Wahlrecht für alle

Eine der Forderungen, die vor Wien-Wahlen immer wieder auftaucht, ist das Wahlrecht für alle Menschen, die hier in der Stadt wohnen, unabhängig von der StaatsbürgerInnenschaft. Doch nicht nur Wien, ganz Österreich ist weit davon entfernt dies umzusetzen – ganz im Gegenteil, durch die strenge Flüchtlingspolitik und die erfolgreiche Hetze der FPÖ wird die Distanzierung von MigrantInnen gefördert.

Mit Stand vom 1. Jänner 2014 haben 1 766 746 Personen ihren gemeldeten Hauptwohnsitz in Wien, davon wiederum sind 1 338 533 österreichische StaatsbürgerInnen. Somit sind circa 25 Prozent der WienerInnen von der Teilnahme an den Gemeinderatswahlen ausgeschlossen. Der Vertrag von Maastricht von 1992 regelt, dass EU-BürgerInnen an Kommunalwahlen in der Stadt in der sich ihr Hauptwohnsitz befindet, unabhängig von ihrer StaatsbürgerInnenschaft, teilnehmen dürfen. Das betritt in Wien etwa 181 000 Personen, die in den Bezirken wahlberechtigt sind.

Im Jahr 2003 beschloss das Bundesland Wien mit den Stimmen von SPÖ und Grünen, das Wahlrecht in den Gemeindebezirken auch auf Nicht-EU-StaatsbürgerInnen, die seit wenigstens fünf Jahren ihren Hauptwohnsitz in Wien haben, auszudehnen. Der Verfassungsgerichtshof erklärte dies für verfassungswidrig und hob die entsprechende Bestimmung der Wiener Gemeindewahlordnung 2004 wieder auf. Seither haben sich weder Rot noch Rot-Grün in Wien bemüht, Druck auf den Bund auszuüben, damit die Bundesverfassung dementsprechend geändert wird.

Situation in anderen EU-Staaten

In mehreren EU-Staaten sowie in der Schweiz dürfen auch Nicht-EU-BürgerInnen an Kommunalwahlen teilnehmen, zum Teil nur solche aus bestimmten Ländern oder mit langen Wartezeiten. In Luxemburg fiel am 7. Juni 2015 ein Referendum über das sog. AusländerInnenwahlrecht bei nationalen Wahlen mit 80 Prozent Nein-Stimmen eindeutig negativ aus. Eine rühmliche Vorreiterrolle in der Mitbestimmung spielte  das 1991 unabhängig gewordene Estland: 1992 knüpfte es das aktive kommunale Wahlrecht nur an den Wohnsitz und nicht an die Staatszugehörigkeit, genau genommen nicht einmal an den Besitz einer StaatsbürgerInnenschaft. 1993 wurde diese Regelung erstmals angewendet. Es sollte dies ein erster Schritt sein, um die Mitbestimmung von nichtestnischen BürgerInnen sowie deren Einbindung in das gesellschaftliche Leben in Estland auszuweiten. Mit Aufnahme der EU-Beitrittsverhandlungen 1997 wurde diese Regelung allerdings wieder fallengelassen und ist seither kein Thema mehr. Nur das kommunale Wahlrecht für alle Menschen blieb zum Glück erhalten und der Anteil von Nicht-EU-BürgerInnen, die daran teilnehmen, ist genau so groß wie der der EU-BürgerInnen.

Das reicht noch lange nicht

Wie ersichtlich ist, wird Nichtstaatsangehörigen die Mitbestimmung in ihrem Wohnland, wenn überhaupt, nur auf der untersten Ebene gewährt. Die kleinste Verwaltungseinheit, Gemeinde bzw. Bezirk, hat nur wenige Kompetenzen der Entscheidungsgewalt, und wenn, dann haben diese nur lokalen Charakter. Überspitzt formuliert: Die Frage, wer über einen Zebrastreifen entscheidet, darf auch AusländerInnen gestellt werden, die Frage, wer ein Bundesgesetz beschließen soll, darf ihnen nicht gestellt werden, obwohl sie sich genau so an eben diese Gesetze halten müssen. Die Entscheidung über die höchste Staatsgewalt bleibt allein jenen Menschen zugänglich, die sich mittels eines Stücks Papier dazu bekennen, selbst wenn sie gar nicht in diesem Staat wohnen und sich mit ihm möglicherweise gar nicht mehr verbunden fühlen.

Schon seit bei Einführung moderner Wahlen, gab es verschiedene Kriterien, nach denen Menschen das Wahlrecht erteilt wurde: Zugehörigkeit zur einer bestimmten Bevölkerungsgruppe (Kuriensystem, z. B. nur Adel), bestimmtes Vermögen (Zensussystem) oder Geschlecht (nur Männer), übriggeblieben sind bis heute Alter, Wohnsitz und eben die Staatsangehörigkeit. Diese Kriterien sind immer Ausdruck der aktuellen herrschaftlichen Verhältnisse und hinkten oft genug der Realität hinterher. Kaum ein Wahlrecht spiegelt den Stand der gelebten gesellschaftlichen Verhältnisse wider. Denn die Idee, dass nur Angehörige des eigenen Staates mitbestimmen dürfen, stammt aus einer Zeit, als die Länder sich voneinander abschotteten und abgrenzten, weil sie verfeindet waren oder gegeneinander Krieg führten.

Heute ist dieses Konzept, im juristischen Fachjargon wird es „Inländervorbehalt“ bezeichnet, längst veraltet: Die Welt ist kleiner geworden, die Mobilität der Menschen wächst und die Staatsangehörigkeit als Stück Papier hat immer weniger Bedeutung für die Identität eines Menschen. Das Staatensystem ist allerdings weiterhin auf Immobilität ausgerichtet.

Warteschlange

Die mancherorts geltende Bestimmung, Menschen aus Nicht-EU-Ländern erst nach fünf Jahren das Wahlrecht zu geben, ist absurd. Es gibt, meiner Meinung nach, keine sachliche Rechtfertigung dafür, dass diese so lange warten müssen. Zwei Beispiele:

  • Jemand, der/die von Bregenz nach Wien zieht und dort den Wohnsitz anmeldet, erlangt gleich am nächsten Tag die Wahlberechtigung, jemand aus dem nur 20km entfernten St. Gallen in der Schweiz soll sie, sofern diese Bestimmung gelten würde, aber erst fünf Jahre später erhalten.
  • Natürlich ist es von Vorteil, über die Gegend, in der man wohnt und mitbestimmt, Bescheid zu wissen. Das erreicht man allerdings schon lange nicht mehr nur, indem man dort über längere Zeit hinweg lebt. Die vernetzte Welt bietet unzählige Möglichkeiten, sich schon vor einem Umzug bestens zu informieren.

WohnsitzbürgerInnenschaft statt StaatsbürgerInnenschaft, auch grenzüberschreitend, sollte selbstverständlich sein. Auch neue BewohnerInnen gestalten aktiv die Stadt und das Land mit, sie zahlen Steuern, haben hier Familie und ein soziales Umfeld, ihre Kinder gehen hier zur Schule. Das Wahlrecht fördert die Integration, die Einbindung in die Politik und zeigt Anerkennung und Wertschätzung.

Übrigens: Jene Länder, die allen ihren BewohnerInnen das uneingeschränkte Wahlrecht geben, liegen ausschließlich außerhalb von Europa.

Maria Kohen ist Aktivistin bei der Plattform der Unabhängigen und kandidiert für Wien Anders im 3. Wiener Gemeindebezirk.

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