiziell verwendete Mechanismus hieß „the one-drop rule“, die Ein-Tropfen-Regel. Das bedeutete damals, dass jede Person, die zumindest einen „schwarzen“ Vorfahren hatte, auch als „schwarz“ angesehen wurde. Damals war das ein Gesetz. Die gleiche Praxis, in etwas inoffiziellerer Form, gilt in den USA auch heutzutage. Ein berühmtes Beispiel ist die Bezeichnung von Barack Obama als erster „schwarzer“ Präsident der USA, obwohl er einer „gemischten“ Abstammung ist. Die Strategien der Exklusion mögen heute in ihrer Form und Ausführung anders ausschauen – sophistizierter, perfider, weniger sichtbar – sind aber in ihren Grundzügen, auch heute, auch in Österreich, sehr wohl erkennbar.

Letztendlich ist es kein Wettbewerb

In beiden erwähnten Fällen ist die Ein-Tropfen-Regel klar zu erkennen. Der Nordmazedonier aus dem Bezirk Perg, geboren in Österreich, könnte hundert Mal in Österreich geboren werden – solange über ihn als mutmaßlichen Täter berichtet wird, wird er Nordmazedonier bleiben. Selbiges gilt für die in Wien geborenen Schüler*innen des Laaerberg Gymnasiums. Ohne sie wäre Wien noch Wien, was heißt – ohne sie wäre Wien besser – weil ihre Eltern nicht in Österreich geboren sind.

Letztendlich geht es hier nicht um einen Wettbewerb und eine Hierarchisierung der Unterdrückungsmechanismen, oder gar um „Whataboutism“. Der Punkt ist, dass viele Formen des Rassismus und der Diskriminierung, oder deren Reproduktion und Verbreitung, verschleiert und fast unbemerkt im öffentlichen Raum kursieren. Sie operieren gemeinsam als System und ergänzen sich gegenseitig. In einer Hassaktion gegenüber Kindern, wie jener des Laaerberger Gymnasiums, können sie kulminieren. Der Waldhäusl-Sager ist nur die Spitze des Eisbergs.

Foto: Bank Phrom

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