Ende September wird der österreichische Nationalrat gewählt. Eine Regierungsbeteiligung der FPÖ (und ÖVP) ist vielen Menschen ein Graus. Sich dagegen parteipolitisch zu engagieren, steht für einen Großteil von ihnen aber auch nicht zur Debatte. Die Initiative WIR* gegen rechts versucht mit ihrem Wahlkampf ohne Partei eine Alternative zu bieten.
*** Dieser Beitrag ist der dritte Artikel im Rahmen der Reihe mosaik strategy summer. Von Ende Juli bis Ende September veröffentlicht mosaik jede Woche einen Artikel zu strategischen Fragen linker/emanzipatorischer Bewegungen und Kämpfe. ***
Die Ergebnisse der EU-Wahlen waren mehr als ein Vorbote. Mit knapp über 25% erzielte die FPÖ im Juni den höchsten Stimmenanteil. Die rechtsextreme Partei, ihr Obmann Herbert Kickl und ihre Hetze erleben in Österreich wieder einen Aufschwung. Am 29. September wird der österreichische Nationalrat gewählt. Die Gefahr einer schwarz-blauen Regierung ist uns mittlerweile bekannt. Doch diesmal könnte auch eine blau-schwarze Koalition unter Kickl drohen. Ein wichtiger Unterschied! Gruppen von links bis linksradikal wirken angesichts dieser Tatsache überraschend desinteressiert, wenn es um wirkungsvolle Strategien geht, die Einzementierung des Rechtsrucks zu verhindern. Zwar wurde intern durchaus diskutiert. Nach außen drang davon bislang wenig bis nichts. Auch wir – eine Handvoll erfahrener Aktivist*innen aus unterschiedlichen Gruppen – waren zunächst eher ratlos: Was tun?
Rechts betrifft uns alle
Dass wir etwas tun wollten, war uns klar. Auch wenn wir mit Parteipolitik nichts am Hut haben, wissen wir um die Konsequenzen einer rechten bis rechtsextremen Regierung. Der Abbau von Arbeits-, Frauen- und Minderheitenrechten, die zunehmend autoritäre Ausrichtung des Staates sowie das Ausbleiben notwendiger Klimaschutzmaßnahmen sind nur einige Beispiele. Auch ist klar, dass eine rechte Regierung diejenigen nochmals härter trifft, die keinen österreichischen bzw. gar keinen keinen Reisepass besitzen, deren Identität nicht in die klassische Vorstellung von Zweigeschlechtlichkeit passt oder die bereits jetzt ums (Über)Leben kämpfen.
Es brauchte also eine Strategie, in diesen Wahlkampf zu intervenieren, ohne dabei Partei im engeren Sinn zu ergreifen. Dass das möglich ist, zeigte uns eine Erfolgsgeschichte aus Griechenland. Krini Kafiris berichtete im Rahmen eines Vortrags von der antifaschistischen Arbeit gegen die neofaschistische Partei „Golden Dawn“ in den 2010er Jahren. Als dezentrale Bewegung hatte es ein breites Bündnis geschafft, den Widerstand gegen die Partei überall sichtbar zu machen. In Musikvereinen, Community Spaces, Medien, Familien, etc.. Es gab keine zentrale Organisation, sondern unzählige Menschen, Gruppen und Organisationen – egal ob bürgerlich liberal, feministisch, antirassistisch, anarchistisch –, die sich dem gemeinsamen Ziel verschrieben. Motiviert setzten wir uns nach diesem Vortrag zusammen und gründeten WIR* gegen rechts.
WIR* gegen rechts
Von Anfang an war es nicht unser Ziel, eine weitere Organisation oder ein x-tes Bündnis zu schaffen. Stattdessen ist WIR* gegen rechts eine Initiative, die andere animieren soll, aktiv zu werden – egal ob zum ersten Mal oder seit Jahren (radikal) organisiert. Dahinter steht die Einsicht, dass wir nur etwas bewegen und tatsächlich einen Unterschied machen können, wenn wir alle anpacken.
Die gemeinsame Klammer ist „gegen rechts“. Im aktuellen Moment ist es wichtig, dass WIR* – trotz gewisser Differenzen – an einem Strang ziehen. Wenn wir eine FPÖ-Regierung (und auch diese ÖVP) und die damit einhergehenden Politiken verhindern wollen, braucht es einen kleinsten, gemeinsamen Nenner. Und der ist für uns: GEGEN rechts. Rechts kann dabei für unterschiedliche Menschen verschiedene Dinge bedeuten. Gegen die FPÖ, gegen jene Kräfte in der ÖVP, die die Partei noch weiter nach rechts treiben wollen, gegen rechte Tendenzen in der SPÖ und bei den Grünen – aber auch gegen das Nicht-Wählen, denn damit gehen kostbare Stimmen gegen rechts verloren.
Sichtbarkeit und persönliche Gespräche
Tun lässt sich gegen rechts jede Menge. Auf unserer Website haben wir 50 Ideen zum sofortigen Loslegen aufgelistet. Außerdem haben wir Plakate und Sticker produzieren lassen, um überall im Land – auf den Straßen, in Hauseingängen, Vereinslokalen, WG-Fenstern, … – unser gemeinsames NEIN zu rechts sichtbar zu machen. Auch wenn es kaum eine Partei gibt, die uns bisher nicht enttäuscht hat: Strategisch gegen rechts den Wahlkampf um den Nationalrat führen, heißt, alle progressiven Kräfte links der Mitte zu unterstützen. Auf unserem Flyer listen wir daher drei gute Gründe für die KPÖ, die Grünen und die SPÖ. Statt nicht zu wählen, wollen wir ermutigen „ungültig“ zu stimmen.
Darüber hinaus setzen wir auf das persönliche Gespräch: Wir wollen mit Menschen offen über ihre Bedürfnisse sprechen und dazu passende Vorschläge machen und Argumente liefern, wählen zu gehen. Durch Multiplikator*innenschulungen wird ein Kreis an Trainer*innen aufgebaut, die zwischen Mitte August und Mitte September 10-15 Trainingseinheiten zu „Haustürgesprächen gegen rechts“ abhalten. Die Workshops bestehen aus einem kurzen theoretischen Input und einem Praxisteil. Bei diesem kommen Teilnehmende direkt ins Gespräch. Der Theorieteil ist angelehnt an die Organizing-Konzepte, welche im Vorwahlkampf von Bernie Sanders 2016 in den USA angewandt wurden. Durch dieses Angebot werden zig Menschen befähigt, 1-1 Gespräche zu führen. Im September gibt es dann regelmäßige Gesprächsaktionen.
Wahlkampf ohne Partei
Wir hoffen mit unserer Ausrichtung, für jene politisch Aktiven und Linke eine Anlaufstelle zu werden, die zwar etwas gegen den Rechtsruck im Parlament tun wollen, aber nicht für die KPÖ (oder sonst eine Partei) Wahlkampf machen möchten. Dabei bauen wir im doppelten Sinn auf dem Wunsch auf, „aus der Blase zu kommen“. Durch die aus dem Community Organizing entlehnten Ansätzen wollen wir mit Menschen an den Haustüren ins Gespräch kommen, die unsere klassischen Mobilisierungen nicht erreichen. Gleichzeitig wollen wir mit unseren Aufrufen und Angeboten sowohl eine zivilgesellschaftliche als auch eine radikaler ausgerichtete Linke ansprechen und zum Mitmachen einladen. Gerade in der radikalen Linken sind spätestens seit „Deutsche Wohnen und Co Enteignen“ Organizing-Ansätze theoretisch hoch im Kurs. In der Praxis gibt es in Österreich noch kaum radikale Erfolgsbeispiele. Wir laden zum Ausprobieren und Ernst machen mit den guten Vorsätzen ein. Denn gerade hier gilt: Antifa ist Handarbeit.
Die meisten Menschen treffen ihre Wahlentscheidung in den drei Wochen vor dem Wahltag. Durch die Gesprächsaktionen mit den Menschen, die wir dazu ausgebildet haben, können in dieser Zeit potentiell tausende Gespräche geführt werden. Was uns Hoffnung gibt, sind die zahlreichen Beispiele, die belegen, dass in den letzten Wochen vor der Wahl noch einiges möglich ist. Wir glauben nicht daran, dass die FPÖ „eh schon gewonnen hat“. Im Gegenteil, nie in der jüngeren Vergangenheit war der Moment so günstig, ein klares NEIN gegen rechts nach Außen zu tragen und damit ganz viele Menschen, von liberal bis links-radikal, zusammenzubringen.
Nach der Wahl ist nach der Wahl
Die Nationalratswahl ist nicht das Ende der Fahnenstange unserer Politik. Sie ist aber dennoch ein wichtiger Moment. Ihr Ausgang wird unser Handeln als außerparlamentarische Linke (und Linksradikale) beeinflussen. Sollte die Demobilisierung potentieller FPÖ-Wähler*innen gelingen, sich aber sonst keinerlei größere Verschiebungen abzeichnen, wird sich der Status Quo fortsetzen. Die ÖVP wird mit einem wie auch immer gearteten Junior-Partner ihre rechtskonservative Politik weiterführen. Klimaschutz wird weiterhin von Einzelinitiativen abhängen. Das Grenzregime wird weiter aufgerüstet. In der Sozialpolitik wird es – wenn überhaupt – minimale Verbesserungen geben. In diesem Fall müssen wir weiter solidarische Strukturen aufbauen und das Voranschreiten rechter Politiken und Werte bekämpfen.
Sollte die KPÖ tatsächlich in den Nationalrat einziehen, gibt es einen neuen parlamentarischen Counterpart für die außerparlamentarische Linke. Diesen gilt es dann zu nutzen und Synergien zu erzeugen. Sollte Kickl Kanzler werden und mit der ÖVP in die Regierung gehen, erwarten uns signifikante Einschränkungen unserer Bewegungsfreiheit, mehr Faschismus auf den Straßen und Sozialabbau. Worauf wir uns in diesem Falle aber auch einstellen können: Ein Zulauf an Aktivist*innen und engagierten Bürger*innen, wie er schon bei Schwarz-Blau I und II zu beobachten war. Neben ihrer realpolitischen Einmischung sind Wahlkämpfe ohne Partei auch eine Vorbereitung darauf. Nämlich Menschen, die bislang noch nicht politisch aktiv waren, in unsere Strukturen einzubinden und mit ihnen gemeinsam langfristig über Wahlen hinaus emanzipatorische Politik zu machen.
Träume und viel Arbeit
Ob manch eins sogar von einer Rot-Rot-Grünen-Koalition träumt und in diese Konstellation Hoffnung setzt, sei allen selbst überlassen. In jedem Fall sind die unterschiedlichen Szenarien nicht Ergebnisse göttlichen Würfelns, sondern hängen stark davon ab, wer in den nächsten Wochen wie viel Arbeit in den Wahlkampf steckt – und das mit oder ohne Partei.
Auf der Website von WIR* gegen rechts könnt ihr euch jetzt für Haustürgesprächs-Trainings anmelden. Zusätzlich wird es im September mehrere Argumentationstrainings gegen rechte Parolen geben. Außerdem können auf der Website gratis Poster und Sticker bestellt werden, um das gemeinsame NEIN nach außen sichtbar zu machen.
Ihr wollt die bisherigen Artikel des mosaik strategy summer nachlesen? In „mosaik – Politik weiterhin neu zusammensetzen“ erfahrt ihr mehr über die Geschichte des Projekts mosaik und was sie für heute bedeutet. In „Sind wir hier noch genau richtig? – Die Interventionistische Linke im Umbruch“ denkt der – vor allem in Deutschland aktive – Zusammenschluss Interventionistische Linke über die letzten Jahre seiner Praxis nach.
Bild: WIR* gegen rechts